GEIST UND FORM
Kober'sche Verlagsbuchhandlung AG, Zürich
Der bürgerliche Name von Bô Yin Râ war
Joseph Anton Schneiderfranken
2. Auflage
Die erste Auflage erschien im Verlag
Greiner & Pfeiffer, Stuttgart, 1924
©
Copyright 1958 by
Kober'sche Verlagsbuchhandlung AG, Zürich 48
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Switzerland by
Schellenberg-Druck Pfäffikon ZH
 
Dem neuen Menschen!
.Du willst in den Geist gelangen und hast den
Weg zum Geiste nach langem Irren gefunden!
.Und nun fragst du:
.«Was soll mir fürder alle Form, da ich den
Weg zum Inhalt weiß? ‒ »
.Belanglos und allen Wertes bar erscheint dir
die Form; ‒ du glaubst nicht nur, dass formlos
dir das Innerste sich offenbare: ‒ du siehst
bereits in aller Form nur Hinderung!
.Verächtlich erscheint es dir, der Form
noch zu achten; ‒ verächtlich erscheinen dir
alle, die nach Form-Vollendung streben!
.Du selbst glaubst aller Form nun entraten
zu können!
.Du willst dich, auch formlos, dennoch ge‐
wertet sehen als einen der nach höchsten
Werten strebt!
.Als arge Toren erscheinen dir alle, die daran
Anstoss nehmen, dass du die Form 
miss‐
achtest!
.Du fühlst dich 
hoch erhaben über dieser
Anderen Torheit, und lächelnd fragst du: «
Was
soll mir auf dem Wege zum Geiste noch
solche äusserliche Bindung? ‒ 
Was soll
mir die Form!? ‒ ‒»
*
.Siehe mein Freund: ‒ ich zweifle nicht daran,
dass du den Weg zum Geiste gefunden hast!
.Ich zweifle aber, dass dir gute 
Führung wer‐
den wird, die du doch nötig brauchst, wenn du
dabei verharren willst, der 
Form zu 
spotten!..
.Du glaubst, man müsse deine 
Lauterkeit
erkennen, müsse deines Strebens 
Inbrunst
achten, und deines Willens 
reines Wollen
müsse für dich zeugen...
.Du bist auch gewiss durch solchen Glauben
keineswegs irrig beraten und dennoch wirst du
erkennen lernen müssen, dass du die 
Form
nicht missachten darfst, ja, dass all dein
Tun erst letzte 
Wertung erhält durch die ihm
gemässe 
Form!
.So wie man köstlichen Wein nicht darbieten
 
wird in geringen irdenen Gefässen, da es den
Wert des Weines missachten heissen würde,
wollte man also ihn kredenzen, so erheischt
schon die Ehrfurcht vor dem Geiste, dass dir
nur vollendetste Form Genüge leiste, sobald
du selbst zum «Tempel des Geistes» werden
willst! ‒ ‒
.All deine Selbstbekundung in der äusseren
Welt wird stetig solcher Ehrfurcht Zeugnis wer‐
den müssen!
.Sobald du den Weg zum Geiste einmal
betreten hast, steht es dir nicht mehr frei,
dich zu gehaben nach deiner Bequemlichkeit
und augenblicklichen Laune! ‒ ‒
.Du hast Verpflichtung, dich selbst nun
umzuschaffen und Ausdruck zu werden dem
Geiste!
.Dich selbst sollst du zu höchster Form
vollenden, und alles was immer durch dein Tun
für andere erfassbar werden mag, soll deine
Formvollendung sichtbarlich bekunden!...
.Nicht durch Verachtung der Form wirst du
Erhabenheit beweisen! ‒
.Ein Tor nur kann sich «erhaben» glauben
über alle Form! ‒ ‒
Der wirklich 
Erhabene wird stets die Form
beherrschen! ‒
.Es äussert sich solche 
Beherrschung schon
in 
alltäglichstem Tun...
.Der 
Zyniker, der sich in Lumpen hüllt um
seine 
Bedürfnislosigkeit zu zeigen, ist wahr‐
lich ein kläglicher 
Geck, solange seiner Arme
Kraft ihm noch ermöglicht, sich durch irgend‐
eine 
Arbeit soviel zu erwerben, um sich ein
achtbares Gewand zu kaufen!
.Wer sich hingegen selbst zum 
Tempel des
Geistes wandeln will, der wird alle Mühe auf
sich nehmen, damit er auch in seiner 
äusseren
Erscheinung schon die 
Achtung vor sich
selbst beweise...
.Erlaubt es sein Besitz, so wird man ihn
zu jeder Zeit in der 
gewähltesten und 
besten
Kleidung seines Landes sehen, und ist er 
arm,
so wird er dennoch alles aufzubieten suchen,
damit auch seiner Armut 
dürftiges Gewand
noch allerorten 
Achtung finde...
.Gewiss läuft mancher durch die Welt, der
alles, was sein Erdendasein ihn erträumen lässt,
nur in den Nähten seiner modisch-schnittgerech‐
ten 
Kleidung offenbart; ‒ allein die würdige
Gewandung innerlicher Vornehmheit wird sich
noch immer 
unterscheiden lassen von blossen
Draperien, die ein eitles Nichts umhüllen. ‒
.So aber, wie die Art, den Körper zu 
beklei‐
den schon die 
Achtung eines Menschen vor
sich selbst und vor dem 
Geistigen, dem er
zum 
Tempel werden will, beweist, so wird man
auch in allem seinem 
Tun erkennen können, ob
er zu 
ehren weiss, was in ihm lebt. ‒ ‒
.Dass «
gute Lebensart» auch vielen Men‐
schen wichtig wurde, die durch sie 
verbergen
lernten, was sie wirklich 
sind, beweist nur, dass
man 
ursprünglich ihr nur begegnen konnte
bei solchen, die auch wirklich 
waren, was sie
schienen! ‒
.Schöpfung der 
Menschen inneren Wertes,
wird sie auch nicht entwertet, wo sie nur
Maske bleibt, wie 
Gold nicht seinen Wert ver‐
lieren kann, auch wenn es die feile Dirne als
Schmuckstück trägt...
.Zahlreich sind die selbstgewissen 
Verächter
solcher «guten Lebensart», die nicht bemerken,
dass in ihr 
Form geworden ist, was sie selbst
erst mit grosser Gebärde als 
ethische Forde‐
rung erstreben! ‒ ‒ ‒
.Sie sehen nicht, dass selbst noch dort wo
solche Lebensform zur «
leeren» Form gewor‐
den ist, weil ihr die 
geistige Durchdringung
fehlt, weit 
Besseres durch sie bewirkt wird,
als ihre eigene 
Störrigkeit, die alle schöne
Form als «
Lebenslüge» wertet, je bewirken
kann. ‒ ‒ ‒
.Wahrlich, 
gar oft sind «
die Kinder dieser
Welt» nicht nur «
klüger», sondern auch 
bes‐
ser, als jene, die sich allein bevorrechtet glau‐
ben «
Kinder des Lichtes» zu werden!!
.Siehe, ich rate dir: 
missachte nicht die
Form, ‒ sei es in 
grossen, sei es in 
kleinen
Dingen!
.Du sollst gewiss nicht nach Aneignung
«
leerer» Formen streben, aber 
dein ganzes
Leben sollst du 
formen lernen und nichts soll
dir zu geringfügig sein um all dein Streben dar‐
auf zu richten, es in seiner schönsten und voll‐
kommensten 
Form zu offenbaren! ‒ ‒ ‒
*           *
*
 
.Der du auf dem Wege zum 
Geiste bist,
wisse, dass dir nichts 
Ungeformtes sich jemals
offenbaren kann!
.Auch der 
Geist bedarf der 
Form, soll er dir
innewerden! ‒ ‒
.Wie nichts in dieser 
Aussenwelt der 
For‐
mung entbehrt, so wird auch in der 
inneren
Welt nichts wahrgenommen, es sei denn 
Form
geworden...
.Du sprichst von «
leerer» Form!
.Bedenke aber, dass auch die 
leere Form noch
Offenbarung eines 
Willens ist, der sich in
ihr einst 
Ausdruck schuf, so wie das leere
Haus der Schnecke dir noch von dem Tiere sagt,
das in ihm lebte! ‒ ‒
.Was 
Form geworden ist in dieser 
Aussen‐
welt, ist Ausdruck eines 
Inneren der Aussen‐
welt, das anders dir sich niemals offenbaren
könnte...
 
.So aber ist auch jede Form der inneren
Welt stets wieder Ausdruck eines Allerinner‐
sten, das niemals dir vorhanden wäre, würdest
du es nicht als Form in dir erkennen...
.Suche hier in der Aussenwelt in jeglicher
Form das ihr Innere zu erfassen, dessen Aus‐
druck sie ist!
.So wirst du am besten dich vorbereiten, einst
auch in der Welt des Geistes, in jeglicher
Form die dir allda begegnen mag, das Aller‐
innerste, dem sie Ausdruck ist, aus ihr
leuchten zu sehen! ‒ ‒ ‒
.Auch alles, was der Mensch an Lebensform
geschaffen hat in dieser Aussenwelt, damit er
leichter in Gemeinsamkeit mit seinesgleichen
dieses Erdenlebens Bürde trage, kann dir zu
hoher Lehre dienen...
.Auch hier entspricht dem «Aussen» stets ein
«Innen», selbst wenn das «Innen» längst
nicht mehr gefühlt wird. ‒
.Suche nach diesem «Innen», und wenn du
es gefunden hast, dann wird dir manche schöne
Lebensform, die dir nur als der Ausdruck
einer Lüge galt, gewiss zu einem anderen
Werte sich erheben! ‒ ‒ ‒
.Auch manches was dir heute töricht noch er‐
scheint in 
Sitte und 
Gepflogenheit der Men‐
schen, wird sich dann als 
Form dir zeigen der
ein weiser 
Inhalt innewohnt!
.Es wird nicht nötig sein, hierzu erst Studien
zu betreiben, die dich in 
ferne Zeiten oder
gar zu 
fernen Völkern führen!
.Du kannst, wo du auch stehen magst, im
Alltag beginnen und in 
deiner nächsten
Umgebung!
.Hier ist dein 
sicherster Boden, und 
Tor‐
heit nur verachtet ihn um sich in alten Zeiten
und bei fernen Völkern 
einzuträumen und
dort heimischer zu fühlen! ‒ ‒
.So fand ich Suchende, die hin zum 
Geiste
strebten, und, ihrer Torheit kaum bewusst,
durch die ‒ 
Gewandung ihrer Zeit und ihres
Landes sich behindert glaubten...
.Sie fassten es nicht, dass da ein Mensch zum
Geiste finden könne, der in festlicher Gesell‐
schaft sich den 
Formen der Gesellschaft fügt,
ja der nur dann Behagen fühlt, wenn seine
Kleidung dieser Formen Vorschrift bis ins
Kleinste angepasst erscheint...
.Entsetzen packte sie, wenn einer der in hoher
 
Bergnatur bei steiler Wanderung vom Geist zu
reden wusste, des Abends dann im Rasthaus an‐
gelangt noch Sorge trug, dass er beim abend‐
lichen Mahle unter festlich Frohgestimmten
auch in einem Kleide sei, das nach der allgemei‐
nen Sitte dort gefordert war. ‒ ‒
.So sah man denn in wildverwegenen Gewän‐
dern sie sich selbst gefallen, und sie gefielen
sich nicht wenig, im Bewusstsein, anderen zu
zeigen, dass sie der Form ‒ nach ihres Eigen‐
dünkels Meinung ‒ längst «entwachsen»
seien. ‒
.Andere kleideten sich in biblische Gewänder
und liefen am hellichten Tage in solcher Mum‐
merei einher, ‒ ein jeder ein «Christus», oder
zum mindesten einer der Apostel, ‒ und keiner
schien zu ahnen, wie wohl jene, deren Maske
sie für sich erkoren hatten, sie verlachen wür‐
den, lebten sie heutigen Tages inmitten
der westlichen Welt. ‒
.Und dennoch waren es auch mitunter sehr ehr‐
liche Suchende, die wirklich zum Geiste
strebten, trotz all ihrem törichten Tun! ‒
.So geht der Mensch in die Irre, der sich der
Form « entwachsen» wähnt!
.Vermeintlich «frei» von jeder Form, schafft
er sich Formen einer wunderlichen Art, die sich
der Form des allgemeinen Ganzen, wie sie
in jedem Lande in der Zeiten Lauf erwachsen
ist, nicht einen, und dünkt sich selbst ein
weitaus «Besserer» zu sein, als jene, die nicht
seinem eitlen Beispiel folgen. ‒ ‒
.Was hier geschildert wurde, ist vielleicht die
sonderbarste Art des törichten Versuches,
sich aus der Form der Zeit und seines Landes
selbst zu lösen...
.Weit zahlreicher sind jene Sonderlichkei‐
ten, die im Verborgenen blühen. ‒
.Allen gemeinsam aber ist der Wahn, dass
sich der Suchende, der sich dem Geiste nahen
will, mit allem Rechte über alle Form «er‐
haben» fühlen dürfe, besonders aber über jede
Form, die sich in allgemeiner Sitte und Ge‐
pflogenheit des menschlichen Zusammenlebens
offenbart.
.Zuweilen aber wird solche Formverach‐
tung zum Verbrechen an der menschli‐
chen Gemeinschaft.
.So: wenn sie die Ehe als abgelebter Zeiten
behindernde Bindung um ihrer Irrtumsmöglich‐
keiten willen verachtet; ‒ so, wenn sie alles zu
entwurzeln sucht, was sich die Menschheit selbst
als Schutzwehr pflanzte, um nicht dem Sturm
misslenkter Triebe und der ungehemmten Lei‐
denschaften zu erliegen. ‒ ‒ ‒
.Weislich hatte man einst die 
Gefahr erkannt,
die aller 
Formverachtung innewohnt! ‒
.Gar hurtig lässt sich jetzt fällen, was 
Jahr‐
hunderte brauchte und 
Jahrtausende, um
so zu verwachsen, dass es wahrlich 
Schutz ge‐
währen konnte! ‒ ‒
.Lange aber wird die Zeit der steten 
Stürme
währen, auch wenn man schliesslich 
neu den
Wald zu pflanzen sucht, der ihnen vordem
wehrte...
.So rächt sich 
jede Missachtung der 
Form!
Man sieht nur das 
Äussere und vergisst, dass
es eines 
Inneren Offenbarung ist! ‒ ‒
*           *
*
.Des Menschen 
Wohnstatt ist gleichsam sein
äusserstes Kleid in dieser Aussenwelt, und
wie seines Körpers 
Gewandung ihn offen‐
baren kann, so auch die 
Wohnstatt, die er
sich schuf. ‒
.Ist es in deine Macht gegeben, dir dein eige‐
nes Haus zu bauen, auch wenn ein Anderer,
der in der Kunst des Bauens wohlerfahren
ist, für dich die Form gestaltet, so wird dein
Haus wohl schon von 
aussen zeigen wer du
bist...
.Aber auch wenn du in Räumen wohnst, auf
deren Gestaltung dir aller Einfluss fehlte, wird
doch die Art 
wie du die fremden Räume dir 
zu
eigen machst, dem Kundigen gar viel von dir
zu sagen haben...
.Du wirst ihn nicht täuschen, auch wenn du
die ersten Künstler deines Landes aufgerufen
hast, dir herrliches Wohngerät zu schaffen und
 
ihre Kunst in deiner Räume Ausgestaltung zu
bekunden...
.Es wird alsbald zu sehen sein, ob nur die
Künstler hier sich offenbaren, denen Auftrag
wurde, schöne Räume zu gestalten, oder ob sie
deines eigenen Wesens Spur zur Richtschnur
nehmen konnten und ihm, als Berufene, Aus‐
druck schufen. ‒
.Vielleicht ist deine Wohnstatt aber vorge‐
formt von Früheren die in den gleichen Räu‐
men oder mit dem gleichen Hausgerät einst
lebten? ‒
.Vielleicht erzählt dir jedes Stück des Haus‐
rats von den Menschen die einst vor dir waren
und deren Blut du in dir fühlst? ‒
.Vielleicht sind so die Formen aller Zeiten nun
in deinen Räumen eng vereinigt und manches
schöne Erbstück wurde einst aus fernen Zonen
heimgebracht? ‒
.Auch dann wird deine Wohnstatt immer
deiner Artung Zeugnis sein, denn was sie auch
enthalten mag an alten Dingen und wie sehr die
Patina der Stimmung alter Zeiten noch auf
ihren Formen fühlbar wird: ‒ stets wird die Art,
wie du das Alte nun zu deines Lebens äusserer
Umkleidung machst, den Dingen 
neue Wertung
geben, die von 
dir allein nur herzuleiten
ist. ‒ ‒
.Doch glaube nicht, dass schöne Dinge dich
umgeben müssen und mannigfache Kostbarkeit!
.Auch wenn du in 
Armut lebst und kaum das
Allernötigste dein eigen nennst, wird dennoch
deine Wohnstatt von der 
Harmonie noch zeu‐
gen die in dir zu finden ist, wie sie desgleichen
auch die innere 
Verwirrung und die wilde
Unrast widerspiegeln wird, wenn du noch
nicht zur Harmonie gefunden hast...
.Was immer du besitzen magst, stets wird dein
innerer Besitz sich in dem äusseren 
offen‐
baren!
.Dein Heim, und sei es noch so eng und arm,
trägt stets die 
Prägung deiner Seele, zeigt
stets die Form in der du selbst die Aussenwelt
dir zu 
gestalten weisst! ‒ ‒
.Es wäre arger 
Irrtum, wenn du glauben soll‐
test, für einen der zum 
Geiste strebt, sei es ein
eitles Tun, darauf zu achten, dass alles was ihn
hier in dieser Aussenwelt umgeben mag, auch
seiner 
Liebe teilhaft werde!
.Auch hier ist durch die 
Ehrfurcht vor dem
Geiste schon geboten, dass deine Heimstatt rein
und schön trotz aller Armut sei; und ward dir
Wohlstand zugeteilt, dass du nichts um dich
duldest, das nicht eines Menschen würdig wäre,
der dem Geiste selbst zum 
Tempel werden
will. ‒ ‒ ‒
.Du wirst gar sehr darauf zu achten haben,
dass du der Dinge auch 
bewusst bist, die in
deinen Räumen dich umgeben!
.Nichts ist hier jemals bedeutungslos, und
auch das Geringste darf deiner Aufmerksamkeit
nicht entgehen! ‒
.Die Form die dich umgibt wirkt auf 
dich
selbst zurück, ‒ auch dann, wenn du sie kaum
bewusst gewahrst. ‒ ‒
.Nie kannst du 
Sorgfalt genug an deine
Heimstatt wenden!
.Die Arbeit deines 
Berufes mag es dir 
un‐
möglich machen, gleiche Sorgfalt auch dem
Raum der Arbeit zu widmen.
.Dort wird vielleicht dir jede Möglichkeit ent‐
zogen sein, den Raum nach 
deiner Art zu
formen, und manche harte Arbeit ist an einen
Ort gebunden, der kaum noch «Raum» zu
nennen ist. ‒
.Vielleicht auch ist die Tätigkeit, der du ob‐
liegst, an sich durch Räume nicht umhegt.
.In deiner Heimstatt aber bist du frei und
kannst nach deiner Art sie formen!
.Hier darf dein Auge nichts erblicken, das dir
die Harmonie der Seele stören könnte. ‒
.Die Heimstatt soll dir Zuflucht sein und
dich durch alles was sie bergen mag, zur Freude
stimmen: ‒ zu warmer, reiner seelischer Heiter‐
keit!
.Auch wenn dich Düsteres vordem umgab
und böse Dinge schwer noch auf dir lasten mö‐
gen, sollst du bei dem Betreten deiner Wohn‐
statt alles von dir schütteln, was dich nie‐
derdrücken will! ‒
.Hier sollst du wieder zu dir selber kommen
und zu deiner höchsten Höhe! ‒ ‒ ‒
.Hast du die Sorgfalt aufgewendet, die von‐
nöten ist, damit dein Heim in allen Stücken
deiner würdig sei, dann wird der ärmste Haus‐
rat so zu deiner Seele sprechen, dass sie alsbald
sich wiederfinden wird, auch wenn sie in dem
wilden Lärm des Alltags draussen sich gar weit
verloren hatte. ‒ ‒
.Was immer dich in deiner Wohnstatt dann
umgeben mag, wird dich erinnern an dein
bestes Fühlen, wird zu dir sprechen als
deine Welt, und wird dir 
Ruhe und heiteren
Frieden geben! ‒
*
.Ein jedes Stück, das deine Heimstatt auf‐
erbaut, ist des Menschen 
Werk.
.Achte darauf, dass auch jedes Stück die edle
Prägung der 
Menschenwürde trage! ‒
.Der du des 
ewigen Geistes Stimme in dir
selbst vernehmen willst: ‒ wie dürftest du in
deiner Heimstatt Dinge um dich dulden, die
scheinen wollen, was sie nicht sind, ‒ die das
Gesetz der Form gleichsam 
verhöhnen! ‒ ‒
.Die Gegenwart ist leider angefüllt mit Dingen,
die man am besten ins Meer versenken würde,
dort wo es am tiefsten ist! ‒
.Fühllos wird jede 
echte Form, die Aus‐
druck eines inneren Empfindens ist, von ge‐
schäftigen Händen 
nachgeahmt; aber das
Leben der Form 
entweicht bei solchem Tun
und was übrig bleibt ist 
Leiche...
.Man hat vergessen oder nie geahnt, dass jede
Form ein 
lebendiges Zeichen einer 
Sprache
ist und etwas zu 
sagen hat. ‒ ‒
.So häuft man «Leichenteile» zu «Leichen‐
teilen» ohne sich dessen auch nur bewusst zu
sein. ‒
.Die Völker des Ostens wissen es anders,
soweit sie noch nicht durch die Menschen des
Westens verdorben sind. ‒
.Es sei mir erlaubt, hier eine Begebenheit zu
erwähnen um des Beispiels willen.
.Ein grosses Handelshaus Europas sandte
Ware nach dem Orient, die dort auf reichlichen
Absatz stets rechnen konnte.
.Um die Verpackung schöner zu gestalten,
liess man eines Tages neue Entwürfe einer far‐
benfrohen Ornamentik in den Formen östli‐
cher Kunst verfertigen und glaubte dadurch
gewiss der Ware noch grössere Abnehmerkreise
zu sichern.
.Aber der Kaufherr musste erleben, dass seine
ganze Sendung wiederkam. ‒
.Die Händler des Ostens, die sie vordem stets
begehrten, hatten es abgelehnt, sie in der
neuen Packung anzunehmen.
.Und dies war die Begründung ihrer Weige‐
rung:
.Sie sagten, dass sie ihres Lebens nicht mehr
sicher seien, wollten sie diese neue Packung
auch nur in ihren Läden dulden, denn alle For‐
men die auf ihr zu sehen seien, bedeuteten für
den frommen Hindu ‒ ‒ gröbliche 
Gottes‐
lästerungen...
.Würde der Mensch des Westens noch in glei‐
cher Weise Formen zu 
empfinden fähig sein,
dann wäre wohl 
vieles in seiner Umwelt, das er
aus seinem Empfinden heraus mit 
gleichem
Abscheu von sich weisen müsste. ‒ ‒
.So aber weiss er die 
Sprache der Form nicht
mehr zu deuten, und leidlicher Geschmack der
Anordnung und Farbengebung tut seiner For‐
derung Genüge.
.Doch glaube man nicht, dass ich hier nur von
Dingen rede, die als 
Schmuck und 
Zierde be‐
trachtet werden!...
.Der einfachste 
Tisch oder 
Stuhl kann das
Leben der Form in sich tragen, so wie auch das
prunkvollste Möbel gleicher Art nur 
totes
Gerüste sein kann, «verziert» mit «Leichen‐
teilen»...
.Das Gleiche gilt von allem 
Gefäss und 
Ge‐
rät, die auch das einfachste Leben verlangt. ‒ ‒
.Darum 
sorge dafür, dass dich nur Dinge um‐
geben, die du vor dem 
Geiste, den du in dir
finden willst, so du ihn einst 
findest, auch
verantworten kannst!
.Du trägst 
wahrhaftig dafür 
Verantwor‐
tung, dass 
nichts in deinem Hause sei an
Hausrat oder Zier, das mit der Würde eines
Menschen, der zum «
Tempel des Geistes»
werden will, sich nicht vereinen liesse! ‒ ‒ ‒
.Es ist dazu nicht nötig, dass du Bescheid
weisst über Kunst und künstlerische Dinge.
.Gar vieles kann dem Künstler wertvoll sein,
und vieles findest du als alter Zeiten Werk in
den Museen, das dennoch 
nicht der 
Menschen‐
würde Prägung trägt, auch wenn es kündet von
eines Menschen grossem 
Können. ‒ ‒
.Was 
dir als Massstab dienen soll, ist 
anderer
Art!
.Du, der sich dem 
Geiste einen will, der 
Har‐
monie und 
Klarheit, 
Licht und 
Wahrheit
in sich selber ist, wirst 
nichts um dich dulden
dürfen, das in seinen Formen 
Disharmonie
verrät, das 
Unklarheit erzeugt und dich in
einen Schlaf des dumpfen 
Dunkels lullt!
.Was dich umgibt, muss Formen zeigen die du
selbst als 
wahr und 
rein empfindest!
.Verbanne aus deinem Bereiche alles, was 
Un‐
wahrheit offenbart in seiner Form, oder was
dadurch unwahr 
wird, weil es mit deinem eige‐
nen Empfinden nicht zu vereinen ist! ‒
.Vergiss niemals, dass alles was dich umgibt,
auf dich 
zurückwirkt und 
dich selber
formt! ‒ ‒
.Du nimmst gewiss nicht jeden Menschen
wahllos auf in dein Heim...
.So lasse auch alles 
Werk aus deiner Wohn‐
statt draussen, von dem du nicht willst, dass es
von 
Einfluss auf 
deiner Seele Formung
sei! ‒ ‒ ‒
*           *
*
 
.Auch deine Freude muss edle Formung
finden, soll sie deiner würdig sein. ‒
.Du liebst es vielleicht, dich in deiner Freude
«gehen zu lassen» und magst nicht gerne
dich dazu verstehen, auch in der Freude auf
Form zu achten? ‒
.Das Beste deiner Freude scheint dir dahin zu
sein, wenn du dich ihr nicht schrankenlos
überlassen darfst...
.Noch kannst du dir keine so recht beglücken‐
de Erdenfreude zur Vorstellung bringen, sobald
dir gesagt wird, dass du auch deine Freude
formen sollst in edelster Form. ‒
.Hier aber bist du in einem Irrtum befangen,
den gar viele mit dir teilen! ‒ ‒
.Glaube nicht, mir sei er wohl immer fremd
geblieben!
.Siehe mein Freund, auch ich habe ehemals
manchen Irrtums lockende Strasse durchschrit‐
ten, die hier auf diesem Planeten Menschen‐
geister ver-führt...
.Wie wäre ich sonst wohl dazu bereitet worden,
denen, die mein Wort erreicht, zu helfen?! ‒
.Wenn ich dir nun rate, auch deine ausgelas‐
senste 
Freude noch zu 
formen, so weiss ich,
was das besagen will, und weiss zugleich, dass
ich nur deine Freude 
mehre, so du mir folgen
magst. ‒ ‒
.Niemals betrügt sich der Mensch so sehr, als
wenn er da vermeint, die rechte 
Freude müsse
hemmungslos sich wie ein Wildbach ergiessen
können! ‒
.Der Wildbach gibt mir hier ein wohlgeeigne‐
tes 
Bild, und wenn ich in diesem Bilde bleiben
darf, dann sei daran erinnert, dass auch der
Wildbach nur 
gefahrlos wird, wenn man ihn
einzudämmen, wenn man seine Strasse zu
formen weiss. ‒
.Wehe aber den Fluren, ‒ wehe der jungen
Saat, wenn er in seiner Frühlingsvollkraft über‐
schäumt und seines naturgebundenen Laufes
Steinbett verlässt!! ‒
.So auch wird deine Freude dir zur 
Gefahr,
solange sie nicht deine Formung trägt, und
‒ glaube mir ‒ auch ich habe vordem solche
Gefahr gar oft erfahren, so dass ich wahrlich
vor ihr warnen darf!...
.Wie der Lotse die Klippen sehr wohl kennen
muss, bevor er das Schiff gefahrlos durch die
Brandung in den Hafen leiten kann, so ward
auch mir gar wohl bekannt durch die Erfahrung
eines Menschenlebens, was es zu vermeiden
gilt, soll eines Menschen geistiges Ziel ihm end‐
lich erreichbar werden, trotz aller hohen See
der Leidenschaft und allem Sturm der Triebe...
.So gerne du auch in deiner Freude dich «ver‐
gessen» möchtest, ‒ «dich» vergessen, den du
selber aufgerichtet hast in deiner Vorstellung,
und dem du den Namen gegeben hast, als sei
er wirklich du selbst, ‒ sei wachsam und achte
der Gefahr, der du nur begegnen kannst,
wenn du auch deine Freude zu formen
weisst! ‒ ‒ ‒
.Du wirst zwar bedauern, dass du nicht völlig
dich deiner Freude überlassen kannst, ‒ aber
bedenke wohl, dass alles, dem du dich völlig
überlässt, dich nur zu seinem Sklaven
macht! ‒
.Hier aber sollst du zum 
Herrn deiner Freude
werden und sie soll deiner Formkraft völlig
unterordnet sein!
.Ich rede hier nicht von den stillen dauernden
Freuden die dein wohlgeformtes Leben dir er‐
spriessen lässt wie allgemach in einem wohl‐
gepflegten Garten Blumen spriessen durch des
ganzen Jahres Lauf. ‒
.Kaum wird es dir entgangen sein bisher, dass
ich vielmehr von deiner 
Freude rede, soweit sie
zu besonderem 
Anlass ihr besonderes 
Recht
erheischt. ‒ ‒
.Gar vielfältig kann solcher Anlass sein und
gar vielfach kann er dir begegnen...
.Bist du dir bereits bewusst geworden, dass
dein ganzes Leben durch dich 
Formung
finden soll, so wird es dir leicht sein, auch deine
Freude zu formen, sobald du nicht dem
Wahne lebst, dich in der Freude endlich 
ver‐
gessen zu dürfen. ‒
.Es sind wahrhaftig nicht die Schlechtesten,
die da zuweilen glauben, dass die Freude ihnen
nur gegeben sei, um sich «vergessen» zu kön‐
nen!
 
.Wer aber ist es, der so vergessen wird?!?
.Du selbst bist es wahrlich 
nicht, auch
wenn du im fröhlichen Maskenspiel die dir
fremdeste Maske wähltest!
.Stets wirst 
du selber es sein, der sich als das
«
Ich» dieser Maske fühlt. ‒ ‒
.Was du 
vergessen willst, wäre wert, dass du
es auch in deinem 
Alltagsleben vergässest! ‒ ‒
.Du selbst hast es dir zum 
Tyrannen ge‐
schaffen, und 
deiner Schöpfung Werk wird dir
so 
lästig, dass du es gerne wieder 
vergessen
möchtest, wozu denn deine 
Freude dich 
auf‐
zufordern scheint! ‒ ‒ ‒
*
.Du hast in dieser Erdenwelt dein 
Erden‐
kleid gefunden.
.Schon als du ein 
Kind noch warst, hat man
dir dieses und jenes davon zu sagen gewusst,
was 
du selber seiest...
.Dich selber glaubtest du genau bestimmt
durch Lob und Tadel, ‒ durch der Erwach‐
senen 
Wertung deiner kindlichen Daseins‐
äusserung...
.Herangewachsen «wusstest» du, dass du das
Kind einer sehr genau bestimmten 
Familie
 
seiest, und all dein Tun ward mitbestimmt
durch solches «Wissen». ‒ ‒
.Dann aber machtest du dich «frei» von aller
Familienbande, «wusstest» dich als Kind deines
Volkes, und aller Wert, den du dir selber
gabst, entstammte deiner Tüchtigkeit, oder
deinem mangelhaften Erfolge in irgend einem
menschlichen «Beruf»...
.Ob du dazu berufen warst, ihn auszuüben,
wusstest du am Ende selber kaum. ‒
.Du bist in ihn «hineingewachsen» und deine
«Aufgabe» siehst du nun darin, ihn so zu «er‐
füllen», dass alle die dir «vor-gesetzt» sind,
oder ein «Urteil» haben, dich nicht «ver‐
urteilen» und dich keinem «nach-setzen.» ‒ ‒
.Was du so in anderer Augen warst, ‒ als was
du Anderen erscheinen mochtest, ‒ das war
dir und ist dir vielleicht noch heute genaue Be‐
stimmung dessen, was du bist! ‒
.Der Anderen «Wertschätzung» bestimmt
dir deinen eigenen Wert. ‒
.Der Anderen «Bewunderung» lässt dich dir
selbst als wundersam erscheinen. ‒
.Der Anderen «An-erkennung» lehrte dich
allein dich selbst vermeintlich erkennen. ‒
.Der 
Anderen «Ver-achtung» schien dir so
begründet, dass du selbst dich nur in aller
Heimlichkeit noch 
achten konntest, und vor
dir selber fürchtest, du seiest nur ein Sklave
deiner 
Eitelkeit, wenn dennoch sich in dir
etwas «
erhob», das gegen die «Ver-achtung»
Anderer sich wild «empörte», weil es aus der
Niedrigkeit, die du dir selber gabst, 
empor ge‐
langen wollte! ‒ ‒ ‒
.So hast du 
alles, als was du 
dich selber
fühlst, von 
Anderen empfangen, und keines‐
wegs weisst du aus 
dir selber, wer du 
bist!
.Es ist wahrlich kein Wunder, wenn du «
ver‐
gessen» möchtest, was nur in den Augen 
An‐
derer für dich selber gilt!
.Es ist wahrlich kein Wunder, wenn du zu
vergessen strebst, was 
Andere ‒ aus dir
machten! ‒
.Dich selbst aber willst du 
gewiss nicht
vergessen!
.Du gibst nur einer 
Vorstellung, die 
Andere
dir 
eingegeben haben, das Recht, für dich
selber zu 
gelten. ‒ ‒ ‒
.Siehe, darum rate ich dir: vergiss 
dich sel‐
ber nicht in deiner Freude!
 
.Der, den du 
vergessen möchtest, da er dich
peinigt, als deine eigene Schöpfung nach 
An‐
derer Mass, ‒ den 
darfst du gewiss verges‐
sen, und du tust 
gut daran, wenn du ihn 
als‐
bald vergessen wirst! ‒ ‒ ‒
.Aber 
dich selbst sollst du gar hoch 
er‐
hoben fühlen in deiner Freude!
.Was immer dir 
Freude bringt, soll dir ein
Anlass sein, 
deine formende Kraft zu er‐
proben!
.Du wirst deine Freude 
verhundertfältigen
können, wenn du es verstehst, sie zu 
formen
nach 
deiner Artung 
Massgerechtigkeit! ‒ ‒
.Du selbst musst das 
Mass für die 
For‐
mung deiner 
Freude sein, ‒ nicht jenes 
Ge‐
spenst, das 
Andere für dich selber 
hal‐
ten! ‒ ‒ ‒
.Der 
Anderen Form der Freude sollst du
achten, so immer sie irgendwie 
Achtung noch
verdient, allein sie darf nicht «Vor-Bild» 
dei‐
ner Form der Freude werden, es sei denn, dass
sie völlig 
deiner Artung wäre! ‒ ‒
.Forme, mein Freund, deine 
Freude nach
deiner 
eigenen Form, und sei meiner Worte
eingedenk, dass 
dann nur deine Freude niemals
 
dich gereuen wird, wenn du sie in Form zu
binden weisst! ‒ ‒ ‒
.Du selbst musst Mass deiner Freude geben,
wenn sie dich nicht 
täuschen soll! ‒ ‒
.Du selbst bist deiner Freude 
Folge aller‐
sicherste 
Gewähr, so du nur alle deine Freude
formen willst nach deiner, 
dir von 
Ewigkeit
bestimmten 
Form! ‒ ‒ ‒
*           *
*
.Auf deinem Leidenslager liegst du in arger
körperlicher Not, und allzuschwer erscheint es
dir, in solchem Leide noch danach zu streben,
auch dein Leid zu formen...
.Angstvoll spähst du vielmehr nach äusserer
Hilfe aus, und jedes Tränklein dem du dein
Vertrauen schenkst, erscheint dir weitaus wich‐
tiger als solches Tun...
.In guten Tagen meintest du vielleicht, du
seiest längst schon «über alles Irdische er‐
haben». ‒
.Nun musst du sehen, wie gar sehr du noch
der Erde verhaftet bist. ‒ ‒
.Aber du willst es nicht fassen, dass deine
geistige Kraft dich aus der Verhaftung lösen
könnte, auch wenn sie vielleicht nicht völlig
dich befreit. ‒
.Gewiss, dein armer Leib ist so geplagt, dass
er seiner Sinne kaum noch mächtig ist...
.Du kennst nur noch das eine Flehen: ‒ dass
deinem Leide ein Ende werde...
.Wie Hohn erscheint es dir da, von einer For‐
mung auch des Leides zu reden. ‒
.Ach siehe: ich weiss dein Leid wahrhaftig zu
empfinden, denn selten nur war ich völlig vom
Leide verschont. ‒ ‒
.So darf ich wahrlich auch vom Leide reden
und von des Leides Überwindung durch die
Form in der man es zu ertragen weiss...
.Ich selbst weiss nur zu gut, wie sehr des Kör‐
pers Leid auf einem Menschen lasten kann und
wie es dennoch durch Formung zu bändigen
ist. ‒
.Es übersteigt fast alle Vorstellung, was durch
geistige Formung bewirkt werden kann, und
wie durch geistige Einstellung das Körper‐
liche, wie quälend es auch sei, stets noch zu
bezwingen ist. ‒ ‒ ‒
.Was du kaum noch ertragen zu können
glaubst, solange du zeterst mit dir selbst und
haderst mit deinem Schicksal, das wirst du als‐
bald überwinden, so du es willig erträgst,
als sei es mit der dir gemässesten Form deines
Lebens ganz selbstverständlich ver‐
knüpft, ‒ als 
könne es gar nicht 
anders
sein. ‒ ‒
.Wohl dir, wenn du körperliches Leid so 
ent‐
werten lernst, dass du es 
nicht mehr achten
musst!
.Solange du noch deinem Leide 
dich über‐
gibst wie ein Sklave seinem grausamen Herrn,
von dem er zitternd der Peitsche Hieb erwartet,
hast du deinem Leide noch nicht die 
Formung
gegeben, die deiner würdig ist! ‒
.Nur mit «Ver-Achtung» sollst du deinem
Leide begegnen, und nur als sein 
Verächter
wirst 
du seiner 
Herr!! ‒
*
.In gleicher Weise musst du nach 
Herrschaft
streben, auch bei allem 
anderen Leide, das dir
begegnen mag!
.Auch 
seelisches Leid will dich 
erniedrigt
sehen und über dich herrschen! ‒
.Auch davon weiss ich genugsam zu sagen und
rede auch hier gewiss nicht als einer, der von
ihm fremden Dingen spricht! ‒ ‒
.Ich fand aber viele die ihr seelisches Leid so
sehr 
liebten, dass sie es kaum von sich lassen
wollten, als es sie von selbst verliess...
 
.Dieses ist wahrlich 
nicht die rechte Art, dem
Leide zu begegnen, das die Seele 
niederdrük‐
ken will!
.Auch dein 
seelisches Leid sollst du 
beherr‐
schen lernen und in eine 
Form zu zwingen
wissen, die deiner 
würdig ist! ‒ ‒
.Solange du noch «grübelst» in dir selbst, um
etwa 
deines Leides letzten 
Sinn zu «ergründen»,
gräbst du nur deiner 
Kraft des Widerstan‐
des eine Grube!...
.Der «Sinn» deines Leides ist nicht zu ergra‐
ben, denn wahrlich: ‒ nicht eher hat dein Leid
einen «Sinn», als bis 
du selbst ihm einen 
gibst,
und nur in 
diesem Sinne kann es «
sinnvoll»
für dich werden! ‒ ‒
.Dein Leid mag 
bitter zu verkosten sein,
doch sollst 
du selbst dich nicht durch dein
Leid 
verbittern lassen! ‒
.Dein Leid mag dir «
gross» erscheinen über
alles Mass, doch sollst 
du selbst deine Grösse
nicht von deinem 
Leide erborgen! ‒ ‒
.Du sollst deinem Leide keinen Altar errichten
in dir selbst, und sollst es nicht in erhobenen
Händen vor dir einhertragen wie ein Heiligtum!
.So wie du körperliches Leid 
ver-
achten
 
lernen musst, so wirst du das Leid deiner Seele
verarbeiten lernen müssen: ‒ verarbeiten zu
einer 
Form die dir 
dienen muss, 
dich selber
zu formen! ‒ ‒ ‒
.Auch deinem 
Leide darfst du 
dich selbst
nicht 
überlassen!
.Du musst dich selber 
über dein Leid 
er‐
heben und ihm 
gebieten lernen!
.Du selbst bist das 
Bleibende, ‒ dein Leid
aber ist 
vergänglich, und es ist 
Lüge, wenn
es dich betören will, an seine 
Dauer zu glau‐
ben! ‒ ‒
.Lerne dem Leide 
Schranken setzen, die es
formen müssen nach deinem 
Willen! ‒ ‒
.Des 
Unheils Wirkung wird dein Leid nur zei‐
gen, wenn du es nicht zu 
bändigen weisst! ‒ ‒
.Nur als 
Überwinder deines Leides aber
kannst du in den 
Geist gelangen!
.Dich selbst musst du wahrlich 
höher
werten als dein Leid, denn 
in dir selber will
sich des 
Geistes Funkenstrahlenlicht dir
offenbaren! ‒ ‒ ‒
*           *
*
.Willst du den Weg durchschreiten, den ich
in so mancher Rede dir in anderen Büchern
schon zu beschreiben wusste, als einer, der ihn
kennt, ‒ den Weg, der zum Lichte in dir selber
führt, dann wirst du manchem Wahn ent‐
sagen müssen! ‒ ‒
.Vor allem aber dem Wahne, dass dein Erden‐
leben nun einmal «Bestimmung» sei und so
durchlebt werden müsse, wie es gerade kommen
mag! ‒ ‒
.Wer so sein Erdenleben durchlebt, ist einem
Baumeister gleich, der ohne jeden Plan und
Grundriss Erde ausheben lassen würde um dann
zu bauen, wie immer es werden möge, bis ihn
der letzte Stein am Weiterbauen hinderte. ‒
.Wohl möglich, dass ihm sein wilder Bau ge‐
länge und ein abstruses Gebilde so zustande
käme.
.Weit eher aber dürfte die Voraussicht Recht
behalten, dass eines Tages über seinem Kopf
zusammenstürzen müsse, was er in planlos
törichtem Tun aufeinandertürmte. ‒ ‒
.Sei du nicht einem solchen Toren gleich!
.Was du dein Erdenleben nennst, ist 
rohes
Material, das allerdings, so wie du es auf
Erden fandest, dir 
gegeben ist und an dem du
fast 
nichts oder 
wenig nur ändern kannst.
.In 
deine Hand jedoch ist es 
allein gegeben,
was du in 
geistiger Form aus ihm 
erbauen
wirst, und keine Macht der Erde wird dich hin‐
dern können 
so zu bauen, wie es der «
Grund‐
riss», den deine 
Seele sieht, von dir verlangt. ‒
.Du wirst mir entgegnen wollen, dass doch
vieles 
nicht in deine Hand gegeben sei: ‒ dass
dich in vielen Dingen 
Andere behindern könn‐
ten, ‒ ja, dass die Aussenwelt dir deinen ganzen
Bau in Stücke schlagen könne.
.Ach, lieber Freund, solange du noch 
solche
Rede führst, hast du noch 
nicht erkannt, wo‐
von ich zu dir spreche!...
.Dein 
äusseres Bauen ist wahrhaftig 
nicht
durch 
dich allein bestimmt, und deine schön‐
sten Aussenmauern kann man 
stürzen ehedenn
du die Kuppel wölben konntest über deinen
stolzen Bau! ‒ ‒ ‒
.Dein 
geistiges Bauen aber kannst nur 
du
selber stören oder durch Andere stören 
lassen,
denen du solche Störung 
erlaubst! ‒ ‒ ‒
.Es ist die Rede hier von dem 
Kunstwerk,
zu dem dein 
geistiges Leben werden soll!
.Dein Erdendasein schafft dir täglich neues
Material aus dem du dein 
geistiges Leben
kunstvoll auferbauen kannst!
.Nie wird es dir an «Steinen» und «Bauholz»
fehlen!
.An 
dir aber wird es sein, das rohe Material in
solcher Weise zu 
bearbeiten, dass es sich dem
erhabenen Grundriss anpasst, den deine Seele
in sich selber findet, in ihrem innersten
Schrein! ‒
.An 
dir wird es sein, den rechten «Mörtel» zu
bereiten, der Baustein an Baustein bindet!
.An 
dir wird es sein, die «Balken» so zu fügen,
dass sie 
tragen können!
.Du wirst 
nichts von dem 
verachten dürfen,
was dir dein Erdendasein alltäglich zuführen
mag!
.Es ist alles zu deinem geistigen Bau auf
irgend eine Weise vonnöten und wird gute
Dienste tun, so es nur erst durch dich die bau‐
gerechte Formung fand! ‒ ‒ ‒
.Jedoch kann nichts deinem geistigen Bau
sich einen, das nicht zuvor bearbeitet ist und
in geistiger Weise vorgestaltet! ‒
.Was immer der Alltag dir bringen mag: ‒
stets frage dich selbst, wie es alsbald zu formen
ist um deinem geistigen Tempelbau zu
dienen!
.Alsdann aber gehe sogleich ans Werk und
raste nicht eher, als bis das Rohe seine rechte
Form erhielt! ‒
.Je mehr du in solchem weisen Werk dich üben
wirst, desto leichter wird es dir werden!
.Was dir noch heute kaum möglich erscheint,
wird dir gar bald schon mit geringer Mühe ge‐
lingen!
.Nur musst du Ausdauer zeigen bei solchem
Werk!
.Du darfst nicht etwa heute begeistert be‐
ginnen und dann nach wenigen Tagen schon das
Meiste liegen lassen! ‒
.Was du nicht verarbeitet hast, wird dir
dann 
im Wege liegen, und so wirst 
du selbst
dich sehr 
behindern, auch wenn du zu späte‐
rer Zeit aufs neue beginnen willst! ‒ ‒
.Noch heute, da du meine Worte vernimmst,
suche in deiner Seele innerem Schrein den Bau‐
plan hervor!
.Er ist dort wohlverwahrt und du wirst ihn
finden, wenn du mit aller 
Ruhe sicherer Ge‐
wissheit suchst!
.Kein hastiges Stöbern wird ihn zutage för‐
dern!
.Hast du ihn aber gefunden, dann gehe als‐
bald ans Werk und bleibe deinem Werke treu!
.Du wirst den Bauplan erst 
beim Bauen
selbst verstehen lernen, und so es dann nötig
wird, wirst du auch die 
Einzelpläne finden,
die dir heute noch nichts nützen könnten!
.Allmählich wird deine formende Kraft 
er‐
starken und du wirst zum 
Künstler werden
an deinem 
Werk!
.Dir kann keine «Schulung» ersetzen, was
dich das 
Werk allein zu lehren weiss! ‒ ‒ ‒
.Noch bist du nicht entfaltet und weisst selbst
noch nicht, was in dir sich verbirgt!
.Du hast zu dir selbst noch kein Vertrauen
und möchtest Plan und Arbeitslehre lieber von
Anderen empfangen!
.Doch, dein Vertrauen wird dir werden,
wenn du erst sehen wirst, was du in dir trägst! ‒
.An deiner eigenen Arbeit nur nach dem in
dir verborgenen Plan wird es mählich wachsen,
und dann wirst du erkennen, dass dir geholfen
wurde weil du dir selbst vertrautest, auch
wenn du nur die Hilfe und noch nicht die
Helfer gewahrst! ‒ ‒ ‒
.Nur solche geistige Hilfe kann dir von
Nutzen sein! ‒
.Alles was man dir von aussen her sagt,
kann dich nur aus deinem Schlafe zur Arbeit
wecken, ‒ kann dir Anstoss werden, mit
deinem besten Tun zu beginnen! ‒ ‒
.Die Hilfe aber, die du dann bei deinem
Werke brauchst, darf dir nur auf geistige
Weise in deinem Innern werden, so sie dir
wirklich Beistand leisten soll! ‒ ‒ ‒
.Auch wenn du in der Aussenwelt aller Kunst
sehr ferne stehst, ist doch in deinem Innersten
ein Künstlertum in dir beschlossen, das nur an
deinem Werke geistig sich entfalten kann!
.Hier 
in deinem Innersten, wird man dich
zu hoher Kunst zu leiten wissen: ‒ zur Kunst,
dein 
geistiges Leben zu gestalten nach des
ewigen Geistes innewohnendem Gesetz! ‒ ‒ ‒
.Von dir wird nur 
erwartet und 
verlangt,
dass du alles Rohe, was dir dein Erdendasein
zuführt Tag für Tag, aus eigener formender
Kraft 
bearbeiten lernen willst um es zur
Form zu gestalten! ‒
.Darum sprach ich dir in diesem Buche in so
mannigfacher Weise von der Notwendigkeit der
Form! ‒
.Behauptest du mit Recht, dass dich im äusse‐
ren Leben vieles hindern kann, dein Leben so zu
formen wie du es gestaltet sehen möchtest, so
muss ich dir dennoch sagen, dass du auch dort
weit mächtiger bist als du vermeinst! ‒ ‒
.Nur wirst du vom 
Inneren her das Äussere
bestimmen müssen! ‒
.Suche alles, was dir dein äusseres Leben
bringen mag, in 
geistiger Weise zu verwerten,
indem du es geistig zu 
formen strebst, und du
wirst manches Hindernis, das dir im 
äusseren
Leben unüberwindlich erschien, dir gar bald
 
durch dein weises 
geistiges Tun aus dem
Wege räumen! ‒ ‒ ‒
.Dein ganzes 
äusseres Leben wird sich nach
dem Bilde deines 
geistigen Lebens wandeln,
so du nur alles Äussere dir geistig zu 
formen
weisst! ‒ ‒
.Gar manche nannte man «Künstler des Le‐
bens» weil sie geschickt und sicher sich den
Fährnissen entwandten, die das äussere Leben
unerfreulich machen können.
.Die 
Kunst des Lebens aber von der ich dir
rede, wird dir 
auch dann nicht verloren sein,
wenn du das äussere Leben auf dieser Erde einst
verlassen musst!
.Sie wird dich ihre edlen Früchte hier in die‐
sem 
Erdendasein schon geniessen lassen und
sie alsdann in reichster Fülle einst in jener
neuen Daseinsart dir bieten, die auf dieses
Erdenleben 
folgt! ‒ ‒ ‒
.Wahrlich, es ist wert aller Mühen, diese
Kunst zu erlernen, und keinem versagt sie sich,
der ernsten 
Willens ist, 
sich selbst und 
alles
was er erleben mag, in 
geistiger Art zu
formen! ‒ ‒
.Ihm wird auch alle 
irdische Form erst ihren
tiefsten 
Wert offenbaren! ‒
.In 
aller Form wird er den 
Geist am Werke
finden! ‒ ‒ ‒
*           *
*
 
ENDE