NACHLESE II
Gesammelte Texte
aus Zeitungen und Zeitschriften
KOBERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG AG
BERN
BÔ YIN RÂ
ist der geistliche Name von
Joseph Anton Schneiderfranken
1.Auflage 1990
© by Kobersche Verlagsbuchhandlung AG
Bern
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die der Übersetzung
in fremde Sprachen und der Verbreitung in Rundfunk, Fernsehen
und auf Tonträgern jeder Art, auch auszugsweise
ISBN 3-85767-101-7
 
| INHALT
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Seite
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NACHLESE II
 
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Vorwort
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5
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AUFSÄTZE UND GESCHRIEBENE ANSPRACHEN ÜBER KUNST (1913 − 1920)
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Die Technik der Wandgemälde von Tiryns 
.Athen, Februar 1913 (Sonderdruck aus Athen. Mitteilungen)
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9
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Was gibt uns die Kunst?
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15
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Das Oberlausitzer Heimatmuseum
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21
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Ansprache zur Eröffnung der 
.Kunstausstellung Neumann-Hegenberg
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31
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Eröffnungsansprache anläßlich der Kunst‐ 
.ausstellung von Otto Wilhelm Merseburg
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37
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Hans Thoma. Zu seinem 80.Geburtstag
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41
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Die bösen Modernen
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48
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«Kino», Kultur und Kunst
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53
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Max Klinger
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63
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ABHANDLUNGEN
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Edison und der Spiritismus 
.(Magische Blätter, 1921)
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71
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Die «Meister» der «Weißen Loge» 
.(Magische Blätter, 1921)
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80
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Die Grundlagen wahrer Theosophie 
.(Theosophie, 1921)
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94
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Das «Wunder» der tanzenden Tische 
.(Magische Blätter, 1921)
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106
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Stimmen aus dem «Geisterreiche» 
.(Der Türmer, 1922)
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115
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BESPRECHUNGEN
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Dr.Carl Vogl und sein Buch «Unsterblichkeit» 
.(Magische Blätter, 1921)
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131
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«Meister in Indien» Von F.R.Scatcherd 
.(Besprechung der deutschen Ausgabe, Mag.Blätter 1921)
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138
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«Nachklang» Von Erika Watzdorf-Bachoff 
.(Magische Blätter, 1922)
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142
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Rezension, vielleicht auch Selbstanzeige 
.(Die Säule, 1927)
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146
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Das Bô Yin Râ-Brevier. Von Rudolf Schott 
.(Die Säule, 1935)
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149
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ZUR MITARBEIT AN DEN «MAGISCHEN BLÄTTERN» 
UND AN DER «SÄULE»
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Zuschriften an Bô Yin Râ 
.(Magische Blätter, 1921)
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157
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Mitteilung an den Leserkreis 
.(Die Säule, 1928)
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160
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Mein «Glückwunsch» 
.(an den Herausgeber der «Säule», Die Säule, 1929)
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165
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DANKESADRESSEN ZUM 50. UND 60. GEBURTSTAG
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Dank. Im Dezember 1926 
.(Die Säule, 1927)
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173
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Dank. Im Januar 1927 
.(Magnum Opus, 1927)
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177
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Den Gratulanten zu meinem 60.Geburtstag. 
.Im November 1936 (Die Säule, 1936)
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181
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PERSÖNLICHE ERINNERUNGEN
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Ein Leben 
.(Theosophie, 1915)
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187
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Alpenluft 
.(Der Türmer, 1922)
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196
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Herbst im Tessin 
.(Der Türmer, 1923)
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209
 | 
Wie wünscht sich der 
.Schweizer Schriftsteller seine Leser? 
.(Der Schweizer Bücherbote, Osterheft 1937)
 | 
216
 | 
.Bereits im Vorwort des ersten Bandes der neu OO
aufgelegten «Nachlese» konnten wir der Freude OO
Ausdruck geben, dass es möglich war, die Samm‐ OO
lung von Texten von Bô Yin Râ stark erweitert in OO
zwei Bänden herauszugeben. Entspricht der erste OO
Band mit Ausnahme von einigen Erweiterungen OO
mehr oder weniger dem 1953 erschienenen OO
Buch, so enthält dieser zweite Band bisher nicht OO
oder kaum bekannte Artikel von Bô Yin Râ aus OO
den 20er und 30er Jahren, darunter einige Be‐ OO
trachtungen über Kunst, die zwischen 1913 und OO
1920 in verschiedenen Tageszeitungen erschie‐ OO
nen und von der Familie des Autors freundlicher‐ OO
weise zur Verfügung gestellt wurden.  
.Bô Yin Râ hat sich aber nicht nur über das ihm OO
eigene Gebiet der Kunst geäussert; er hat ‒ wie er OO
in einem seiner Aufsätze selbst schreibt ‒ auch OO
Themen aufgegriffen, «die der Tag nahegelegt OO
hatte», wenn er sich dadurch für den Leser in be‐ OO
stimmten Fragen mehr Klarheit versprach. Dazu OO
gehören mehrere Abhandlungen sowie einige OO
Buchbesprechungen, die Bô Yin Râ für den ihm 
OO
freundschaftlich verbundenen Inhaber des Ri‐ 
OO
chard Hummel Verlags, Leipzig, verfasst hat. Für 
OO
den heutigen Leser, der sich die damalige Zeit 
OO
vergegenwärtigt, kann es wertvoll sein, sich ein 
OO
Bild davon zu machen, wie Bô Yin Râ stets leh‐ 
OO
rend und hilfreich bestrebt war, einerseits das Po‐ 
OO
sitive hervorzuheben, anderseits aber auch gele‐ 
OO
gentliche Fehlinterpretationen mit Nachdruck 
OO
richtigzustellen.
.Die Anordnung der Texte ergab sich von selbst; 
OO
nach Möglichkeit wurde die chronologische Rei‐ 
OO
henfolge bevorzugt.
.Leider sind die besprochenen Bücher im Buch‐ 
OO
handel nicht mehr erhältlich. Der Verlag ist somit 
OO
nicht in der Lage, Bezugsquellen zu nennen.
.Bern
.1990      Der
.Verlag
 
Außer «Die Technik der Wandgemälde von Tiryns» sind 00
alle Artikel in den Jahren 1919 und 1920 in verschiedenen 00
Görlitzer Zeitungen, besonders in den «Görlitzer Nach‐ 00
richten», erschienen.
DIE Malereien, deren Fragmente in Tiryns 
OO
gefunden wurden, betrachtet man kurzweg 
OO
als Fresken; aus maltechnischen Gründen dürfte 
OO
aber eine Modifizierung dieser Ansicht geboten 
OO
sein. Durch die Freundlichkeit Prof. Karos wurde 
OO
mir eine Untersuchung der Maltechnik dieser 
OO
Funde nahegelegt, und ich gebe nun hier die 
OO
Resultate.
.Man muß vor allem unterscheiden zwischen 
OO
der Technik der Gemälde des älteren und jener 
OO
des jüngeren Palastes.
.Die Fragmente vom 
älteren Palast zeigen einen 
OO
Farben-Auftrag, dessen Konsistenz unbedingt für 
OO
ein Bindemittel spricht, das 
der Farbe selbst beige‐ 
OO
mengt war, während bekanntlich beim Fresko 
der 
OO
Kalk des Wandbewurfs die Farbe bindet, die, 
ohne 
OO
mit einem Bindemittel versehen zu sein, 
auf die feuchte 
OO
Wand aufgetragen wird.
 
.Die Farbe liegt beim echten Fresko 
in der kla‐ 
OO
ren Schicht kohlensauren Kalks, die sich an der 
OO
Luft bildet, wie in einen spröden, glasigen, dün‐ 
OO
nen Firnis eingebettet und zeigt selbst nach star‐ 
OO
ker Verwitterung noch etwas von der ursprüngli‐ 
OO
chen Transparenz.
.Die Farbe der Gemälde des älteren Palastes da‐ 
OO
gegen ist 
in pastoser Schichtung aufgetragen. Oft lie‐ 
OO
gen mehrere Schichten übereinander, wie bei 
OO
dem Fragment eines Mannes mit Speer (Tiryns II 
OO
Taf.14) sehr schön zu sehen ist. Auf dem blauen 
OO
Grund, der hier die ganze Kalkfläche bedeckt, 
OO
sitzt das Rot der Hand und des Gesichtes, und auf 
OO
letzterem sitzt, sehr pastos, das Gelb des Bartes.
.Um solche dicke Schichten sicher zu binden, 
OO
reicht die Bindekraft des an der Oberfläche er‐ 
OO
scheinenden wässerigen Kalks nicht aus. Die 
OO
ganze Konsistenz der Farbe ist die einer dicken 
OO
Leim- oder Temperafarbschicht, doch können 
OO
diese organischen Bindemittel nach der chemi‐ 
OO
schen Untersuchung Mr. Heatons keinesfalls vor‐ 
OO
liegen. Mir ist nur 
ein Bindemittel bekannt, das 
OO
hier enthalten sein könnte, und dessen Konsi‐ 
OO
stenz die Farbe zeigt. Es ist die sogenannte Kalk‐ 
OO
milch, d.i. gelöschter Kalk, der in einer größeren 
OO
Wassermenge verrührt wird.
 
.Mit dieser Flüssigkeit wird die Malfarbe ver‐ 
OO
setzt. Man kann dann 
auf feuchten oder trockenen 
OO
Grund malen und die Farbe wird hart an der 
OO
Luft. Mitunter wird sie heute noch im Handwerk 
OO
verwendet, oft auch mit Zusätzen von Käse‐ 
OO
Quark, als Kasein-Kalkfarbe. Ob sich ein solcher 
OO
Zusatz 
hier annehmen läßt, weiß ich nicht. Ich 
OO
möchte für 
reine Kalkfarbe eintreten. Eine Bestäti‐ 
OO
gung sehe ich in Mr. Heatons mikroskopischer 
OO
Untersuchung (Tiryns II 211 ff.). Mr. Heaton er‐ 
OO
kannte dabei kleine Kalkteile zwischen den Farb‐ 
OO
körperchen, für die man, bei der bisherigen Vor‐ 
OO
aussetzung reiner Fresko Technik, nur die im‐ 
OO
merhin unbefriedigende Erklärung finden 
OO
konnte, sie seien durch den Pinsel zufällig vom 
OO
feuchten Grunde gelöst.
.Ganz anders liegt die Sache bei den Stücken des 
OO
jüngeren Palastes. Hier wurde zuerst die ganze 
OO
Fläche «al fresco» dünn bemalt, und 
auf dieser, 
OO
die alle Charakteristiken der Freskomalerei auf‐ 
OO
weist, in der alten Kalkfarben Technik 
pastos wei‐ 
OO
ter gearbeitet. Sehr schön sieht man an dem gro‐ 
OO
ßen Fragment mit dem Kopf einer Frau (Tiryns II 
OO
Taf. IX) den Gegensatz der dünnen, mit dem gla‐ 
OO
sig spröden Kalkgrund sozusagen verwachsenen 
OO
Unterlage, die zweifellos in Fresko gemalt ist, zu 
OO
der 
nach dem Trocknen des Grundes aufgesetz‐ 
OO
 
ten, pastosen und stumpfen Kalkfarbe. Es scheint 
OO
fast, als stünde man an der Wiege der Fresko‐ 
OO
Malerei. Gefärbte Kalktünche war bekannt. Es lag 
OO
dann nahe, mit verschieden gefärbten Tünchen 
OO
(Kalkfarben) auf die Wände 
zu malen. Das Ergeb‐ 
OO
nis hätten wir beim älteren Palast. Ein Zufall 
OO
mochte den Malern gezeigt haben, daß die Farbe 
OO
auch 
ohne Kalkmilchzusatz hält, wenn sie auf den 
OO
noch feuchten Kalkputz aufgetragen wird. Bald 
OO
mußten sie sehen, daß man auf diese Art flüssiger, 
OO
flotter und leichter arbeiten kann, ja daß die 
OO
Technik dies geradezu verlangt. So bemalten sie 
OO
wohl die frisch beworfene ganze Wand ziemlich 
OO
flüchtig und leicht, solange es die Feuchtigkeit des 
OO
Kalkes zuließ, ohne vorerst daran zu denken, daß 
OO
man den Kalkgrund 
stückweise aneinandersetzen 
OO
könnte, um das Gemälde «al fresco» fertig zu ma‐ 
OO
len, wie das in der Renaissance geschah. Dies 
OO
würde auch das Fehlen der für Fresko charakteri‐ 
OO
stischen Fugen erklären.
.Al fresco malten sie wohl alles, was sich mög‐ 
OO
lichst schnell auf der 
ganzen Malfläche machen 
OO
ließ. Die großen Farbmassen füllten sie dann mit 
OO
Kalkfarbe, mit der sie auch das Ganze vollende‐ 
OO
ten, ähnlich wie man heute noch ein trockenes 
OO
Fresko mit Temperafarbe retouchiert. Die Maler 
OO
von Tiryns dürften jedoch das Fertigstellen in 
OO
 
Kalkfarben keineswegs als Retouche betrachtet 
OO
haben, denn beide Techniken haben an der ferti‐ 
OO
gen Malerei gleichen Anteil.
.Den Vertiefungen im Malgrund darf man, mei‐ 
OO
ner Meinung nach, keine zu große Wichtigkeit bei‐ 
OO
messen. Ich halte die Vertiefungen der Gewand‐ 
OO
teile für Schabungen, die durch Korrekturen nötig 
OO
wurden. Auf solchen ausgeschabten Stellen moch‐ 
OO
ten die Farben nachher sehr roh wirken, weshalb 
OO
man sie nach dem Trocknen zu glätten versuchte. 
OO
Die Schnüre, bei den Netzen der Jagd, werden 
OO
wohl in den noch weichen Grund 
eingedrückt sein, 
OO
und zwar bei der summarischen Aufzeichnung des 
OO
Ganzen. Die geraden Linien des Architektur-Frag‐ 
OO
ments scheinen mir dagegen in den trockenen 
OO
Grund 
geritzt. Ich schließe das aus der Beschaffen‐ 
OO
heit der Ränder. In beiden Fällen liegt die Farbe 
OO
flüssig eingelaufen in den kleinen Kanälen. Wäre 
OO
sie 
mit eingedrückt worden, nachdem die Malerei 
OO
beendigt war, so müßte dies unbedingt an der 
OO
Oberfläche des Farbflusses zu erkennen sein.
.Sowohl beim älteren wie beim jüngeren Palast 
OO
ging die Arbeit sichtlich schnell von statten, und 
OO
wenn die Maler des alten Palastes den frischen 
OO
Kalkgrund auch noch nicht zur Bindung der 
OO
Farbe auszunützen verstanden, so mußten sie 
OO
doch keineswegs warten, bis er trocken war.
 
.Ob die Verschiedenheit der Stücke des älteren 
OO
und jüngeren Palastes, infolge der durch die 
OO
Fundumstände sicheren Datierung, ein geeigne‐ 
OO
tes Datierungsmerkmal auch für andere Funde 
OO
abgeben kann, entzieht sich meiner Beurteilung. 
OO
.Athen, Februar 1913
 
ES ist eine höchst erfreuliche Tatsache, und 
OO
mir persönlich in Wien zum ersten Male auf‐ 
OO
gefallen, daß immer weitere Kreise der Arbeiter‐ 
OO
schaft für die bildenden Künste, also Malerei und 
OO
Plastik, ein immer regeres Interesse zeigen.
.Der Ruf: «Die Kunst dem Volke!» ist zwar schon 
OO
längst gehört worden, aber man packte die Sache 
OO
am verkehrten Ende an. Man verlangte von den 
OO
Künstlern, sie sollten Werke schaffen, denen ähn‐ 
OO
lich, die das Volk bereits 
gewohnt sei, weil man es 
OO
für selbstverständlich hielt, daß «das Volk» ‒ wo‐ 
OO
mit man zumeist nur einen Teil des Volkes, näm‐ 
OO
lich die Arbeiterkreise meinte, ‒ gar kein Inter‐ 
OO
esse für 
jene Werke der Kunst haben könne, die 
OO
geistige Mitarbeit voraussetzen, will man ihre höch‐ 
OO
sten Werte erfassen und sie als eine Lebensberei‐ 
OO
cherung genießen. Man hat sich, wie ich kaum 
OO
einem intelligenten Arbeiter zu sagen brauche, 
OO
mächtig getäuscht, denn wo man auch bis jetzt den 
OO
Versuch machte, der Arbeiterschaft einen Ein‐ 
OO
 
blick in die Probleme der bildenden Kunst zu ver‐ 
OO
mitteln, fand sich 
regstes Interesse, verstehendes 
OO
Mitgehen auf den Pfaden, die zur sogenannten 
OO
«Hohen Kunst» führen, die nichts anderes ist, als 
OO
ein Gestalten aus Werten, die tief in 
jedem mensch‐ 
OO
lichen Geiste verborgen ruhen, und die zu heben 
OO
und sichtbar zu machen eben des wahren Künst‐ 
OO
lers Beruf ist. ‒ Es gibt daneben allerdings auch 
OO
eine Art Darstellerei, die wohl «gekonnt» sein will, 
OO
aber trotzdem nichts mit wahrer Kunst zu tun hat. 
OO
Sie serviert der Menschheit immer wieder die 
OO
schon tausend- und abertausendmal abgewandel‐ 
OO
ten Motive, bald ist es ein «schöner» Frauenkopf, 
OO
bald irgend eine Anekdotenmalerei, bald eine 
OO
süßliche Landschaft, und erfordert vom Be‐ 
OO
schauer rein 
gar nichts an geistiger Mitarbeit. Es ist 
OO
begreiflich, daß der Mann der Arbeit an 
solchen 
OO
Werken, wie an besseren Spielereien, achtlos und 
OO
achtungslos vorübergeht, aber sein Interesse wird 
OO
sofort geweckt, wenn er sieht, daß auch das Schaf‐ 
OO
fen des Künstlers 
sehr ernste Lebenswerte fördert, 
OO
die ihm Freude und Beglückung geben können, 
OO
auf die er verzichten müßte, wollte er am Kunst‐ 
OO
schaffen seiner Zeit teilnahmslos vorübergehen. 
OO
.Warum sollte es auch verwunderlich sein, daß 
OO
der Arbeiter, und nicht etwa nur der selbst mit 
OO
Pinsel und Farbe Bescheid Wissende, sondern 
OO
 
auch der Mann am Schraubstock, an der Dreh‐ OO
bank und an der Maschine, sich für die Probleme OO
wahrer Kunst lebhaft interessieren kann? Sein OO
Geistesleben braucht Nahrung und Arbeitsmate‐ OO
rial für die verschiedensten Gehirnzentren. Zu‐ OO
meist wird es ausgefüllt mit den Gedanken, die OO
seine Alltagsarbeit begleiten, mit Politik im Inter‐ OO
esse seiner Lebensbedingungen, und vielleicht OO
noch mit populärwissenschaftlicher Lektüre. Das OO
reiche Gebiet der bildenden Kunst wurde nur sel‐ OO
ten betreten und jene Gehirnpartien, die es sich OO
erobern könnten, lagen still, sind fast unbenutzt OO
und warten darauf, daß ihr Eigner sie in Ge‐ OO
brauch nehme und sie ebenso entwickle, wie er OO
andere Gehirnzentren entwickelt hat. Der aller‐ OO
erste Anfang mag eine gewisse Anstrengung ko‐ OO
sten, aber bald treten bestimmte Beobachtungen OO
auf, die dem erstaunten Auge zeigen, daß die OO
Werke bildender Kunst keineswegs nur dem OO
Schmuckbedürfnis dienen, keineswegs überflüssige OO
Dinge für reiche Liebhaber sind, sondern: Spiegel OO
des menschlichen Empfindens einer Zeit, Bekenntnisse OO
der Seele einer Zeit, Dokumente des Fortschritts, OO
Predigten einer Religion, die zutiefst in einem je‐ OO
den Menschenherzen lebt, und nicht zum wenig‐ OO
sten in der Brust unter dem blauen Kittel, im Ge‐ OO
dröhne und Gestampfe der Fabriken...
.Man suchte Kunst «ins Volk» zu bringen, indem OO
man billige Reproduktionen guter Kunstwerke, OO
billige Künstlergraphik herstellte, damit so der OO
unwürdige fade «Öldruck» ohne jeglichen Wert, OO
aus der guten Stube des Arbeiters verschwinde. OO
Das ist gut und löblich und bereits ein großer OO
Schritt nach vorwärts, aber man war noch viel zu OO
ängstlich und ist es noch, so daß man nur solche OO
Kunstwerke wählte, die zwar alle Ansprüche er‐ OO
füllen, die an einen wertvollen Schmuck der OO
Wände zu stellen sind, aber dennoch herzlich we‐ OO
nig von jener tieferen Kunstauffassung verraten, OO
die den Künstler zum Schaffen zwingt, als einen OO
Künder menschlicher Seelentiefen, einen Gestal‐ OO
ter der Symbole reiner Menschlichkeit. ‒ ‒ Auch OO
darin wird die Zeit Wandel schaffen, wenn das Be‐ OO
dürfnis sich zeigt. ‒ Aber wer, selbst wenn er Milli‐ OO
ardär wäre, könnte sich jemals alle Kunstwerke OO
kaufen, die seine Seele befruchten können? Wer OO
könnte sie ständig auch nur alle um sich sehen, OO
und sei es auch nur in guten Reproduktionen? OO
Gewohnheit macht stumpf, verdirbt und ermü‐ OO
det. ‒ Dagegen wird der Eindruck, den ein inten‐ OO
siv sich einbohrender Beschauer vor vielen Jah‐ OO
ren von einem Kunstwerk in irgend einer guten OO
Ausstellung erhielt, auch nach weiteren vielen OO
Jahren niemals schwinden. ‒
.Dieser Beschauer ist dann der wahre Besitzer OO
des Werkes, während es noch sehr fraglich sein OO
kann, ob es dem Künstler, der mit großen Auf‐ OO
wendungen und seltenen Verkäufen zu rechnen OO
hat und darum gezwungen ist, scheinbar hohe OO
Preise anzusetzen, (von denen meist noch vieles OO
«abgehandelt» wird!) wirklich gelang, einen Käu‐ OO
fer zu finden, der auch das Werk geistig zu «besit‐ OO
zen» fähig ist. ‒ Man braucht keinen großen Geld‐ OO
beutel zu haben, um ein Freund und empfinden‐ OO
der Versteher der bildenden Kunst zu werden. Es OO
ist noch weniger nötig, dicke Bücher über Kunst OO
zu lesen, oder gar die Jahreszahlen der Kunstge‐ OO
schichte auswendig zu wissen. Wer so anfängt, OO
zäumt den Gaul am Schwanze auf und hat nur alle OO
Aussicht, einer der vielen Halbwisser, der vielen OO
Schwätzer zu werden, die wirklichem Kunster‐ OO
fühlen im Wege stehen, soviel sie auch mit ihren OO
zusammengelesenen Floskeln zu imponieren ver‐ OO
suchen. Um sich das Lebensgebiet der Kunst zu OO
erobern, dazu bedarf es lediglich gesunder, se‐ OO
hender Augen, eines tiefen und echten Lebensge‐ OO
fühls, und des ehrlichen Willens, den Schöpfungs‐ OO
prozeß eines Kunstwerkes in eigener Seele nach‐ OO
erleben zu wollen, des Willens, die Sprache der OO
Formen und Farben verstehen zu lernen, die der OO
Künstler spricht, so wie man sich auch im ge‐ OO
wöhnlichen Leben an die Ausdrucksweise eines OO
Menschen erst gewöhnen muß, wenn man ihn OO
nicht ständig mißverstehen will. ‒ ‒
DIE «Ruhmeshalle» kennt in Görlitz jedes 
OO
Kind, auch wenn sie offiziell «Gedenkhalle» 
OO
heißt, aber daß die eigentliche «Ruhmeshalle» 
OO
nur der räumliche Mittelpunkt eines zwar nicht 
OO
sehr großen, aber reichen und hochinteressanten 
OO
Museums ist, dessen scheint man sich in Görlitz 
OO
und Umgebung immer noch nicht genügend zu 
OO
erinnern, soll es doch vorgekommen sein, daß ein 
OO
Fremder nach dem «Kaiser-Friedrich-Museum» 
OO
fragte und von einem Einheimischen die Antwort 
OO
bekam, ein solches gäbe es hier nicht. ‒
.Gewiß, die Besucherzahl ist in letzter Zeit im 
OO
Steigen begriffen und die reichen, besonders auf 
OO
die Geschichte der Oberlausitz bezüglichen 
OO
Schätze beginnen allmählich auch 
Fremde anzu‐ 
OO
ziehen, die speziell zur Besichtigung des Muse‐ 
OO
ums nach Görlitz kommen, oder deshalb hier ihre 
OO
Reise unterbrechen.
.Es hat aber trotzdem den Anschein, als ob man 
OO
sich in Görlitz selbst noch recht wenig darüber 
OO
 
klar wäre, welche Bedeutung das kleine Museum 
OO
für die Stadt hat.
.Vielleicht werden die fremden Besucher mit ih‐ 
OO
rer wachsenden Anzahl darin eine Änderung be‐ 
OO
wirken und den Einheimischen mit der Zeit zei‐ 
OO
gen, daß der eigentliche Wert ihrer «Ruhmes‐ 
OO
halle» denn doch weniger in der dekorativen Wir‐ 
OO
kung des Gebäudes von außen, als in den 
Samm‐ 
OO
lungen zu suchen ist, die dieser Kunsttempel über 
OO
dem anmutigen Neißeufer beherbergt. ‒
.Eine schier übermenschliche Arbeit hat der Di‐ 
OO
rektor des Museums, 
Prof. 
Feyerabend, geleistet, 
OO
um diese Sammlungen aufzubringen und in wür‐ 
OO
diger Weise aufzustellen. Das Museum ist eigent‐ 
OO
lich sein eigenstes Werk, ein Lebenswerk von 
OO
nicht unbeträchtlicher Bedeutung.
.Freilich, ohne die Hilfe zahlreicher Gönner des 
OO
Museums wäre es ihm nicht möglich gewesen, die 
OO
von ihm kahl und leer übernommenen Museums‐ 
OO
räume zu füllen, aber wer einigermaßen weiß, was 
OO
es heißt, ohne irgendeine museumstechnisch ge‐ 
OO
schulte Hilfskraft, wie er sie längst hätte haben 
OO
müssen, ein solches Museum zusammenzubrin‐ 
OO
gen, zu ordnen und zu leiten, und, was nicht zu‐ 
OO
letzt genannt werden sollte, in lebendigem Kon‐ 
OO
nex mit dem übrigen deutschen Museumswesen 
OO
 
zu erhalten, der kam nicht umhin, die Lebensar‐ 
OO
beit Prof. Feyerabends im allerhöchsten Maße zu 
OO
bewundern.
.Er hat sich damit den wärmsten Dank der heu‐ 
OO
tigen und kommender Generationen in Görlitz 
OO
verdient.
.Es wäre leicht, an einer ganzen Reihe von Bei‐ 
OO
spielen zu zeigen, wie auch ein 
kleines, gutgeleite‐ 
OO
tes Museum in einer kleinen oder mittleren Stadt, 
OO
den 
Ruf dieser Stadt in kultureller Hinsicht zu 
OO
verbreiten geeignet ist, wie es ihre Fremdenziffer 
OO
und damit ihren Wohlstand hebt und ihren Gel‐ 
OO
tungsbereich erweitert. Daß auch das Görlitzer 
OO
Museum den Grundstock besitzt, um sich zu sol‐ 
OO
cher Bedeutung für seine Heimatstadt und weit 
OO
darüber hinaus emporzuarbeiten, lehrt ein auf‐ 
OO
merksamer Rundgang in seinen Räumen.
.Der 
Qualität nach am 
mäßigsten bedacht ist noch 
OO
seine kleine 
Gemäldegalerie, sehr zum Leidwesen 
OO
des Direktors, der auch hier mit Freuden nur das 
OO
Beste zeigen möchte. Die dem Laien so imponie‐ 
OO
renden Riesenleinwanden mit den Ausklängen 
OO
der theatralischen und im eigentlich künstleri‐ 
OO
schen Sinn so wenig ausgiebigen Piloty- und 
OO
Kaulbach-Zeit bedecken da nebst andern künst‐ 
OO
lerisch belanglosen Repräsentationsbildern gan‐ 
OO
 
ze Wände und hindern die so sehr wünschens‐ 
OO
werte, neuzeitlich mustergültige Verteilung der 
OO
zwar noch recht wenigen, aber immerhin 
vorhan‐ 
OO
denen Werke von 
wirklichem Kunstwert.
.Besitzt doch die kleine Galerie neben einigen 
OO
andern nicht unbedeutenden Stücken tatsächlich 
OO
einen echten, wenn auch für das Gesamtschaffen 
OO
nicht so ganz instruktiven 
Böcklin, zwei Werke des 
OO
hochbedeutenden, in seiner Eigenart so beschei‐ 
OO
denen 
Hans von Volkmann, eine zweite Fassung des 
OO
«Gestades der Vergessenheit» von 
Bracht, einen 
OO
sehr guten 
Schramm-
Zittau, ein bedeutendes mo‐ 
OO
numentales Werk von 
Lesset Ury, ein gutes Porträt 
OO
seines Töchterchens von 
Franz Stuck und eine An‐ 
OO
zahl nicht unbedeutender Gemälde aus dem 
älte‐ 
OO
ren Münchener Künstlerkreis. Immerhin genug, 
OO
um neben den hier 
nicht genannten bedeutende‐ 
OO
ren Werken den Ausgangspunkt einer kleinen 
OO
guten Gemäldesammlung darzustellen.
.Wichtiger aber, und naturgemäß besser be‐ 
OO
dacht, ist zurzeit noch die reichhaltige Sammlung 
OO
von Stichen, Zeichnungen und andern Kunstblät‐ 
OO
tern, die sich auf die Geschichte von Görlitz, die 
OO
Geschichte der Oberlausitz beziehen.
.Vielleicht am vollständigsten ist dann die eben‐ 
OO
falls nach den Interessen der Heimatgeschichte 
OO
 
orientierte kunstgewerbliche und kunsthistori‐ 
OO
sche Sammlung in den beiden Flügeln des Erd‐ 
OO
geschosses, während die Oberlausitzer Zimmer in 
OO
den Souterrain-Räumen nebst vielem andern, 
OO
das dort seinen Platz fand, diese Sammlungen le‐ 
OO
bendig ergänzen.
.Ein kleines Museum für sich ist der Urge‐ 
OO
schichte gewidmet und ebenfalls in den Keller‐ 
OO
räumen untergebracht. Der Archäologe, der die 
OO
Oberlausitzer Keramik studiert, kann auf die 
OO
Kenntnis dieser zum Teil sehr hervorragenden 
OO
Funde nicht verzichten, während sie dem Laien 
OO
ein Bild fernster Vorzeit geben.
.Erstaunlich viel Belehrendes bieten diese un‐ 
OO
tersten Räume, in denen zu allem Überfluß noch 
OO
zwei recht eigenartige und des Ansehens werte 
OO
Kleinwerke der Volkskunst, zwei sogenannte 
OO
«
Krippen»-Darstellungen Platz fanden, um die das 
OO
Museum wohl von der berühmten Münchner 
OO
Krippensammlung im bayrischen Nationalmu‐ 
OO
seum nicht wenig beneidet werden dürfte.
.Der Fleiß einfacher Handwerker hat diese Dar‐ 
OO
stellungen in jahrelanger mühevoller Arbeit ge‐ 
OO
schaffen. Die eine schildert nur die Geburt Christi 
OO
mit den üblichen anachronistischen, volkstümli‐ 
OO
chen Beigaben, so daß der ganze Hergang in die 
OO
 
engere Heimat versetzt erscheint, die andere 
OO
«Krippe» ist eigentlich ein vollständiges 
Passions‐ 
OO
spiel, beginnend mit der Geburtsgeschichte und 
OO
endigend mit der Auferstehung. Und das alles ist 
OO
durch eine Anzahl sinnreicher Anordnungen in 
OO
geradezu verblüffend natürlicher Weise beweg‐ 
OO
lich.
.Bei der Kreuzabnahme wird selbst der Leich‐ 
OO
nam Christi 
frei vom Kreuze heruntergeholt! Al‐ 
OO
les ist so naiv aus dem Geiste echter Volkskunst 
OO
entstanden, daß die Beweglichkeit der Figuren 
OO
nur den künstlerischen Eindruck 
verstärkt, statt 
OO
ihn etwa zu stören. Wer bei dem dreimaligen Ge‐ 
OO
bet Jesu im Garten am Ölberg nicht durch die Be‐ 
OO
wegung des bis in den Tod Betrübten ergriffen 
OO
wird, der muß jedes Gefühl für volkstümliche 
OO
Einfühlung in die Begebnisse christlicher Heils‐ 
OO
geschichte verloren haben. ‒
.Und das alles hat man hier unten mustergültig 
OO
aufgestellt. Ein Beamter des Museums, auch ein 
OO
einfacher, tüchtiger Handwerker besten alten 
OO
Schlages, obwohl ein noch jüngerer Mann, der 
OO
auch die Vorführungen unternimmt, hat all diese 
OO
Einzelteile mit feinstem Verständnis wieder zu‐ 
OO
sammengesetzt, die «mechanische Kunst» daran 
OO
in sinngemäßer Weise wiederhergestellt und in 
OO
liebevoller Hingabe beide «Krippen» in den zur 
OO
 
Verfügung stehenden Räumen aufgebaut, was 
OO
gewiß keine leichte Arbeit war und einen beson‐ 
OO
ders feinen seelischen Takt erforderte, um das 
OO
Unberührte, das Wesentliche der alten Origi‐ 
OO
nalarbeit zu erhalten.
.Das wäre so in aller Kürze, jedem Besucher des 
OO
Museums nicht fremd, der wesentlichste Inhalt 
OO
der Räume.
.Eine bedeutende Münzensammlung sowie 
OO
noch manches andere harrt des Tages, an dem 
OO
ein schon längst geplanter, aber jetzt auf unbe‐ 
OO
stimmte Zeit hinaus verschobener Erweiterungs‐ 
OO
bau doch einst seine Vollendung finden wird.
.Es wäre zu wünschen, daß das Museum immer 
OO
mehr Gönner finden möge, die es durch Legate 
OO
und sonstige Schenkungen, seien es nun kunst‐ 
OO
und kulturhistorisch wichtige und wertvolle 
OO
Werke, seien es die so dringend nötigen größeren 
OO
Barmittel, in den Stand setzen würden, seiner ho‐ 
OO
hen Aufgabe für das kulturelle Leben der Stadt 
OO
Görlitz und im weiteren Sinne der gesamten 
OO
Oberlausitz in mustergültiger Weise zu genügen. 
OO
.Aber schließlich ist auch ein «Heimatmuseum» 
OO
keine isolierte, nur auf den Bannkreis seiner Stadt 
OO
oder ihrer nächsten Umgebung beschränkte Ein‐ 
OO
 
richtung, wenn auch die Vorteile, die es durch 
OO
seinen Ruf einer Stadt bringen kann, dieser allein 
OO
zugute kommen.
.In diesem Sinne ist jeder Einwohner von Gör‐ 
OO
litz zwar praktisch an dem Gedeihen und Be‐ 
OO
kanntwerden des heimischen Museums inter‐ 
OO
essiert, aber dieser Ruf, dieses Bekanntwerden ist 
OO
nur zu erreichen dadurch, daß sich die Museums‐ 
OO
leitung in den Dienst der gesamten Kunstwissen‐ 
OO
schaft stellt und die Verbindung mit allen Museen 
OO
in deutschem Sprachgebiet stets aufrecht erhält. 
OO
Die hierzu nötige Arbeit übersteigt aber die Kraft 
OO
eines einzelnen Mannes, sei er auch wie der der‐ 
OO
zeitige Leiter und Schöpfer des Museums ein 
OO
Hüne an Arbeitskraft. Mit ungeschulten und billi‐ 
OO
gen Hilfskräften ist hier gar nichts geholfen. Nö‐ 
OO
tig wäre die Assistenz einer wissenschaftlich gebil‐ 
OO
deten und in den Aufgaben eines Museumsbeam‐ 
OO
ten nicht ganz unerfahrenen Persönlichkeit.
.Da die Stadt Görlitz zurzeit mit Aufgaben über‐ 
OO
lastet ist, die es ihr wohl unmöglich machen dürf‐ 
OO
ten, eine solche Hilfskraft zu besolden (obwohl 
OO
der 
wissenschaftliche Arbeiter auch heute noch 
aus 
OO
Liebe zur Sache zu arbeiten pflegt und daher in sei‐ 
OO
nen Ansprüchen weitaus bescheidener ist als 
OO
mancher Fabrikarbeiter), so könnte man es nur 
OO
als eine hochherzige Tat bezeichnen, wenn von 
OO
 
privater Seite die Kosten einer solchen Hilfe für 
OO
die Museumsleitung übernommen würden.
.Es wäre die denkbar übelste Verkennung des 
OO
Nötigen, wenn man den fruchtbringenden Be‐ 
OO
stand eines Museums in heutiger Zeit als überflüs‐ 
OO
sigen Luxus ansehen wollte. ‒ «Nicht vom Brote 
OO
allein lebt der Mensch, sondern von jedem Worte, 
OO
das aus dem Munde Gottes kommt.» ‒
.Ein jedes Werk bedeutender Vorzeit, alles, was 
OO
die Gegenwart an wirklich Gehaltvollem schafft, 
OO
ist solch ein «Wort Gottes», das zu empfänglichen 
OO
Herzen, insonderheit zu den Gemütern der Ju‐ 
OO
gend, oft wuchtiger sprechen kann als Schule und 
OO
Kirche es vermögen, gerade weil all diese sicht‐ 
OO
baren, greifbaren Dinge so ganz 
auf das praktische, 
OO
tagtägliche Leben hinweisen. Alles, was heute den 
OO
allenthalben im praktischen Leben grassierenden 
OO
Materialismus 
zurückdämmen kann, dient dem 
OO
Wiederaufbau, ist eine nicht zu missende und ihre 
OO
Unterschätzung bitter rächende Kraft, die zur 
OO
Gesundung unsres Lebens führt. ‒ ‒
Was das 
Buch für das 
Denken bedeutet, das ist 
der 
OO
sichtbare Gegenstand, wenn er von Kunst, Ge‐ 
OO
schmack und handwerklicher Tüchtigkeit zeugt, 
OO
für das 
Gemüt. ‒ Aus dem 
Gefühl heraus aber muß 
OO
die Kraft zur Wiederaufrichtung unsres Volkes 
OO
 
kommen. Das Denken geht irre Wege, wenn es OO
nicht durch das Gefühl in gesunde Bahnen gelei‐ OO
tet wird. ‒ Was wir heute alle beklagen, ist nicht OO
zum wenigsten die Frucht irregeleiteten Denkens, OO
die Folge davon, daß man das Volk systematisch OO
daran gewöhnte zu glauben, alles Gute müsse sich OO
erdenken lassen, daß man Kopfmenschen, Gehirn‐ OO
menschen erzog, aber keine Menschen, die sehen OO
können und durch Sehen zu lernen wissen. ‒ Dies OO
aber lehrt in erster Linie ein Museum.
Im Bankettsaal der Stadthalle wurde gestern gegen 11½ 00
Uhr vom neuen Vorsitzenden des Kunstvereins, Herrn Jo‐ 00
seph Schneider–Franken*, die Ausstellung Neumann–Hegen‐ 00
berg und Paul Polte eröffnet. Ein guter Anfang unter der 00
neuen Leitung, die, wie wir hoffen, noch recht ersprieß‐ 00
liche Arbeit auf diesem Gebiete des Kunstlebens leisten 00
wird, um dadurch der Stadt Görlitz auch nach außenhin 00
in dieser Beziehung einen Namen zu machen. Wir wün‐ 00
schen dem neuen Vorsitzenden den besten Erfolg.
Zur Eröffnung der Ausstellung führte er aus:
Meine Damen und Herren!
.Der Kunstverein hat vor kurzem seinen lang‐ 
OO
jährigen und verdienstvollen Vorsitzenden durch 
OO
den Tod verloren, und mir wird nun die Aufgabe, 
OO
die für das kulturelle Leben dieser Stadt so wich‐ 
OO
tige Vereinigung zu leiten.
 
* Da die beglaubigte Namensänderung in «Schneider‐ 00
franken» erst Ende August 1920 erfolgte, sind sämtliche 00
Artikel über Kunst mit Joseph oder J. A. Schneider-Fran‐ 00
ken gezeichnet.
.Daß am Beginn meiner Tätigkeit gleich eine so 
OO
hervorragende Ausstellung steht, wie die ist, die 
OO
ich hier nun eröffnen soll, ist nicht mein Ver‐ 
OO
dienst.
.Ich danke aber den Herren des Vorstandes, 
OO
daß sie den beiden Künstlern, die hier ausstellen, 
OO
Gelegenheit gaben, ihre Werke zu zeigen.
.Ich kann mit 
voller Überzeugung und 
warmen 
OO
Herzens für diese Ausstellung eintreten.
.An anderer Stelle zeigte ich vor kurzem, daß die 
OO
Richtung, der ein Künstler zugezählt wird, eigent‐ 
OO
lich 
Nebensache ist, daß es einzig darauf ankommt, 
OO
ob ein Künstler zu den 
Echten und 
Wahrhaftigen, 
OO
oder aber nur zu denen zu zählen ist, die irgend‐ 
OO
einer Richtung 
nachlaufen, weil sie 
selbst nichts Ei‐ 
OO
genes zu sagen haben.
.Die Ausstellung, die Sie jetzt sehen werden, 
OO
zeigt in lebendiger Gestaltung, wie wenig es auf 
OO
die 
Richtung ankommt, wie die 
Persönlichkeit eines 
OO
Künstlers 
ganz allein für die Wertung seines Schaf‐ 
OO
fens maßgebend ist.
.Man kann sich kaum verschiedenere 
Richtungen 
OO
vorstellen als die sind, die durch die beiden aus‐ 
OO
stellenden Künstler vertreten werden.
 
.Der 
Maler, dem ja der 
größte Anteil an der Aus‐ 
OO
stellung zufällt, geht von der Darstellung der äus‐ 
OO
seren Umwelt aus und sucht und findet schließ‐ 
OO
lich die Ausdrucksmittel, um die reiche Bewe‐ 
OO
gung seiner 
inneren Welt zu gestalten.
.Er sucht seine großen Vorbilder in der 
Gotik, 
OO
vor allem in 
Mathias Grünewald, dem Meister des 
OO
Isenheimer Altars, und man könnte ihn äußerlich 
OO
zu den «
Expressionisten» rechnen, doch ist er eine 
OO
ganz auf sich gestellte 
Persönlichkeit, der es gar 
OO
nicht einfällt, eines 
Programmes wegen zu malen. ‒ 
OO
.Er malt so, wie er malt, weil er so malen 
muß, 
OO
wenn er sich selbst treu bleiben will.
.Das Gleiche ist von dem 
Bildhauer zu sagen.
.Auch er gibt, als Plastiker, was er seiner Natur 
OO
nach geben 
muß, aber in ihm ist nur 
statuarische 
OO
Ruhe und 
verhaltenes Leben, kein Drang zu 
dramati‐ 
OO
scher Bewegung der Formen, wie in dem Maler.
.Seine 
Richtung, wenn man ihn unbedingt einer 
OO
zuzählen will, ist die Richtung der großen deut‐ 
OO
schen 
Monumentalplastiker, der 
Wrba, 
Beermann, 
OO
Hahn und anderer, die alle mehr oder weniger 
OO
von 
Hildebrandt und seiner Auffassung des «
Pro‐ 
OO
blems der Form» ausgehen.
 
.Der Plastiker, 
Paul Polte, dürfte Ihnen ohne 
OO
weiteres verständlich sein.
.Sie sehen die große 
Ruhe und 
Geschlossenheit sei‐ 
OO
ner Figuren und die 
vollendet schöne Modellierung, 
OO
den 
feinen seelischen Ausdruck in allen seinen Wer‐ 
OO
ken ohne Mühe.
.Der Maler, 
Neumann-
Hegenberg, verlangt 
mehr 
OO
willige Einstellung von Ihnen.
.Er will Ihnen seine 
Entwicklung zeigen, will zei‐ 
OO
gen, wieso er dazu kommen 
mußte, seine letzten 
OO
Werke zu schaffen.
.Die Bilder sind deshalb auch in chronologi‐ 
OO
scher Reihenfolge aufgehängt, von den starken 
OO
und räumlich tiefen Schilderungen der Umwelt 
OO
angefangen, bis zu den Werken, in denen er 
rein 
OO
seelisch Geschautes zeigt, dem oft ein 
Naturein‐ 
OO
druck, oft ein 
musikalisches Erleben oder aber 
nur 
OO
innerlich Empfundenes zu Grunde liegt.
.Neumann-Hegenberg will immer noch 
weiter, 
OO
sucht stets noch 
neue Ausdrucksmöglichkeiten und 
OO
betrachtet auch seine letzten Bilder noch nicht als 
OO
sein «
letztes Wort».
.Aber vieles von dem, was er zeigt, stellt auch, 
ho‐ 
OO
hen kritischen Ansprüchen gegenüber, eine 
restlos 
OO
vollkommene Lösung dar.
 
.Sie haben es mit einem tiefernsten, ehrlich mit 
OO
seiner Kunst ringenden Manne zu tun, der alles 
OO
Halbe und nur 
beiläufig Gute weit hinter sich läßt. 
OO
.Er dichtet mit dem Pinsel in der Hand farbige 
OO
Werke voller Glut des Erlebens, voller Intensität 
OO
der inneren Bewegtheit.
.Sie wissen alle, was der Rhythmus in der Musik 
OO
bedeutet.
.Diesen Rhythmus finden Sie wieder, wenn Sie 
OO
die Gemälde dieses Malers betrachten, und Sie 
OO
müssen nach dem Rhythmus suchen, wenn Sie 
OO
den inneren Wert dieser Bilder erkennen und ih‐ 
OO
nen gerecht werden wollen.
.Folgerichtig sieht man auch seine 
Auffassungsart 
OO
und seine 
Technik sich 
entwickeln.
.Nichts ist «
gesucht», alles 
Spätere entwickelt sich 
OO
mit Notwendigkeit aus dem 
Früheren. Er malt, was 
OO
ihm sein Innerstes befiehlt.
.Daß außer aller 
malerischen Qualität auch viel 
OO
Poesie in den meisten Werken steckt, wird ihm si‐ 
OO
cher auch manche Verehrer gewinnen, die für das 
OO
eminent 
Malerische der Bilder noch nicht das 
OO
rechte Auge haben.
 
.Ich hoffe, daß niemand diese Ausstellung ver‐ 
OO
läßt, ohne einen reichen und nachhaltigen Ein‐ 
OO
druck mitzunehmen.
.Ich möchte hier nur noch sagen, daß ich den 
OO
Wunsch hege, den Kunstverein in dieser Stadt zu 
OO
einer Instanz zu machen, der das Laienpublikum 
OO
bei seinen Ankäufen und Kunstbesichtigungen 
OO
absolut vertrauen kann.
.Man soll wissen, daß in seinen Ausstellungen 
OO
nur 
echte und 
reife Kunst geboten wird.
.Ich danke den beiden Ausstellern, daß sie mir 
OO
diesen verheißungsvollen Anfang ermöglicht ha‐ 
OO
ben! 
OO
 
Die neue, überaus reichhaltige Kunstausstellung des 00
Kunstvereins für die Lausitz fand gestern vor geladenen Gä‐ 00
sten im Bankettsaal der Stadthalle ihre Eröffnung. Der 00
Vorsitzende des Kunstvereins, Herr Schneider-Franken, 00
führte in seiner Eröffnungsansprache etwa folgendes aus: 00
 OO
.„Der Kunstverein hat sich unter meiner Lei‐ 
OO
tung die Aufgabe gestellt, an möglichst markan‐ 
OO
ten Beispielen zu zeigen, wie das wirklich 
Wertvolle 
OO
in der Kunst ganz 
unabhängig ist von der jeweili‐ 
OO
gen 
Richtung, zu der man den oder jenen Künstler 
OO
zählen mag. Es ist nicht gerade überflüssig, dies 
OO
immer wieder zu betonen, denn in manchen 
OO
Kreisen herrscht immer noch die Auffassung, 
OO
eine Ausstellungsleitung müsse sich zu dieser 
OO
oder jener «Richtung» bekennen und 
könne darum 
OO
den anderen Richtungen «nicht gerecht» werden. 
OO
.Wir sind 
weit von dieser Auffassung entfernt!
.Wir wollen allein der 
Kunst eine Gasse bereiten, 
OO
wo wir sie auch finden, und wir finden in 
jeder 
OO
 
Richtung 
echte und 
wahrhafte Kunst, wie wir in 
jeder 
OO
Richtung auch allerlei 
Scheinkunst abzulehnen ha‐ 
OO
ben.
.Der Künstler, dem die heute zu eröffnende 
OO
Ausstellung gilt, wird Ihnen in schönster Weise 
OO
wieder zeigen, was wir unter 
Kunst verstehen, und 
OO
daß wir durchaus nicht 
nur etwa dem «Expressio‐ 
OO
nismus» das Wort reden wollen, auch wenn wir in 
OO
dieser Kunstrichtung besonders 
hohe und 
zukunfts‐ 
OO
reiche Werte im Entstehen sehen, Werte, die wir 
OO
auf jede Weise ans Licht zu ziehen suchen.
.Otto Wilhelm Merseburg*, dessen Werke Sie nun 
OO
in einer reichen Auswahl sehen werden, ist ein 
OO
Künstler, der sich längst schon seinen Namen zu 
OO
schaffen wußte, auch wenn ihn vielleicht hier erst 
OO
noch wenige kennen werden.
.Seine Bilder wurden von großen Staatsgalerien 
OO
angekauft und hängen längst in bedeutenden Pri‐ 
OO
vatsammlungen.
.Sie werden das verstehen, wenn Sie nun Gele‐ 
OO
genheit finden, sein Schaffen kennen zu lernen.
.Hervorgegangen ist er seinerzeit aus der Schule 
OO
Eugen Brachts, wenn auch 
Bautzer und andere 
OO
* Deutscher Maler und Radierer (1874-1947)
 
Meister Einwirkungen auf seinen Werdegang 
OO
hinterließen.
.Heute steht er 
lange schon als ein durchaus im 
ei‐ 
OO
genen Erdreich Wurzelnder vor Ihnen, als ein 
Ma‐ 
OO
ler von hohem Rang, der seine 
eigene Richtung sich 
OO
selber schuf, und den man vielleicht mit 
Boehle, 
OO
Thoma und 
Steinhausen in manche Parallele setzen 
OO
kann. Seine ganze Kunst ist erfüllt von einer star‐ 
OO
ken und hingebenden 
Liebe zur Natur, ‒ insbeson‐ 
OO
dere zur Natur und zu den Menschen seiner en‐ 
OO
geren Thüringer Heimat, ‒ und in jedem seiner 
OO
Werke spricht sich eine ungemein 
reiche, 
tief emp‐ 
OO
findende Seele aus.
.Sie werden diesem Künstler ohne weiteres zu 
OO
folgen vermögen, auch ohne jede weitere «Erklä‐ 
OO
rung» seiner Werke. Ich bitte Sie aber, besonders 
OO
auf die großen Bilder an der Stirnwand des Saales 
OO
achten zu wollen. Diese Bilder tragen Ewigkeits‐ 
OO
charakter und bilden gleichsam die Stimmgabel 
OO
zur ganzen Ausstellung, in der dieser «Ewigkeits‐ 
OO
charakter» oft auch noch im kleinsten Blättchen 
OO
vielfach wiederkehrt.
.Daß Merseburg auch als Portraitist eine nicht 
OO
unbedeutende Stellung einnimmt, möchte ich 
OO
nur noch nebenbei erwähnen, und Sie werden ja 
OO
selbst Gelegenheit finden, sich jetzt auch in dieser 
OO
Hinsicht ein Urteil zu bilden.
 
.Ich danke auch an dieser Stelle dem Künstler, OO
daß er keine Mühe, keine Kosten und keine son‐ OO
stigen Schwierigkeiten scheute, um uns diese OO
reichhaltige Kunstschau zu ermöglichen, und ich OO
hoffe, daß seine Kunst hier in Görlitz viele neue OO
Freunde und Verehrer finden wird.”
WENN ich mir die Frage vorlege, wie dieser 
OO
große Altmeister deutscher Kunst an sei‐ 
OO
nem Ehrentage am besten zu erfreuen wäre, dann 
OO
glaube ich, es könnte ihm nichts lieber sein, als 
OO
wenn ihm eine Schar Kinder, ungeputzt, wie sie 
OO
gerade vom Spielen kommen, Buben und Mädel, 
OO
schlicht und recht, wie es Kinder eben können, 
OO
vor seinem Fenster einfache deutsche Volkslieder 
OO
singen würde.
.Wie deutsche Volkslieder, sind ja auch alle 
OO
seine Bilder nur entstanden aus der naiven 
OO
Freude an der lieben, schönen Gotteswelt, an 
OO
Busch, Bach und Baum, an Wiese und Wald, und 
OO
an den guten, einfachen Menschen, die das 
OO
Volkslied kennt.
.Auch wenn er seine Gestalten aus Mythe und 
OO
Sage nimmt, oder wenn sie seiner schauenden 
OO
Phantasie entstammen, gibt er sie so, wie nur un‐ 
OO
verdorbenes, reines und einfachstes Empfinden 
OO
sie sich vorzustellen vermag.
 
.Ein unübersehbarer Schatz ist es, den er in den 
OO
achtzig Jahren seines Lebens ‒ oder doch min‐ 
OO
destens sechzig davon ‒ seinem Volke geschenkt 
OO
hat.
.Wohl sah er in dieser so langen Zeit gar manche 
OO
bedeutende künstlerische Erscheinung in deut‐ 
OO
schen Landen neben sich wirken, allein, wenn es 
OO
gelten soll, 
den Künstler unseres Zeitalters zu nen‐ 
OO
nen, der am reinsten deutsches Empfinden, deut‐ 
OO
sche Poesie im besten Sinne, als Maler zum Aus‐ 
OO
druck brachte, der alle Naturempfindung, die in 
OO
unseren Sagen, Märchen und Liedern beschlos‐ 
OO
sen ruht, seiner Zeit wieder lebendig vor Augen 
OO
führte, dann wird sich kein Zweifel erheben, daß 
OO
nur 
sein Name allein zu nennen ist.
.Auch er ist einst in die Fremde gezogen, um 
OO
dort, wo noch lebendige Tradition das Handwerk 
OO
des Malers lehren konnte, sich sein Rüstzeug zu 
OO
holen, aber als er zurück in die Heimat kam, 
OO
wußte er bald, was er mit seinem draußen erwor‐ 
OO
benen Können beginnen müsse, und streifte alles 
OO
ab, was nur Können um seiner selbst willen war, 
OO
um seinem schlichten Naturempfinden die ihm 
OO
allein gemäße Ausdrucksweise zu schaffen.
.Jahrzehntelang mußte er bitter um Anerken‐ 
OO
nung ringen, und als sie ihm endlich allgemein 
OO
 
zuteil wurde, hatte er bereits ein halbes Jahrhun‐ 
OO
dert an Lebensjahren erreicht.
.Spott und Hohn, Geringschätzung und Un‐ 
OO
verstand hatte er in reichlichem Maße zu erdul‐ 
OO
den, obwohl das uns heute kaum glaublich er‐ 
OO
scheint, und nur eine kleine Schar begeisterter 
OO
Verehrer seiner frommen und innigen Kunst 
OO
wußte ihm zu zeigen, daß seine Bilder 
Seelen fan‐ 
OO
den, die sie 
empfinden konnten, Menschen, die 
OO
seine damals schon in reicher Fülle vorhandenen 
OO
Meisterwerke würdig schätzten.
.Seit dieser trüben und schweren Zeit des Rin‐ 
OO
gens, die eines jeden echten Künstlers Schicksal 
OO
ist, der sich von der Mode entfernt und mehr als 
OO
bloße «gefragte Marktware» zu geben unter‐ 
OO
nimmt, hat ihm dann die Welt alle Ehren ge‐ 
OO
bracht, die sie an einen Künstler und bedeuten‐ 
OO
den Menschen nur vergeben konnte, und so 
OO
wurde in späten Jahren doch manches gesühnt, 
OO
manches ersetzt, was die Zeit seines jüngeren 
OO
Mannesalters ihm schuldig geblieben war.
.Selten hat sich deutlicher, als gerade an Hans 
OO
Thoma, gezeigt, daß das erste Bedingnis eines 
OO
großen Künstlers die eigene bedeutende 
Persön‐ 
OO
lichkeit ist und daß alle manuelle Virtuosität 
nichts 
OO
bedeutet gegenüber dieser Grundvoraussetzung, 
OO
 
die schließlich auch nach dem härtesten Ringen 
OO
den Sieg verleiht.
.Man hat Thoma oft genug mangelndes maleri‐ 
OO
sches Können, «Verzeichnungen» und ähnliches 
OO
vorgeworfen, aber man sehe sich nur einmal die 
OO
Jugendwerke an, die noch unter dem Einfluß der 
OO
französischen Künstler, besonders dem 
Courbets, 
OO
stehen, und urteile dann, ob der Maler dieser Bil‐ 
OO
der nicht mit spielender Leichtigkeit imstande ge‐ 
OO
wesen wäre, durch alle nur denkbare malerische 
OO
Bravour zu glänzen.
.Daß er es vorzog, sich eine einfache, schlichte 
OO
Weise zu schaffen, bewußten Willens auf alles, was 
OO
nur entfernt nach «genialer Mache» aussah, zu 
OO
verzichten, war ein befolgtes Gebot seiner von in‐ 
OO
nen heraus gefestigten, reifen und im Tiefsten 
OO
wahren Persönlichkeit.
.Wer einmal in dieses gütige, klare und so le‐ 
OO
bensvolle Auge blicken durfte, wer öfters diesen 
OO
stillen Weisen aus dem Schwarzwald in den 
OO
schmiegsamen warmen Tönen seiner Heimat aus 
OO
seinem so reichen Leben erzählen hörte, wer zu 
OO
stiller Stunde in seiner Werkstatt den Reichtum all 
OO
dieser Mappen aus der Jugendzeit von seinen lie‐ 
OO
ben Händen ausgebreitet sah, der kann diese 
OO
Weihestunden nie vergessen, und wüßte, auch 
OO
 
wenn er niemals die an schöner Menschlichkeit, 
OO
Tiefe und Herzenswärme so reichen Schriften des 
OO
Meisters gelesen hätte, wie ernst dieser Schwarz‐ 
OO
wälder Bauernsohn das Wort des Meisters von 
OO
Nazareth nahm: «So ihr nicht werdet wie eines 
OO
aus diesen Kleinen, werdet ihr nicht in das Reich 
OO
der Himmel finden.» ‒
.Wer ihm, wie ich, zu danken hat, daß er die er‐ 
OO
sten, tastenden Schritte in das Labyrinth der 
OO
Kunst gütig und liebevoll auf rechte Wege wies, 
OO
der weiß auch, wie dieser so unendlich schaffens‐ 
OO
reiche Künstler nicht nur zu schaffen, sondern 
OO
auch recht zu beraten versteht.
.Und dieses Wissen darum, daß er andere auf 
OO
rechte Wege zu führen vermag, hat ihn wohl auch 
OO
bewogen, seine Gedanken über Zeit und Ewigkeit 
OO
den Seelen der Menschen darzulegen.
.Alle weltläufige Phrase und nichtssagende 
OO
Wortemacherei muß vor dieser ruhigen, mensch‐ 
OO
lichen Größe verstummen, die das Bedeutendste 
OO
und Erhabenste in so kindlich reiner und einfa‐ 
OO
cher Weise zu sagen unternimmt, daß oberflächli‐ 
OO
ches Urteil nur zu leicht den köstlichen Kern in so 
OO
bescheidener Schale übersieht.
.In diesem großen Meister der Kunst steckt 
OO
gleichzeitig ein weiser 
Seher voll tiefer seelischer 
OO
 
Erlebnisse, und wenn er nicht all seinem Schauen 
OO
Ausdruck zu geben trachtet, so hält ihn sicher nur 
OO
die Ehrfurcht vor dem Unbegreifbaren, die Sor‐ 
OO
ge, Heiligstes zu profanieren, davon ab.
.Was Hans Thoma über das Leben der Seele ge‐ 
OO
schrieben hat, gehört in all seiner unbekümmer‐ 
OO
ten, schlichten Erzählerweise zu dem Schönsten, 
OO
Feinsten und Tiefsten, das in unserer Zeit zu 
OO
Worte ward, obwohl er selbst nicht im mindesten 
OO
den Anspruch macht, unter die «Denker» und 
OO
«Philosophen» oder die «Dichter» gezählt zu wer‐ 
OO
den.
.Er liebt ‒ um seine eigenen Worte zu gebrau‐ 
OO
chen ‒ sein «schönes Handwerk der Malerei» über 
OO
alles.
.Er sehnt sich nicht nach dem Ruhm eines 
OO
Schriftstellers.
.Aber alle, die das, was er geschrieben hat, gele‐ 
OO
sen haben, werden ihm dankbar sein, daß er in 
OO
hohem Alter sich endlich entschließen konnte, 
OO
das niederzulegen, was er uns zu sagen hat.
.Und jetzt, an seinem achtzigsten Geburtstag, 
OO
gibt er noch gleichsam als Dank an alle, die sich 
OO
freuen, daß er dieses schöne Alter erleben durfte, 
OO
seine eigene Lebensgeschichte in Umrissen, vom 
OO
 
Schwarzwälder Bauernbuben und Uhrenmaler 
OO
angefangen, bis zu der Höhe, auf der er heute 
OO
weithin sichtbar für alle steht.
.An ihm können wir sehen, was 
unser Bestes ist. Er 
OO
zeigt uns, daß all unsere Kraft nur 
dann zu wirk‐ 
OO
lich Bedeutendem führt, wenn sie von allem 
OO
Phrasenhaften sich 
frei erhält, und fest verankert 
OO
ist in einer reinen und im besten Sinne gläubigen, 
OO
auf sich selbst und den Weltgrund, der sie trägt, 
OO
fest vertrauenden Seele. ‒ ‒
.Möge der Achtzigjährige, der noch heute eine 
OO
prachtvoll kernige Handschrift schreibt, die wie 
OO
ein Bild seiner eigenen Geradheit und Festigkeit 
OO
ist, und aus der keiner sein hohes Alter er‐ 
OO
schließen würde, uns noch manches erhebende 
OO
Wort, noch manches seiner seelisch so tief emp‐ 
OO
fundenen Bilder schenken.
Görlitz, 2.Oktober 1919.
 
 OO
WO immer eine moderne Ausstellungslei‐ 
OO
tung, einer ernsteren und heiligeren Auf‐ 
OO
fassung des Kunstschaffens folgend, mit dem al‐ 
OO
ten Schlendrian aufräumte und frische, bele‐ 
OO
bende Luft in ihre Säle einließ, dort erhob sich 
OO
noch stets das Zetergeschrei aller derer, die 
vorher 
OO
an 
gleicher Stelle reichlich Gelegenheit gefunden 
OO
hatten, mit den Erzeugnissen ihrer braven 
OO
Scheinkunst an erster Stelle zu prangen. Sie kön‐ 
OO
nen es nicht begreifen, daß das nun 
anders werden 
OO
soll, und fühlen sich gekränkt in ihren ‒ wie sie 
OO
meinen ‒ wohlerworbenen Rechten. Nach Grün‐ 
OO
den suchend für die Unbill, die nach ihrer Ansicht 
OO
ihnen widerfährt, gelangen sie 
niemals dazu, diese 
OO
Gründe 
bei sich selbst zu finden, und stets sind es 
OO
natürlich nur «Intrigen», «Ungerechtigkeiten», 
OO
«Unterdrückungssucht» und Schlimmeres, wenn 
OO
diese bösen «Modernen» ihnen die Plätze wei‐ 
OO
gern, die sie früher innehatten.
.Es wird als ganz selbstverständlich betrachtet, 
OO
daß man wirklich gute, 
echte Kunst, zu der jeder 
OO
 
wahre Kunstfreund «Wallfahrten» unternimmt, 
OO
wenn er sie irgendwo wittert, ‒ die selten ist, wie 
OO
die Perle in der Muschel, ‒ nur 
deshalb ablehnen 
OO
könnte, weil sie nun einmal der gerade «moder‐ 
OO
nen» Strömung nicht in den Ausdrucksformen 
OO
gleicht. ‒ Man ahnt nicht einmal, welche 
Ungeheu‐ 
OO
erlichkeit in einer derart stupiden Unterstellung 
OO
liegt! ‒ ‒
.Aber ein altes Sprichwort sagt: «Es sucht keiner 
OO
den andern hinterm Ofen, der nicht selbst einmal 
OO
dahinter war!» ‒ Die Herrschaften belieben ihre 
OO
eigene Haltung einer Kunstart gegenüber, zu der 
OO
sie keinen Zugang haben, weil sie 
wirklich aus den 
OO
Tiefen aller Kunstgestaltung schöpft, die ihnen 
OO
nie erreichbar waren, auch auf 
andere Menschen zu 
OO
übertragen, denn es ist ihnen schier unfaßbar, 
OO
daß diese «Modernen» nicht in gleicher Weise wie 
OO
sie selbst das ihnen Fernere 
verdächtigen sollten... 
OO
.Man 
kann oder 
will es nicht begreifen, daß einer 
OO
guten und ihres Urteils sicheren Ausstellungslei‐ 
OO
tung ganz und gar nichts daran liegt, aus welcher 
OO
«Schule» die Künstler kommen, die sie werten 
OO
soll, oder welcher «Richtung» sie vielleicht zuge‐ 
OO
zählt werden könnten. ‒ Man ist des felsenfesten 
OO
Glaubens, daß die Parteilichkeit, die man 
in sich 
OO
selber fühlt, auch 
anderen befehlen müsse, und hat 
OO
keine Vorstellung davon, wie 
absolut sicher reagie‐ 
OO
 
rend sich der Blick für 
Echtheit, 
Wert und 
wirkliche 
OO
Ursprünglichkeit entwickeln läßt, und wie er 
jede 
OO
leise Spur davon entdeckt, wenn sie sich unter ir‐ 
OO
gendeiner noch so sonderlichen oder alten Hülle 
OO
‒ wirklich 
findet. ‒
.Bringt doch einmal Werke zu so einer Ausstel‐ 
OO
lung, die durch die Auswahl eines dieser bösen 
OO
«Modernen» ihre Gestalt gewinnt, ‒ Werke, die 
OO
auch nur in noch so bescheidener Weise 
irgend‐ 
OO
etwas von jenen Werten zeigen, die noch im letz‐ 
OO
ten und unbekanntesten Bildchen schlummern, 
OO
das irgendein unbedeutender Schüler eines der 
OO
alten holländischen Kleinmaler schuf! ‒ ‒
.Bringt einmal Stilleben und Landschaften, die 
OO
auch nur 
ein Weniges von jener tiefen 
Liebe, von 
OO
jenem echten 
Kunstgefühl in sich tragen, die 
OO
auch noch den geringsten Enkelschüler der 
OO
alten Großmeister dieser Kunstgebiete auszeich‐ 
OO
nen! ‒
.Ihr würdet eure blauen Wunder erleben und 
OO
euch vielleicht doch beschämt bekennen müssen, 
OO
daß der Maßstab, nach dem die «Modernen» mes‐ 
OO
sen, euch offenbar allzufremd ist, als daß ihr ihn 
OO
verstehen könntet! ‒ ‒ ‒ Freilich, für das, was in 
OO
euren Werken 
euch so wertvoll scheint, hat seine 
OO
Skala 
keine Eintragung. ‒ Aber deshalb soll man 
OO
 
nicht etwa glauben, daß er nur nach «Geschmack» 
OO
und «Mode» messe. ‒ ‒ ‒
.Sobald ein Künstler Ausdrucksformen findet, 
OO
die nur 
ihm und 
seiner Zeit gehören, sollte er nach 
OO
der Ansicht dieser armen «Unterdrückten» sofort 
OO
unterdrückt werden, damit nur ja 
sie selbst ihre 
OO
Plätze nicht verlieren...
.Es ist aber ein Gebot der 
Pflicht und der 
Billig‐ 
OO
keit, gerade 
solchen Künstlern, die 
nicht auf den er‐ 
OO
sten Blick dem großen Publikum verständlich 
OO
sind, die Schwierigkeiten aus dem Weg zu räu‐ 
OO
men, ganz abgesehen davon, daß eine 
neue For‐ 
OO
mensprache doch nicht die Begründung zur 
Ableh‐ 
OO
nung geben darf, sobald es sich um wirklich 
erlebte, 
OO
aus ernstem 
Müssen geborene 
Kunst handelt. ‒ 
OO
Was man in jenen Kreisen, die noch immer glau‐ 
OO
ben, die seichte und innerlich hohle Kunstauffas‐ 
OO
sung am Leben erhalten zu können, in der sie nun 
OO
einmal aufgewachsen sind, der neueren Kunst‐ 
OO
beurteilung zum Vorwurf macht, das ist gerade 
OO
das 
Gegenteil von «Ungerechtigkeit». ‒
.Es ist die durch keine Vettermichelei zu beir‐ 
OO
rende, unerbittliche Auswahl des 
Echten, 
Ur‐ 
OO
sprünglichen aus der Menge des 
Nachempfundenen 
OO
und gemächlich 
aus zweiter Hand Bezogenen, ganz 
OO
einerlei, ob 
älteste oder 
allerneueste Formen und 
OO
 
Farbensprache dem 
innersten Müssen Ausdruck 
OO
gibt, oder nur 
äußerlich eitles Machwerk, mag es 
OO
auch dem ungeübten Laienauge noch so «schön» 
OO
erscheinen, zutage fördert.
.Die Zeiten sind viel zu ernst geworden, als daß 
OO
sie jener innerlich leeren Samtjackenkunst noch 
OO
Raum bieten könnten, die früher ihre Triumphe 
OO
feierte. Nur was uns 
wirkliche, 
dauernde Lebenswerte 
OO
aus der Seele Tiefen schürft, hat heute noch seine 
OO
Berechtigung und wird sie 
behalten, solange es 
OO
Kunst und Künstler gibt. ‒ ‒ ‒
 
 OO
SEIT Jahren bringt das Kino seine Schauer‐ 
OO
dramen, seine verlogenen Detektivgeschich‐ 
OO
ten und unmöglichen Sensationsfilme, ohne daß 
OO
irgendein Mensch Einspruch erhoben hätte, bis 
OO
in die jüngste Zeit. Nun allerdings dämmert es all‐ 
OO
mählich, und es finden sich, ganz abgesehen von 
OO
den verschiedentlichen Demonstrationen der Ju‐ 
OO
gend, die wohl nicht gerade zweckmäßig sein 
OO
dürften, immer mehr gewichtige Stimmen im 
OO
Kampf gegen den «Kinoschund».
.Einsichtige sahen zwar längst, welche Seuche 
OO
sich da in unsern Volkskörper fraß, aber ihr Un‐ 
OO
wille gedieh nicht zu lautem Einspruch, und 
OO
wenn je einer es wagte, das Kind beim Namen zu 
OO
nennen, fanden seine Worte wenig Widerhall.
.Auch heute darf man sich nicht dem frommen 
OO
Glauben hingeben, man hätte die Mehrzahl der 
OO
ernst zu nehmenden Menschen hinter sich, wenn 
OO
man auf die Schädlichkeit der Kinodarbietungen 
OO
hinweist. In weiten Kreisen, von denen man an‐ 
OO
 
nehmen 
sollte, daß die psychologische Bedenk‐ 
OO
lichkeit der Kinodramen für sie durchschaubar 
OO
sei, begegnet man einer unbegreiflichen Laxheit 
OO
des Urteils. Man glaubt, weil man 
selbst imstande 
OO
ist, ohne seelischen Schaden die albernsten Ab‐ 
OO
surditäten des Flimmerbildes an sich vorüberzie‐ 
OO
hen zu sehen, es handle sich im Grunde doch nur 
OO
um eine «recht harmlose Sache», denn man kann, 
OO
oder mag sich nicht in den Seelenzustand der Ju‐ 
OO
gendlichen oder des nur bedingt urteilsfähigen 
OO
Volkes versetzen, um so die vergiftende Wirkung 
OO
der allermeisten Filmspiele zu erkennen. Ich 
OO
denke dabei durchaus nicht etwa nur an Darstel‐ 
OO
lungen, deren ganze Absicht es ist, 
die Sinne auf‐ 
OO
zureizen, auch wenn 
keinerlei Nacktheit, keinerlei 
OO
im Sinne der Zensur «unsittliche» Situationen ge‐ 
OO
zeigt werden, obwohl ich auch wieder in keiner 
OO
Weise denen beipflichten kann, die das gröbste 
OO
Erregen der Sinnlichkeit beinahe als Kulturzweck 
OO
feiern, denn ich bin der Ansicht, daß die sinnli‐ 
OO
chen Triebe im Menschen von Natur aus 
stark ge‐ 
OO
nug wirksam sind, und bei gesunden Menschen, 
OO
am wenigsten bei Jugendlichen, der besonderen 
OO
Aufpeitschung gewiß nicht bedürfen. ‒ ‒
.Jedenfalls nimmt das Kino in dieser Beziehung 
OO
keine Ausnahmestellung ein, denn was die 
OO
plumpe Absicht, 
sinnlichen Kitzel zu erregen be‐ 
OO
 
trifft, so leistet da so manche «Industrie» minde‐ 
OO
stens Ebenbürtiges, von der Postkarte angefan‐ 
OO
gen bis zum literarisch tuenden Roman und dem 
OO
auf die Börse der Theaterbesucher wie ein 
OO
Strauchdieb spekulierenden Schauspielkitsch.
.Viel schlimmer erscheint mir die verheerende 
OO
Wirkung der Kinodramen zu sein, durch die 
Ver‐ 
OO
logenheit der Darstellungen und ihres Milieus. ‒ 
OO
.Die Filmindustrie, die letzten Endes für alle 
OO
Schäden allein verantwortlich ist, denn der Kino‐ 
OO
besitzer nimmt, was sie ihm bietet, weil er ja nichts 
OO
anderes bekommen kann, tut sich nicht wenig 
OO
darauf zugute, 
so realistisch wie möglich zu arbei‐ 
OO
ten. Aber man sehe sich diesen «Realismus» ein‐ 
OO
mal etwas genauer an!
.Wo in aller Welt gibt es soviel Tagediebe wie im 
OO
Kinodrama? Wo in aller Welt leben Menschen der 
OO
Arbeit, Gelehrte, Erfinder, Kaufleute, Künstler, in 
OO
der Art und Weise, wie das Kino ihr Leben zu zei‐ 
OO
gen vorgibt? ‒ Wo in aller Welt können sich nor‐ 
OO
mal begüterte Menschen den Luxus des Milieus 
OO
leisten, der in diesen Kinodramen immer wieder‐ 
OO
kehrt? ‒
.Die protzig überladene Wohnung eines Schie‐ 
OO
bers in Berlin WW, mag er nun seinen Reichtum 
OO
 
vor, im, oder nach dem Krieg «gemacht» haben, 
OO
ist doch gewiß nicht der Typus der Wohnung ei‐ 
OO
nes jeden Begüterten! ‒ Und ebensowenig pfle‐ 
OO
gen sich Männer und Frauen anständiger, besit‐ 
OO
zender Kreise in der Art zu kleiden, wie es die 
OO
männliche und weibliche Lebewelt der großstäd‐ 
OO
tischen Nachtlokale liebt, die sich das auf anderer 
OO
Leute Kosten leisten kann.
.Was soll der einfache Mann aus dem Volke, der 
OO
ohnehin schon mit bitteren Gefühlen von einem 
OO
Leben der «Reichen» träumt, wie es höchstens in 
OO
seltenen Auswüchsen einmal bei einem Geldprot‐ 
OO
zen, der aus der Hefe einer Großstadt aufstieg, 
OO
zur Wirklichkeit wird, ‒ was soll der Jugendliche, 
OO
der aus ärmlichen Verhältnissen kommt, bei sol‐ 
OO
chen Schilderungen aufnehmen, wenn nicht Haß 
OO
und Wut auf alle diese reichen Müßiggänger, 
OO
oder, im besten Fall, eine völlig überspannte Vor‐ 
OO
stellung von dem Leben begüterter Kreise und 
OO
angesehener Berufe, und eine ebenso über‐ 
OO
spannte Sucht, es ihnen nach Möglichkeit bald 
OO
gleichtun zu können ?! ‒ ‒ ‒
.Hier steckt meines Erachtens die 
allerübelste 
OO
Wirkung der Kinodramen, übler noch als die Ge‐ 
OO
schmacksverbildung in literarischem Sinn, und 
OO
übler als alle kitschige Erotik. ‒
 
.Die Wirkung ist um so verderblicher, weil ja das 
OO
Kino 
wirkliches Leben vortäuschen will und von 
OO
dem naiven Beschauer auch ohne weiteres als 
ge‐ 
OO
naue Darstellung des Lebens, wie es wirklich seiner 
OO
Meinung nach 
ist, genommen wird. Alles spielt ja 
OO
in natürlicher Umgebung. Das Leben der Straße 
OO
spielt mit, wie es sich gerade trifft, wirkliche Gär‐ 
OO
ten und Parks, wirkliche Häuser und wirkliche 
OO
freie Luft bilden den Hintergrund der Szenen. 
OO
Unwillkürlich wird auch die «Wirklichkeit» der 
OO
Innenräume, die nicht wie beim Theater, Kulisse 
OO
sind, den Eindruck verstärken, man habe es mit 
OO
wirklichen Begebnissen zu tun. ‒
.Dazu kommt noch, daß doch die meisten Kino‐ 
OO
schauspieler und Schauspielerinnen als solche 
OO
mehr oder weniger «Talmi» sind, von Ausnahmen 
OO
abgesehen, wo sich eine wirkliche Bühnengröße 
OO
des Geldverdienstes wegen für das Kino hergibt. 
OO
Die allermeisten dieser Akteure stammen gewiß 
OO
nicht aus vornehmen Häusern, kennen das Le‐ 
OO
ben des 
wirklichen Aristokraten gewiß nicht aus ei‐ 
OO
gener Anschauung, und so geben sie in ihrer 
OO
Rolle eben, was sie geben 
können: ‒ 
Talmi und 
OO
Kitsch. ‒
.Von der Verlogenheit historischer Milieus oder 
OO
ethnographischer Schauplätze und ihrer agieren‐ 
OO
den Charaktere sei hier nur nebenbei noch die 
OO
 
Rede. Auch hier wird alles, was wirklich beleh‐ 
OO
rend und wertvoll sein 
könnte, durch eine unsäg‐ 
OO
lich alberne Aufmachung verdorben, und der oh‐ 
OO
nehin schon allem Kitsch wohlgeneigte Ge‐ 
OO
schmack der Menge in geradezu raffinierter 
OO
Weise noch 
unter sein ursprüngliches Niveau her‐ 
OO
abgedrückt. Das gleiche gilt von den, aller Le‐ 
OO
benswirklichkeit hohnsprechenden, so sehr be‐ 
OO
liebten Detektivgeschichten, die noch außerdem 
OO
oft geradezu wie «Lehrkurse für Verbrecher und 
OO
solche, die es werden wollen», wirken. Es wäre 
OO
eine interessante Aufgabe für Kriminalisten, bei 
OO
den Verbrechen Jugendlicher, oder sonst Unbe‐ 
OO
scholtener, einmal nachzuforschen, welcher Pro‐ 
OO
zentsatz da auf eine «erste Anregung» aus dem 
OO
Kino entfällt. ‒ ‒
.Man sieht, es hat gute Gründe, wenn ernste 
OO
Männer und Frauen heute mit Sorge das «Kino‐ 
OO
problem» betrachten, wenn man endlich anfängt 
OO
zu sehen, welche verheerende Seuche da mitten 
OO
unter uns wütet, und nach Mitteln sucht, sie ein‐ 
OO
zudämmen. ‒ ‒
.Wie ich schon bemerkte, ist es gänzlich ver‐ 
OO
kehrt, den 
Kinobesitzer als den Schädling anzuse‐ 
OO
hen. Ein solcher Unternehmer würde mit Freu‐ 
OO
den auch die kulturell 
wertvollste Einrichtung mit 
OO
gleicher Liebe ausgestalten, wenn sie ihm mehr, 
OO
 
oder auch nur gleichen 
Gewinn bringen könnte.
.Und wenn heute wirklich gute, 
wirklich belehrende 
OO
Filme überhaupt in so reicher Menge 
zu haben wä‐ 
OO
ren wie der überreich angebotene glänzende 
OO
Schund, dann würden sich 
schon heute auch Licht‐ 
OO
spieltheater finden, deren Programm auch einen 
OO
leidlich geschmackvollen, und vor allem 
verant‐ 
OO
wortungsbewußten Menschen den Besuch nahele‐ 
OO
gen könnte.
.Der Kardinalpunkt der ganzen Frage ist die 
OO
Filmbeschaffung, und da wieder nur läßt sich etwas 
OO
erreichen, wenn ein genügend starker Druck auf 
OO
die bestehenden 
Filmgesellschaften ausgeübt wer‐ 
OO
den kann, der ihnen die Frage überhaupt 
erwä‐ 
OO
genswert erscheinen läßt.
.Bis jetzt «geht» das Geschäft ja 
auch so. ‒ Wes‐ 
OO
halb also etwas ändern, wenn der übergroße Teil 
OO
des Publikums doch äußerst zufrieden mit dem 
OO
Gebotenen ist? ‒ Ohne eine große, 
über ganz 
OO
Deutschland verbreitete Organisation wird sich 
nie‐ 
OO
mals die Stimmstärke entwickeln, die kraftvoll ge‐ 
OO
nug ist, das Ohr dieser Finanzmagnaten aufhor‐ 
OO
chen zu lassen. Konkurrenzgesellschaften zu 
OO
gründen, die «nur Gutes» bringen sollen, halte 
OO
ich für 
völlig verfehlt. Die bestehenden Gesell‐ 
OO
schaften arbeiten mit einem eingespielten 
Riesen‐ 
OO
apparat und mit 
Riesenkapital. Sie 
allein werden 
OO
 
auch weiterhin diktieren, und ihr Joch ist der 
OO
Menge süß. ‒
.Wenn schon die 
Jugend, hier und an andern Or‐ 
OO
ten, sich der Kinofrage annahm, so meine ich, 
OO
wäre es gar nicht so übel, wenn auch von der 
Ju‐ 
OO
gend die Bildung einer machtvollen deutschen 
Or‐ 
OO
ganisation zur Umwandlung des Kinos ausginge. ‒ 
OO
Hier wäre jedenfalls ein ausgiebigerer Erfolg zu 
OO
erwarten, als er jemals von den doch recht dane‐ 
OO
ben hauenden Demonstrationen in Lichtspiel‐ 
OO
theatern zu erhoffen ist. ‒ An Unterstützung 
OO
würde es wahrhaftig nicht fehlen. Ist erst ein 
An‐ 
OO
fang gemacht, dann zweifle ich nicht mehr, daß in 
OO
ein paar Jahren auch 
gute Filme in genügender 
OO
Menge hergestellt werden, «der Not gehorchend, 
OO
nicht dem eignen Trieb», was die Filmgesellschaf‐ 
OO
ten anlangt.
.Mittlerweile haben hier in Görlitz zwei Männer, 
OO
deren Beruf sie in nächsten Konnex mit der Ju‐ 
OO
gend führt, sehr anerkennenswerte Versuche un‐ 
OO
ternommen, die 
Kunst und die 
Heimatliebe ins 
OO
Kino einzuführen. Als Bereicherung der 
Möglich‐ 
OO
keiten, die ein Lichtspieltheater bieten kann, sind 
OO
diese Versuche 
sehr begrüßenswert, wenn sie auch 
OO
zur eigentlichen 
Lösung der Kinofrage, die eine 
OO
Filmfrage ist, nur mittelbar beitragen. Die durch 
OO
seine Bemühungen gebotene Gelegenheit, hier 
OO
 
schwer zugängliche 
Klingersche Radierungen im 
OO
Lichtbild sehen zu können, sichert Hrn. 
Oberlehrer 
OO
Schulze, neben den hochinteressanten Ausführun‐ 
OO
gen seines Vortrages, stets gut besuchte Häuser, 
OO
zumal er sich an 
Erwachsene wendet, unter denen 
OO
hier immerhin eine ziemliche Anzahl Kunstinter‐ 
OO
essenten zu finden ist. Weniger Verständnis zeigt 
OO
sich, wenigstens vorläufig, für die schönen Nach‐ 
OO
mittagsvorträge, in denen Hr. 
Zeichenlehrer Haupt 
OO
der 
Jugend seinen reichen Schatz an eigenen Auf‐ 
OO
nahmen aus der Heimat darbietet, und ihr, 
OO
gleichsam nebenbei, eine Fülle des Interessanten 
OO
und Belehrenden aus der Heimatgeschichte, die 
OO
er so genau kennt, übermittelt. Es wäre außeror‐ 
OO
dentlich zu bedauern, wenn diese vom Geist ech‐ 
OO
ter Heimatliebe und freudigen Gebenwollens ge‐ 
OO
tragene Veranstaltung aus «Mangel an Interesse» 
OO
aufgegeben werden müßte. Wenn Eltern sich 
OO
selbst und ihren Kindern eine Stunde gediegenen 
OO
Genusses bereiten wollen, so können sie nichts 
OO
Besseres tun, als diese Vorträge des Hrn. Haupt 
OO
zu besuchen.
.Immerhin, so anziehend und belehrend die 
OO
Vorträge beider Herren auch sind, so sehe ich in 
OO
ihnen, obwohl zwar Hr. Haupt, der Jugend Rech‐ 
OO
nung tragend, auch das 
Kino mit humorvollen, 
OO
einwandfreien oder auch belehrenden 
Filmnum‐ 
OO
 
mern heranzieht, nur eine Bereicherung des im OO
Lichtspieltheater möglichen Programms, denn wie OO
die Dinge heute liegen, hat das Stehbild im «Kino», OO
wie schon der Name sagt, doch nur sekundäre Be‐ OO
deutung. Man kommt in erster Linie, um bewegtes OO
Leben auf der Leinwand zu sehen. Daß dieses be‐ OO
wegte Leben eminent bedeutend, belehrend, er‐ OO
heiternd, und in höchstem Grade interessant sein OO
kann, ohne verderblich zu wirken, steht außer OO
Frage. Aber die prächtigen Möglichkeiten des OO
Filmbildes, das uns alle Wunder der Märchenwelt OO
als Wirklichkeit schauen lassen, und die tiefste ur‐ OO
sprüngliche Poesie vermitteln kann, werden nie‐ OO
mals in einer andern, als der dem Berliner Nacht‐ OO
kaffeehaus angepaßten Weise ausgenützt werden, OO
wenn sich nicht in ganz Deutschland eine achtung‐ OO
gebietende Anzahl von Männern und Frauen fin‐ OO
det (die männliche und weibliche Jugend rechne OO
ich hier in erster Linie dazu), die wenigstens un‐ OO
sern deutschen Filmgesellschaften einmal mit aller OO
Deutlichkeit sagen, wie das deutsche Volk die an OO
sich so wunderbare Erfindung des beweglichen OO
Lichtbildes verwertet wissen will...
ES sind jetzt etwa fünfzehn Jahre her, seit ich OO
zum erstenmal die Hand des nun Verbliche‐ OO
nen in der meinen halten durfte. Damals, in sei‐ OO
ner Leipziger Villa, kam er mir, von dem er durch OO
Freunde gehört hatte, zuerst recht feierlich ent‐ OO
gegen, aber das legte sich bei späteren Begegnun‐ OO
gen, als wir uns genügend kennengelernt hatten, OO
ganz von selbst, so daß, wenn ich heute an Klinger OO
denke, nur immer das Bild eines Mannes vor mir OO
steht, mächtig und bedeutend schon in seiner OO
äußeren Erscheinung, aber nur mit Hose und Fi‐ OO
letnetzjacke bekleidet, und darüber dieser un‐ OO
glaublich kluge Kopf mit dem rotblonden Haar‐ OO
schopf und dem gleichgefärbten Knebelbart. Die OO
Art, in der er einen so über die Brillengläser weg OO
anschauen konnte, war ganz unbeschreiblich fas‐ OO
zinierend, und ich glaube gerne, daß diesem Blick OO
nicht jeder standzuhalten vermochte. Wie er mir OO
zwischen den Modellen und Vorarbeiten im Ate‐ OO
lier und abends beim Wein erzählte, war er auch OO
von Natur aus sehr unzugänglich und konnte OO
eine gewisse «Schüchternheit», wie er es selbst 
OO
nannte, nur sehr schwer überwinden.
.So viel auch über seine Kunst geschrieben wor‐ 
OO
den ist, ‒ den 
Menschen Klinger fand ich bis jetzt 
OO
noch 
niemals gehörig gewürdigt. Man konnte 
OO
glauben, er lebe in unserer Zeit, und entdeckte 
OO
dann plötzlich, daß man einen vornehmen Rö‐ 
OO
mer, vielleicht auch einen Griechen der hellenisti‐ 
OO
schen Zeit vor sich hatte, ‒ ‒ man war versucht, 
OO
ihn als einen Spätgeborenen, oder als eine Rein‐ 
OO
karnation der Antike zu nehmen, und sah ebenso 
OO
überraschend stark ausgeprägt einen Menschen 
OO
vor sich, der gesättigt war mit allen Werten mo‐ 
OO
derner Kultur... Musikalisch bis in die Finger‐ 
OO
spitzen, belesen wie ein moderner Literatur- und 
OO
Theaterkritiker, völlig vertraut mit dem Leben 
OO
der großen Welt, und dabei so unendlich kindlich 
OO
einfach in mancher Urteilsbildung, daß man sich 
OO
hätte verwirren lassen können, wenn man auch 
OO
nur einen Moment vergessen hätte, was alles die‐ 
OO
ser mächtige und doch so kompliziert gebildete 
OO
Schädel barg. Man hat Klinger oft genug ein 
OO
Übermaß an Intelligenz vorgeworfen, einer Intel‐ 
OO
ligenz, die angeblich seiner Kunst im Wege stehen 
OO
sollte, aber wer ihn jemals so kennen lernen 
OO
durfte, wie es mir vergönnt war, der wird mir 
OO
gerne bestätigen, daß in diesem modernen 
Pan 
OO
 
auch eine Gefühlstiefe wurzelte, wie sie, selbst un‐ 
OO
ter den hervorragendsten Meistern der Kunst ‒ 
OO
sehr selten ist. Ich glaube, daß man wirklich bis 
OO
zu den Gestalten der Antike, bis zu griechischen 
OO
Vasenmalern, oder mindestens zu den hervor‐ 
OO
ragendsten Persönlichkeiten der italienischen 
OO
Renaissance zurückgreifen muß, wenn man 
OO
irgendwo in einem Menschen diese kraftstrot‐ 
OO
zende und doch so hochkultivierte Sinnlichkeit 
OO
wiederfinden will, die eigentlich Klingers künst‐ 
OO
lerisches Fundament war. Ihm war das ganze Er‐ 
OO
dendasein Ausdruck 
göttlicher Sinnenfreude, und er 
OO
glaubte an seine sinnlich-frohen «Heidengötter», 
OO
wie Schwind an seine Gnomen und Elfen glaubte, 
OO
mit der ganzen Inbrunst eines Herzens, dem es 
OO
Selbstverständlichkeit ist, daß «die Sonne Homers» 
OO
auch 
unserem Geschlechte scheint, wenn es ‒ ihrer 
OO
würdig ist, wie 
er es war. ‒ ‒ ‒
.Die neuere Kunstentwicklung hat anscheinend 
OO
Klinger überholt, aber niemand begrüßte das so, 
OO
wie Klinger selbst. ‒ Er 
wollte keine «Schule ma‐ 
OO
chen». Er wußte viel zu genau, daß er ein 
Einzigar‐ 
OO
tiger war, dem keiner ohne Gefahr nachfolgen 
OO
durfte. Nichts brachte ihn, nach eigenem Geständ‐ 
OO
nis, mehr zur Verstimmung, als wenn er sah, daß 
OO
irgendein junger Künstler auf seinen Fuß-Spu‐ 
OO
ren zur Kunst zu gelangen suchte. Wie groß aber 
OO
 
war seine Freude, wenn er irgendwo einen fand, 
OO
der neue Wege suchte. Nur seine übergroße 
OO
Ängstlichkeit vor jeder Zeitungsnotiz konnte ihn 
OO
dann davon abhalten, für einen Neuerer öffent‐ 
OO
lich einzutreten. Ich selbst hatte ihm seinerzeit 
OO
Arbeiten gezeigt, zum Teil symbolischen und spä‐ 
OO
ter rein farbensymbolischen* Inhaltes, die man 
OO
heute wohl zum «Expressionismus» rechnen 
OO
würde, und ich werde niemals vergessen, wie er 
OO
mir mal bis zum Gartentor nachlief, um mir noch‐ 
OO
mals einzuschärfen, ich möchte mich doch ja 
OO
durch Ablehnung nicht «decouragieren» lassen. 
OO
Daß ich dennoch nur mit zwei Mappenwerken 
OO
rein symbolistischen Inhalts damals in die Öffent‐ 
OO
lichkeit zu treten wagte und mit meinen farben‐ 
OO
symbolischen Werken mich nicht bemerkbar 
OO
machte, hat er mir, wie ich bei meinem letzten Be‐ 
OO
such sah, beinahe als Charakterfehler angerech‐ 
OO
net, obwohl ich ihm damals wenigstens die 
Photo‐ 
OO
graphien meiner griechischen Bilder zeigen 
OO
konnte, die ihn, den begeisterten Freund Grie‐ 
OO
chenlands und seiner antiken Überreste, gerade 
OO
deshalb am meisten erfreuten, weil er auf keinem 
OO
der Bilder Anklänge an die 
heutige Zeit entdeckte. ‒ 
OO
 
* Die «farbensymbolischen Werke» bzw. «farbig-abstrak‐ 00
ten Gebilde» wurden später von Bô Yin Râ als «geistliche 00
Bilder» bezeichnet.
.Immer und immer wieder aber kam er auf die OO
früheren farbensymbolischen Arbeiten zurück OO
und bedauerte, daß ich den Mut nicht fand, sie OO
der Öffentlichkeit zu zeigen. Ich war mir jedoch OO
nur viel zu klar darüber, daß eben nur Klinger, mit OO
seinem unglaublich ausgebildeten Musikempfin‐ OO
den, dazu imstande war, das zu erfühlen, was ich OO
da in Farben-Rhythmen für mich selbst auszuspre‐ OO
chen unternommen hatte, aber ich bedauere tief, OO
daß ich ihm die letzte Freude nicht mehr bereiten OO
konnte, ihm zu sagen und zu zeigen, wie der OO
Drang zu farbig-abstrakten Gebilden mich wieder OO
erfaßte, und wie er schließlich, nachdem das Er‐ OO
lebnis «Griechenland» Gestalt gewonnen hatte, zu OO
neuen Resultaten führte. ‒ Immer wieder klagte OO
er mir, daß man ihn nicht in Ruhe ließe, und wie OO
Unzählige, meist seiner Ansicht nach völlig Un‐ OO
berufene, von ihm «ein Urteil» haben wollten, be‐ OO
sonders Graphiker. Hier war es nun seine Schwä‐ OO
che, daß er es niemals fertig brachte, rücksichtslos OO
seine Meinung zu sagen... Für jeden, mochte er OO
auch noch so unbedeutend sein, hatte er ein lie‐ OO
benswürdiges Wort, auch wenn er nachher dort, OO
wo er sich geben durfte, wie er war, kopfschüt‐ OO
telnd seine sarkastischen Bemerkungen machte OO
über die «unglaubliche Borniertheit» der Kerle, OO
die da «die schönen Kupferplatten zuschanden» OO
arbeiteten. ‒
.Über sein 
eigenes Werk, seine Radierungs‐ 
OO
Zyklen, seine Plastik und seine Malerei auch nur 
OO
ein Wort zu verlieren, hieße «Eulen nach Athen 
OO
tragen». (Obwohl ich in dem heutigen Athen 
OO
recht wenig Eulenrufe hörte!) Er war ein durch‐ 
OO
aus Einziger und Unnachahmlicher, eine der 
ganz 
OO
großen Persönlichkeiten, die man nur würdigen 
OO
kann, wenn man das Glück hatte, ihnen persön‐ 
OO
lich nahekommen zu dürfen, die aber erst von der 
OO
Nachwelt ihre feste und unverrückbare Stellung 
OO
im Pantheon der Großen eines Volkes erhalten. ‒ 
OO
.Erschütternd wirkt sein Scheiden doppelt in 
OO
diesen schicksalsschweren Tagen, und dennoch 
OO
hatte ich niemals bei ihm das Gefühl, daß dieses 
OO
starke Leben einst zu einem Patriarchenalter füh‐ 
OO
ren könne. Der ganze Mensch wirkte wie ein 
OO
Fragment einer überweltlichen Architektur, und 
OO
als ein solcher sollte er wohl auch seiner Nachwelt 
OO
erkennbar werden. ‒ ‒ Was 
Rodin für 
Frankreich 
OO
war, und dennoch zugleich 
für die ganze Welt, ‒ das 
OO
war 
Max Klinger für 
uns, und vielleicht ‒ ‒ auch für 
OO
einen gar nicht so unbeträchtlichen Teil der 
außer‐ 
OO
deutschen Welt. ‒
 
KÜRZLICH war in einer Zeitungsnotiz zu le‐ 
OO
sen, daß 
Edison sich mit der Konstruktion ei‐ 
OO
nes hochsensiblen Apparats befasse, der es den 
OO
Seelen Abgeschiedener, falls sie die von überzeu‐ 
OO
gungstreuen Spiritisten angenommene Sehn‐ 
OO
sucht verspürten, mit den auf Erden Zurückge‐ 
OO
bliebenen zu verkehren, sehr wesentlich erleich‐ 
OO
tern solle, sich bemerkbar zu machen.
.Gleichzeitig hofft Edison, wie er angeblich ei‐ 
OO
nen amerikanischen Reporter wissen ließ, durch 
OO
seinen Apparat endgültig festzustellen, ob der Zu‐ 
OO
stand der Menschengeister nach dem Tode des 
OO
Körpers überhaupt zu einer solchen Kommuni‐ 
OO
kation 
fähig, oder ob alle mit Hilfe von Medien er‐ 
OO
haltenen Botschaften nur eitle Flunkerei seien. 
OO
Jedenfalls traut er, nach dem Bericht, den Medien 
OO
nicht viel Gutes zu.
.Es ist ebensowohl denkbar, daß diese Notiz als 
OO
fette Ente über den Ozean geflogen kam, wie es 
OO
 
auch durchaus zu verstehen wäre, daß ein bedeu‐ 
OO
tender Erfinder das Problem des Verkehrs mit 
OO
den Jenseitigen auf seine Weise zu lösen versu‐ 
OO
chen würde. Eine andere Frage aber ist es, ob je‐ 
OO
mals 
durch Apparate die Existenz jenseitiger Intel‐ 
OO
ligenzen (die trotz ihrer eigenen Behauptungen 
OO
durchaus keine verstorbenen Menschen zu sein 
OO
brauchen) überhaupt nachgewiesen werden 
OO
kann.
.An Apparaten, die den Jenseitigen die Arbeit 
OO
erleichtern sollten, hat es bis jetzt durchaus nicht 
OO
gefehlt, und es gibt sogar einen Apparat, der an‐ 
OO
geblich die Medien überflüssig macht (das 
Arnold‐ 
OO
sche Skriptoskop) und mit den minimalen Kräften 
OO
medialer Art rechnet, die in jedem Menschen 
OO
schlummern. Aber alle diese Apparate brauchen 
OO
dennoch die Mitwirkung der im sichtbaren Kör‐ 
OO
per lebenden Menschen. Immer ist die 
Berührung 
OO
des Apparates gebotene Bedingung, soll er über‐ 
OO
haupt in Bewegung geraten. Ich nehme an, daß 
OO
Edison, falls die Notiz auf Wahrheit beruht, an der 
OO
Konstruktion eines Apparats arbeitet, der diese 
OO
Fehlerquelle 
ausscheiden will, und 
ohne jegliche 
OO
Berührung von seiten der Experimentatoren, le‐ 
OO
diglich durch Kraftanwendung, die von 
unsicht‐ 
OO
baren Agenten ausgeht, deren Dasein erweisen 
OO
soll. 
OO
 
.Der Nachricht zufolge erwartet Edison eine 
OO
«furchtbare Sensation», falls sein Apparat Erfolg 
OO
haben sollte. ‒ ‒
.Nun mag ja gewiß zugegeben werden, daß es 
OO
völligen Außenseitern vielleicht sehr imponieren 
OO
würde, wenn sie unter dem neuen Apparat plötz‐ 
OO
lich in sauberer Schreibmaschinenschrift eine 
OO
Mitteilung aus dem Jenseits vorfänden, ohne daß 
OO
eine Möglichkeit der Mitwirkung sichtbarer Men‐ 
OO
schen dabei in Betracht kommen könnte. Neu 
OO
wäre aber dabei allein die 
Form des Experiments, 
OO
denn die Geschichte des Spiritismus kennt längst 
OO
weit eindrucksvollere Geschehnisse, die sich nicht 
OO
nur 
ohne Berührung irgendeines Apparats, son‐ 
OO
dern völlig 
ohne besonderen Apparat ereigneten 
OO
und mehr als hinlänglich beglaubigt sind. Immer 
OO
aber ist die Nähe eines seiner medianimen Bega‐ 
OO
bung bewußten oder nicht bewußten «Mediums», 
OO
also eines Menschen von abnormer psycho-physi‐ 
OO
scher Beschaffenheit, Vorausbedingung solcher 
OO
Geschehnisse. Was dagegen bei der Beschäfti‐ 
OO
gung mit Apparaten, die angeblich 
keines Medi‐ 
OO
ums bedürfen, herauskommt, ist so wenig über‐ 
OO
zeugend, läßt sich so leicht auf unbewußte Bewe‐ 
OO
gung kleinster Muskeln der den Apparat Bedie‐ 
OO
nenden zurückführen, daß nur völlige Kritiklo‐ 
OO
sigkeit hier den Beweis für ein 
jenseitiges Eingrei‐ 
OO
 
fen erblicken kann, selbst wenn der Inhalt der auf 
OO
solche Weise erhaltenen Mitteilungen scheinbar 
OO
zwingend auf jenseitige Urheber schließen lassen 
OO
mag.
.Wird nun Edisons Apparat die Mitwirkung ei‐ 
OO
nes menschlichen Mediums 
tatsächlich völlig ent‐ 
OO
behrlich machen? Wird man, von einem Ausflug 
OO
zurückkehrend, plötzlich vor der Tatsache ste‐ 
OO
hen, daß im sicher verschlossenen Zimmer, in 
OO
dem der Apparat stand, eine «Mitteilung aus dem 
OO
Jenseits» zustande kam? ‒ Ich glaube kaum, und 
OO
mein Zweifel gründet sich dabei denn doch auf ei‐ 
OO
nigermaßen erprobte Untersuchung der in Be‐ 
OO
tracht kommenden Faktoren.
.Aber nehmen wir ruhig einmal an, es gelänge 
OO
Edison, das «Medium» völlig zu eliminieren und 
OO
auf diese Weise völlig einwandfreie Botschaften 
OO
aus dem Unsichtbaren zu erhalten. Was wäre da‐ 
OO
bei gewonnen? ‒ ‒
.Erhalten nicht unsere Telefunkenstationen tag‐ 
OO
täglich unzählige solcher Botschaften? Allerdings 
OO
kennt man da den Absender und weiß, daß es ein 
OO
in der Sichtbarkeit lebender Mensch ist. Bei dem 
OO
Edisonschen Apparat würde man nun bestenfalls 
OO
vielleicht Botschaften erhalten, wie sie der Spiri‐ 
OO
tismus allerdings längst schon kennt, Botschaften, 
OO
 
deren Urheber sich als der Geist Goethes, Napo‐ 
OO
leons, als «Erzengel Gabriel» oder gar als «Gott‐ 
OO
Vater» ausgeben würde. Man wäre nach wie vor 
OO
auf die 
Glaubwürdigkeit der sich manifestierenden 
OO
Intelligenz angewiesen, und daß es mit dieser 
OO
Glaubwürdigkeit dann doch eine recht eigenar‐ 
OO
tige Bewandtnis hat, das werden selbst unter den 
OO
Spiritisten nur jene nicht zugeben wollen, die in 
OO
der Offenbarung ihrer «Geister» ein unantast‐ 
OO
bares Evangelium sehen. Wir würden also nur 
OO
zum tausendstenmal die längst erwiesene Tatsa‐ 
OO
che feststellen können, die auch der Physiker 
OO
Crookes nach unzähligen Experimenten (zum Teil 
OO
ausgeführt unter Zuhilfenahme der empfindlich‐ 
OO
sten elektrischen Kontrollapparate) feststellte, 
OO
daß es unzweifelhaft unsichtbare 
Intelligenzen gibt, 
OO
die sich physikalisch manifestieren 
können, daß sie 
OO
sich selbst alle möglichen Namen beilegen, daß 
OO
aber jeder zwingende Beweis fehlt, der sie als 
OO
überlebende geistige Individualitäten «gestorbe‐ 
OO
ner» Erdenmenschen dartun würde. ‒ Es ist und 
OO
bleibt reine Glaubenssache, ob man sie als solche 
OO
ansehen mag oder nicht. ‒ ‒
.Wie aber wäre es, wenn man die Hypothese, 
OO
daß man es, ihren eigenen Angaben nach, hier 
OO
mit «Geistern Verstorbener» zu tun habe, einmal 
OO
gänzlich fallen lassen wollte, besonders, da die post‐ 
OO
 
humen Äußerungen dieser vermeintlichen Gei‐ 
OO
ster doch in den weitaus meisten Fällen sehr 
OO
merkwürdige Kontraste mit ihrer Geistigkeit bil‐ 
OO
den, die sie im Körper der Erde dokumentierten 
OO
und die nur durch einen schreckenerregenden 
OO
Rückschritt zu erklären wären? ‒ (Selbst «Gott‐ 
OO
Vater» und der «Erzengel Gabriel» bringen es 
OO
über triviale Salbadereien nicht hinaus!)
.Wie wäre es, wenn wir es hier mit einer Wesens‐ 
OO
reihe zu tun hätten, die zwar unseren Sinnen 
OO
nicht faßbar ist, aber dennoch einen Bestandteil 
OO
dieser physischen Welt bildet? ‒ Haben wir wirklich 
OO
schon alles entdeckt, was auf dieser Erde an Irdi‐ 
OO
schem und dennoch Unsichtbarem zu entdecken 
OO
ist? ‒ Ich spreche diese Frage gewiß nicht leicht‐ 
OO
fertig aus und glaube meine Gründe zu haben, sie 
OO
aufzuwerfen.
.Die Frage, ob es überhaupt 
absolut einwandfreie 
OO
Manifestationen «spiritistischer» Art gibt, bejahe 
OO
ich auf Grund unanfechtbarer eigener Erfahrung 
OO
durchaus, und diese Frage kann auch heute nur 
OO
noch von Menschen gestellt werden, denen ent‐ 
OO
weder das ganze in Rede stehende Gebiet durch‐ 
OO
aus fremd ist, oder von solchen, die niemals Gele‐ 
OO
genheit fanden, jeder nur möglichen Kontrolle 
OO
zugängliche, keinerlei Täuschungsmöglichkeit 
OO
mehr unterworfene Manifestationen aus unsicht‐ 
OO
 
barer Quelle zu erleben. Auch denen könnten die 
OO
Erfahrungen von Männern wie 
Crookes, 
Lombroso, 
OO
Schiaparelli, 
Zöllner, 
Richet, 
Rochas, 
Baraduc und 
OO
von vielen anderen doch zu denken geben... Mit 
OO
Schopenhauer möchte ich sagen: «Wer diese Tatsa‐ 
OO
che 
leugnet, ist nicht 
ungläubig, sondern 
unwissend 
OO
zu nennen.» ‒
.Ich will auch durchaus nicht in Abrede stellen, 
OO
daß diese Manifestationen sehr oft den Glauben 
OO
nahelegen können, man habe es mit Äußerungen 
OO
Abgeschiedener zu tun, ja daß es selbst 
möglich 
OO
sein könne, daß 
gelegentlich eine menschliche En‐ 
OO
telechie, sei sie nun noch an irdische Körperlich‐ 
OO
keit gebunden oder nicht, als «spiritus rector» sich 
OO
solcher Manifestationen 
bediene. Trotz alledem 
OO
aber glaube ich allen Grund zu haben, die eigent‐ 
OO
lichen 
Urheber aller 
spiritistischen Manifestationen, 
OO
also aller Vorkommnisse, zu deren Erklärung die 
OO
animistische Erklärungsweise nicht ausreicht (die 
OO
also nicht durch eigene Seelenkräfte erklärbar 
OO
sind), als Wesen einer uns unbekannten, 
in der 
OO
physischen Welt lebenden, unsichtbaren Wesensreihe 
OO
ansprechen zu dürfen, und meine, allerdings aus 
OO
gewissen Gründen nur mir persönlich zugängli‐ 
OO
chen Beweise würden auch selbst durch die stau‐ 
OO
nenerregendsten Erfolge des Edisonschen Appa‐ 
OO
rates nicht im mindesten zu erschüttern sein.
 
.Der Beweis vom Fortleben des Menschengeistes OO
nach dem Tode ist hier nie und nimmer zu finden OO
trotz der enormen Ausbreitung der spiritistischen OO
Glaubenssätze, trotz der über 30000 Bände um‐ OO
fassenden spiritistischen Literatur. Wer diesen Be‐ OO
weis nicht in einer für ihn selbst zwingenden Art in OO
sich selbst zu finden vermag, der wird ihn in der Welt OO
der äußeren Sinne vergeblich suchen und im be‐ OO
sten Falle nur der Täuschungslust tief unter ihm OO
stehender Wesen erliegen, die ihn nur gläubig OO
finden, weil er nicht imstande ist, sie zu sehen. ‒ OO
Was er gelegentlich, bei den doch immerhin rela‐ OO
tiv seltenen echten «Materialisationen» angeblich OO
Gestorbener zu sehen bekommt, sind, trotz aller OO
Ähnlichkeit niemals jene Gestorbenen, sondern OO
gleichsam galvanisierte astrale Larven, wie sie OO
jede irdische Erscheinung in der Aura dieses OO
Weltkörpers zurückläßt, erborgte Masken, deren OO
sich jene, mir mehr als wünschenswert bekannten OO
unsichtbaren Wesen bedienen, um ihre Rufer er‐ OO
folgreich zu äffen. ‒ («Materialisationsphäno‐ OO
mene», wie sie Schrenk-Notzing zu untersuchen OO
Gelegenheit fand, tragen ihren Namen zu Un‐ OO
recht und sind durchaus auf animistischer Basis, als OO
abnorme psycho-physische Erscheinungen, aber OO
niemals als echte Materialisationen, wie sie z.B. OO
Crookes erlebte, anzusprechen.) Es wäre sehr zu OO
bedauern, wenn etwa durch Edisons Erfindung OO
eine neue Verwirrung der Geister ‒ aber der in OO
Gehirnen tätigen ‒ Platz greifen würde; denn die OO
Enttäuschung wäre zum Schlusse unvermeidbar, OO
und für viele würde sie nur ein Zurücksinken in OO
flachste materialistische Denkungsart, ein Verfal‐ OO
len in trostlosen Zynismus bedeuten. Wen Natur OO
nicht selbst dazu befähigt hat, dem sinnlich Uner‐ OO
forschlichen auf übersinnliche Art zu nahen, der OO
bleibe ferne einer Region, die zu seinem eigenen OO
Besten vor seinen Augen verborgen bleibt, und er OO
«begehre nimmer zu schauen», was die Götter OO
«gnädig verhüllten mit Nacht und Grauen!» ‒ ‒
FRAU 
Helena Petrowna Blavatski gründete im 
OO
Jahre 1875 zu New York die «Theosophical 
OO
Society». Die Beziehung auf das Wort «Theoso‐ 
OO
phie» erschien in diesem Titel, nachdem eine vor‐ 
OO
angegangene Gründung, der «Miracle Club», 
OO
nicht den erhofften Anklang gefunden hatte, und 
OO
stammt von dem, später durch seinen «buddhisti‐ 
OO
schen Katechismus» bekannt gewordenen Ameri‐ 
OO
kaner 
Olcott, der auch der erste Präsident der Ge‐ 
OO
sellschaft wurde.
.Seit ihrem zwölften Jahre hatte sich Frau 
Bla‐ 
OO
vatski, geb. von Hahn-Hahn, als spiritistisches Me‐ 
OO
dium betätigt. Im Jahre 1871 noch gründete sie in 
OO
Kairo die «Société spirite», und noch kurz vor der 
OO
Umwandlung des «Miracle Club» in eine «Theoso‐ 
OO
phische» Gesellschaft, wußte sie durchaus nichts 
OO
von indischen oder tibetanischen «Mahâtmas», 
OO
sondern kannte nur ihren «Kontrollgeist» John 
OO
King. ‒
.Eine Änderung trat erst ein, als sie mit einem 
OO
Privatgelehrten 
Felt in Verbindung kam, der auf 
OO
 
seine Weise das Studium antiker Kulte betrieb 
OO
und eine reichhaltige Bibliothek seltener okkulti‐ 
OO
stischer Werke besaß.
.Hier lernte Frau 
Blavatski plötzlich so manches 
OO
kennen, das bis dahin nicht in ihren Gesichtskreis 
OO
getreten war, und ihr Ehrgeiz, ihre ausgeprägte 
OO
Eitelkeit, fanden sich sehr wenig schmeichelhaft 
OO
berührt durch die Auffassung 
Felts in bezug auf 
OO
den Spiritismus.
.Die Folge davon war, daß durch eine energisch 
OO
erzwungene Transfiguration aus ihrem «Kon‐ 
OO
trollgeist» John King ein «Mahâtma», ein im fer‐ 
OO
nen Tibet verborgen lebender «Wissender» und 
OO
Beherrscher der okkulten Kräfte der Natur, ‒ ihr 
OO
erster «Meister der Weisheit» wurde. ‒ ‒
.Alle okkulten, spiritistischen Phänomene, die 
OO
sie seit früher Jugend begleitet hatten, wurden 
OO
von ihr nun diesem «Meister» zugeschrieben.
.Aus den Aufschlüssen, die ihr bei 
Felt und in 
OO
dessen Bibliothek seltener okkultistischer und 
OO
mystischer Schriften geworden waren, hatte sie 
OO
bereits die Überzeugung geschöpft, daß es ir‐ 
OO
gendwie und irgendwo auf der Welt eine verbor‐ 
OO
gene, keinem, außer ihren Angehörigen und de‐ 
OO
ren erwählten Nachfolgern, zugängliche geistige 
OO
Gemeinschaft geben müsse, und selbstverständ‐ 
OO
 
lich war nun 
ihr «Meister», alias John King, ein 
OO
Zugehöriger dieser geistigen Gemeinschaft. ‒
.Einmal nach dieser Richtung hin auf der Suche, 
OO
gelang es ihr auch, auf Grund ihrer abnorm star‐ 
OO
ken medialen Veranlagung, sowie im somnam‐ 
OO
bulen Zustand, zwingende 
Beweise von dem Da‐ 
OO
sein einer solchen geistigen Gemeinschaft zu er‐ 
OO
halten, manches sorglichst Geheimgehaltene, das 
OO
von dieser Gemeinschaft ausging, gleichsam 
mit‐ 
OO
anzuhören, wie etwa ein unberufener Dritter das 
OO
Gespräch zweier Telephonteilnehmer «abhören» 
OO
kann. ‒
.Nun kam die Zeit, in der sie jedem mehr oder 
OO
weniger bedenklichen Einfluß okkulter Art hem‐ 
OO
mungslos unterlag, wie ich das an anderer Stelle 
OO
bereits beschrieben habe.
.Jeder solcher Einfluß wurde von ihr einem An‐ 
OO
gehörigen jener geistigen Gemeinschaft zuge‐ 
OO
schrieben, die sie in ihrer Wundersucht so völlig 
OO
verkannte und zu der sie 
niemals in Beziehung tre‐ 
OO
ten konnte, da ihr dazu alle Vorbedingungen völ‐ 
OO
lig fehlten. ‒ Es entstand bald der zweite «Mei‐ 
OO
ster», dann wurden ihrer noch mehrere aktiv, 
OO
und hiermit war die «Weiße Loge» ‒ ein Wort aus 
OO
dem Sprachschatz 
Felts ‒ nach Frau 
Blavatskis Mei‐ 
OO
nung, hinter der ihre glühendsten 
Wünsche stan‐ 
OO
 
den, zu ihr in handgreifliche Beziehung getreten. 
OO
‒ Sie wurde die «Dienerin der Meister» ‒ und 
OO
ahnte wohl bis zu ihrem Tode nicht, daß ihre un‐ 
OO
gestümen Wünsche sie erst zum Selbstbetrug ver‐ 
OO
leitet hatten, um sie dann zu einer willigen Sklavin 
OO
bedenklicher okkultischer Praktiker zu machen. ‒ 
OO
.Sie ahnte wohl nicht, daß sie auch in den relativ 
OO
harmlosesten Fällen nur das Opfer mystisch gerich‐ 
OO
teter Schwärmer war. ‒ ‒
.Bis zu ihrem Tode spiritistisches Medium, von 
OO
seltenen und abnorm starken Phänomenen be‐ 
OO
gleitet, glaubte sie sich hoch erhaben über jeden 
OO
Zusammenhang mit spiritistischen Manifestatio‐ 
OO
nen und sprach sich späterhin stets in der abfällig‐ 
OO
sten Weise über den «Spiritismus» aus, immer in 
OO
der nach und nach bei ihr stets fester wurzelnden 
OO
Meinung, ihr «Kontrollgeist» John King sei von 
OO
ihr nur früher verkannt worden, und sie stehe 
OO
also schon von Kindheit an unter der Leitung der 
OO
«Meister». ‒
.Diese außerordentlich merkwürdige und hoch‐ 
OO
begabte Frau diente aber dennoch 
indirekt der Ge‐ 
OO
meinschaft des Geistes, mit der sie sich seit dem 
OO
Jahre 1875 in Verbindung glaubte...
.Durch ihr eigenes impulsives Werben, und 
OO
durch das Tam-Tam ihrer Anhänger wurde die 
OO
 
Aufmerksamkeit weiter Kreise erregt, und eine 
OO
dunkle Kunde aus ferner Vorzeit, nur da und 
OO
dort in orakelhaften Andeutungen noch erhalten, 
OO
erhielt wieder Sinn und Leben.
.Man erwog zum wenigsten wieder die 
Möglich‐ 
OO
keit, daß eine verborgene geistige Gemeinschaft 
OO
auf dieser Erde 
bestehen könne, wenn auch kritik‐ 
OO
fähigeren Köpfen jene spiritistischen Phäno‐ 
OO
mene, durch die das Dasein einer solchen Ge‐ 
OO
meinschaft «bewiesen» werden sollte, jene allzu 
OO
albernen okkulten Kunststücke: ‒ herbeigezau‐ 
OO
berte Tassen und Broschen, Briefe, die in ver‐ 
OO
nähte Kissen hineineskamotiert wurden, verzau‐ 
OO
berte und an anderen Stellen wieder zum Vor‐ 
OO
schein gebrachte Zigaretten, auf mysteriöse Weise 
OO
erhaltene Antworten auf Briefe an die «Mahât‐ 
OO
mas», bei denen die Antwort im uneröffneten Ku‐ 
OO
vert des Briefes zu finden war, und ähnliches 
OO
mehr ‒ ‒ 
recht wenig mit der doch immerhin anzu‐ 
OO
nehmenden Selbstachtung einer solchen hohen 
OO
geistigen Gemeinschaft in Einklang zu stehen 
OO
schienen. ‒ ‒
.In den mächtigen Folianten, die von Frau 
Bla‐ 
OO
vatski medianim niedergeschrieben wurden, fand 
OO
sich, neben einem Wust absurder Annahmen, 
OO
doch auch manches, das sich mehr oder weniger 
OO
unter oder auch 
über der «Schwelle ihres Bewußt‐ 
OO
 
seins», aus der 
Feltschen Bibliothek hierher geret‐ 
OO
tet hatte und immerhin zu denken gab.
.Eine gigantische, aber mehr noch gigantisch‐ 
OO
phantastische Kosmogonie bewirkte, neben der 
OO
Verwirrung, die sie in glaubensfreudigen Gehir‐ 
OO
nen anrichtete, immerhin eine ins kosmische ver‐ 
OO
breiterte Ausdehnung des Gesichtskreises bei gar 
OO
vielen, die vorher nicht die Anregung gefunden 
OO
hatten, über einen allzuengen dogmenumhegten 
OO
Umkreis hinauszublicken.
.Gewisse alte Weisheitslehren standen wieder 
OO
auf, allerdings umgeben von Gespenstern aus den 
OO
Gräbern modernden Aberglaubens aller Art, und 
OO
behängt mit den seltsamsten Draperien aus zu‐ 
OO
sammengeflickten Fetzen der ausgetragenen 
OO
Priestergewänder aller Zeiten und Völker.
.Trotz allem Tiefbeklagenswerten, das aus dem 
OO
ungestümen Wirken dieser rastlos tätigen Frau 
OO
resultierte, entstand auf solche Weise 
doch auch 
OO
ein erneutes Interesse in einer nahezu den Denk‐ 
OO
schablonen des Materialismus verfallenen Welt, 
OO
das die Geister wieder dazu bewog, sich auf ihren 
OO
Ursprung zu besinnen.
.Es wurden Vorbedingungen geschaffen, die zu 
OO
einem Verstehen der übersinnlichen Dinge 
hinlei‐ 
OO
ten können, auch wenn das, was gegeben ward, 
so 
OO
 
wie es vorliegt, eher geeignet erscheint, von ihnen 
OO
abzuleiten. ‒
.So mannigfach auch die Irrtümer sein mögen, 
OO
die gutgläubig, auf die mysteriöse Autorität der 
OO
Frau 
Blavatski hin, in der Welt verbreitet wurden, 
OO
so übergab sie doch auch der heutigen Zeit eine 
OO
Fülle okkulter Begriffe, die schwerlich ohne das 
OO
Wirken dieser Frau gangbare Münze geworden 
OO
wären.
.Ich neige auch sehr zu der Ansicht, daß ein 
OO
Mensch, der bereits geschult wurde durch die 
OO
Lehren, denen er in der «Theosophischen Gesell‐ 
OO
schaft» wie überhaupt im Bannkreis der «theoso‐ 
OO
phischen» Geistesrichtung begegnen kann, ‒ vor‐ 
OO
ausgesetzt, daß er sein gesundes Urteil nicht 
OO
durch den massenweise mit unterlaufenden 
OO
Aberglauben umnebeln ließ ‒ ‒ gar manches vor‐ 
OO
aus hat, wenn er den Weg zum Geiste beschreiten 
OO
will, ‒ gegenüber jenen, die niemals von über‐ 
OO
sinnlichen Dingen hörten, und denen alle Be‐ 
OO
griffe fehlen, um sich Übersinnliches auch nur 
OO
verstandesmäßig faßbar zu machen.
.Wenn die von Frau 
Blavatski ins Leben gerufene 
OO
Gesellschaft wirklich «Theosophia», 
Gottesweisheit, 
OO
vermitteln 
will, wenn sie mehr als bisher zu einem 
OO
segenbringenden Faktor innerhalb der menschli‐ 
OO
 
chen Geistesentfaltung werden soll, dann dürften 
OO
ihre Führer gut daran tun, völlig von der 
Entste‐ 
OO
hungsgeschichte der Gesellschaft 
abzusehen, ‒ die 
OO
monströsen Folianten der Frau 
Blavatski als «Ku‐ 
OO
riosa» zu betrachten und nicht mehr als die «Bi‐ 
OO
bel» der alleinseligmachenden Theosophie, ‒ alle 
OO
allzu phantastischen Auswüchse der Glaubens‐ 
OO
meinungen ihrer Mitglieder zu beschneiden, ‒ 
OO
und, als reinlich denkende Lichtsucher, einem 
OO
Ziele erst vorurteilsfrei 
zuzustreben, das die impul‐ 
OO
sive Gründerin der «Theosophischen Gesell‐ 
OO
schaft» bereits 
erreicht glaubte. ‒ ‒ Noch ist es dazu 
OO
nicht zu spät.
.Es würde aber eines Tages, und zwar in recht 
OO
wohl absehbarer Zeit, «zu spät» 
sein, trotz der 
OO
hochtrabenden Redensarten nicht allzuseltener 
OO
Skribenten aus den Reihen der Gesellschaft, und 
OO
das voraussehbare Ende würde bedauerlich ge‐ 
OO
nug sein für alle ernsthaft und ehrlich Suchen‐ 
OO
den, die innerhalb der theosophischen Geistes‐ 
OO
richtung die letzten Antworten auf die Fragen ih‐ 
OO
rer Seele zu finden hofften. ‒
.Bramarbasierende, hochtönende Redensarten 
OO
täuschen nur über die Gefahr hinweg. ‒ ‒
.Ebensowenig hilft das Allheilmittel eines kritik‐ 
OO
losen Eklektizismus, eine geisteslahme «Tole‐ 
OO
 
ranz», die jede leidlich erträgliche, aber auch jede 
OO
noch so absurde Eigenbrötelei sonderbarer Heili‐ 
OO
ger nicht nur gelten läßt, sondern in ihrer inne‐ 
OO
ren, schlecht verhüllten 
Unsicherheit, um keinen 
OO
Preis zu kritisieren wagt, weil die Furcht im Hin‐ 
OO
tergrunde steht, just dort, wo es am tollsten ge‐ 
OO
trieben wird, oder wo gar irgend ein Orientale in 
OO
das Getriebe eingreift, müsse wohl doch «etwas 
OO
Wahres» zu finden sein, und man könne sich 
OO
durch Kritik eine Blöße geben. ‒
.Das alles 
muß nicht notwendigerweise so blei‐ 
OO
ben.
.Vor allem aber ist eine rigoros-peinliche Sonde‐ 
OO
rung des Weizens vom Unkraut vonnöten, hin‐ 
OO
sichtlich der landläufigen Lehrmeinungen inner‐ 
OO
halb der «Theosophischen Gesellschaft» und ihrer 
OO
Tochtergesellschaften. 
OO
Es ist nicht nötig, daß uralte, tiefe Weisheit, daß 
OO
ewig gültige kosmische Wahrheiten in «theoso‐ 
OO
phischer» Darbietung als verzerrte, ‒ oft bis zur 
OO
Karikatur verzerrte ‒ Bilder erscheinen! ‒ ‒
.Eine «Textkritik» theosophischer Lehren, aus‐ 
OO
geübt von Berufenen, ebenso ferne von verant‐ 
OO
wortungsloser Zerstörungssucht, wie von ängst‐ 
OO
licher Furcht, durch Streichung liebgewordener, 
OO
alter Meinungen Mitglieder zu verlieren, würde 
OO
 
gar bald das wahrhaft 
Echte finden, und es aus 
OO
dem Wust des Unechten, des Abstrusen, und der 
OO
mancherlei sonstigen Anhängsel zu retten wis‐ 
OO
sen. ‒
.Es ist mir nicht unbekannt, daß man schon des 
OO
öfteren innerhalb der «Theosophischen Gesell‐ 
OO
schaft» Stimmen vernehmen konnte, die eine völ‐ 
OO
lige Preisgabe der Lehre von den «Meistern», den 
OO
«älteren Brüdern der Menschheit», forderten.
.Sofern man damit die angeblichen «Meister»: 
OO
Koot Hoomi, Morya und andere, kurzum, die 
OO
«Meister», die «Mahâtmas» der 
Frau Blavatski 
OO
meint, die Personen, deren rationalistisch dürren 
OO
und großsprecherischen Briefe u.a. in 
A.
P. 
Sin‐ 
OO
netts «Okkulter Welt» zu finden sind, ‒ dann hat 
OO
man wahrlich 
allen Grund, sich endlich loszu‐ 
OO
sagen. ‒ ‒
.Man würde aber einen sehr verhängnisvollen 
OO
Fehlschritt tun, wollte man zu gleicher Zeit das 
OO
wenige in Bausch und Bogen mit verloren geben, 
OO
was man immerhin durch Frau 
Blavatski, wenn 
OO
auch also aus einer arg getrübten Quelle, über das 
OO
Bestehen einer rein geistlichen Gemeinschaft in‐ 
OO
nerhalb des Menschentums auf dieser Erde erfah‐ 
OO
ren hat...
 
.Zwar steht diese Gemeinschaft des reinen Gei‐ 
OO
stes auf diesem Planeten 
nicht am 
Ausgangspunkt 
OO
der «Theosophischen Gesellschaft», aber ‒ sie und 
OO
ihre geistige Führung zu 
erreichen, muß das Ziel ei‐ 
OO
nes jeden, wahrhaft im Sinne des Wortes «theoso‐ 
OO
phisch» Strebenden sein, will er wirklich den Weg 
OO
zum Geiste, den Weg zum Urlicht finden, den 
ein‐ 
OO
zigen Weg, den das geistige Urlicht dem Menschen 
OO
dieser Erde 
selbst bereitet hat. ‒ ‒ ‒
.Jeder Wanderer, der sich etwa berufen glauben 
OO
sollte, einen Weg zu finden, der an diesem einzi‐ 
OO
gen Wege 
vorbei führt, ihn 
umgehen will, und den‐ 
OO
noch das Leben im reinen Geiste, im Urlicht, zu 
OO
erreichen hofft, wird ein Opfer seines Wähnens, 
OO
gerät unvermeidlich auf Irrwege und wird nie‐ 
OO
mals wahrhaft in des Geistes lebenspendendes 
OO
Licht gelangen. ‒
.Es ist gewiß nicht 
nötig, von jener geistigen Ge‐ 
OO
meinschaft zu 
wissen, die das Urlicht selbst sich auf 
OO
Erden zum «Wege» bereitet hat, aber 
wer einmal 
OO
von ihr weiß, oder annimmt, daß sie bestehe, und 
OO
dann eine Willensrichtung einschlägt, die ihm die 
OO
Hilfe 
vermeiden läßt, die ihm werden könnte, der 
OO
darf sich nicht wundern, wenn er in all seiner trü‐ 
OO
gerischen Selbstsicherheit niemals finden wird, 
OO
was er sucht, mag er auch die scheinbar besten 
OO
 
Gründe für sein törichtes Tun in Anschlag brin‐ 
OO
gen. ‒
.Es wäre gewiß ein seltsamer Glaube, wollte etwa 
OO
ein Mensch, der von jener Gemeinschaft des Gei‐ 
OO
stes hörte, in aller Einfalt annehmen, diese 
OO
«Weiße Loge» sei eine Korporation mit menschli‐ 
OO
cher Satzung, benannt mit irgend einem Namen, 
OO
‒ und ihre Glieder führten den Titel «Meister». ‒ 
OO
.Meister nennt man auf dieser Erde einen jeden, 
OO
der in irgend einem Können Vollendung er‐ 
OO
reichte. Das Wort schließt nach altem Hand‐ 
OO
werksbrauch in sich, daß der also Bezeichnete die 
OO
Prüfung seiner Kräfte 
bestanden hat, und in sol‐ 
OO
chem Sinne mag es auch berechtigt erscheinen, 
OO
die Glieder jener geistigen Gemeinschaft «Mei‐ 
OO
ster» zu nennen, obwohl sich keines ihrer Glieder 
OO
selbst so nennen wird.
.Aber zu gleicher Zeit drückt das Wort «Meister» 
OO
eine Art Anerkennung pesönlicher Verdienste 
OO
aus, und von 
diesem Gesichtspunkt her betrachtet, 
OO
ist es geboten, stets dessen eingedenk zu sein, daß 
OO
dieses Wort nur als Notbehelf erscheint, denn 
OO
jeder, den man so in Kürze als «Meister» be‐ 
OO
zeichnen mag, ist das, was er ist, 
ohne eigenes Ver‐ 
OO
dienst. ‒
 
.Man kann nicht ein Glied der Gemeinschaft im 
OO
Geiste auf dieser Erde 
werden, indem man gewisse 
OO
Stufen ersteigt, um schließlich zur «Meisterschaft» 
OO
zu gelangen.
.Der «Meister», sofern mit diesem Worte einer 
OO
dieser Gemeinschaft, einer der «Leuchtenden des 
OO
Urlichts», bezeichnet werden soll, wird als solcher 
OO
geboren, und alle okkulte Schulung, die er unter 
OO
der Leitung Vollendeter zu durchleben hat, alle 
OO
Prüfung seiner Kräfte, dient lediglich nur dazu, 
OO
ihn fähig zu machen, sein eingeborenes Erbe ge‐ 
OO
brauchen zu lernen. ‒
.Er hat niemals 
erstrebt, zu werden, was man mit 
OO
dem Worte «Meister» bezeichnet, wenn man da‐ 
OO
mit ein Glied der Gemeinschaft des Geistes be‐ 
OO
nennen will.
.Als er bewußt zur Fähigkeit gereift war, das, was 
OO
der Geist von ihm verlangte, tun zu 
können, gab es 
OO
für ihn keine Wahl. ‒ Er 
mußte die Bürde überneh‐ 
OO
men, die ihm zu tragen gegeben war. ‒ ‒ ‒
.Man möge nicht zu sehr an Worten kleben blei‐ 
OO
ben und nicht willkürlich gewählten Benennun‐ 
OO
gen einen ungebührlich großen Wert verleihen! 
OO
.Es kommt auf eine Erfassung 
der realen Gegeben‐ 
OO
heit an und nicht auf die Namen, mit denen die 
OO
 
Sprache, mehr oder minder dürftig, das Gege‐ 
OO
bene benennt. ‒
.Man mag immerhin die eingebürgerten Worte 
OO
gebrauchen und von einer «Weißen Loge» und 
OO
ihren Meistern reden, wie ich ja auch in meine 
OO
Schriften unbedenklich diese Worte übernom‐ 
OO
men habe, aber man sei dabei stets bewußt, daß es 
OO
sich hier nur 
um frei gewählte Benennungen handelt, 
OO
und daß die hohe Gemeinschaft und Alleinheit im 
OO
Geiste, die sich hier auf dieser Erde in wenigen 
OO
Menschen eines jeden Zeitalters darstellt, 
keinerlei 
OO
Namen und 
keinerlei Titel gebraucht, um ihrer 
OO
Lenkung gemäß die Brücke zu bilden, über die 
OO
für den Menschen dieser Erde der Weg zu den 
OO
ewigen Hierarchien des Geistes und durch sie 
OO
hindurch, zum wesenhaften Urlicht führt. ‒ ‒ ‒
 
WENN ich hier von neuem wieder zu den Le‐ 
OO
sern dieser von mir stets hochgeschätzten, 
OO
vornehmen theosophischen Zeitschrift spreche, 
OO
so geschieht dies auf den 
Wunsch sehr vieler dieser 
OO
Leser hin, den mir der verdienstvolle Heraus‐ 
OO
geber zu übermitteln die Güte hatte.
.Ich komme heute gerne diesem Wunsche nach, 
OO
schon um gewisse Legendenbildungen aus der 
OO
Welt zu schaffen, die in mehr oder weniger gehäs‐ 
OO
siger Weise einen Gegensatz zwischen mir und 
OO
dem Herausgeber der «Theosophie» zu konstru‐ 
OO
ieren unternahmen, besonders da meine letzten 
OO
Veröffentlichungen ausschließlich in den «Magi‐ 
OO
schen Blättern» erschienen.
.Wie falsch diese Annahme einer Gegnerschaft 
OO
ist, dürfte schon daraus erhellen, daß das «
Theoso‐ 
OO
phische Verlagshaus»* die alleinige Auslieferungs‐ 
OO
stelle der «Magischen Blätter» ist, und daß die 
OO
Herausgeber beider Zeitschriften, Herr Dr. 
Hugo 
OO
Vollrath und Herr Dr. 
Richard Hummel, 
im denkbar 
OO
 
 OO
* Anmerkung: dieser Verlag druckte 1916 'WORTE DER MEISTER'- 
OO
eine Textzusammenstellung von Bô Yin Râ speziell für diesen Leser- 
OO
kreis (nicht i.d. Nachlese enthalten):
->hier
 
besten, 
freundlichen Einvernehmen stehen, ein jeder 
OO
auf seine Weise durchdrungen von den hohen 
OO
geistigen Zielen, denen er in mühevoller Geistes‐ 
OO
arbeit dient. ‒
.Nach 
anderer Seite hin glaube ich aber auch jetzt 
OO
deutlich genug ausgesprochen zu haben, daß ich 
OO
zwar keineswegs von der «Theosophischen Gesell‐ 
OO
schaft» 
herkomme, daß ich gegen manche unter ih‐ 
OO
ren Mitgliedern verbreitete Lehre sehr begrün‐ 
OO
dete Einwände erheben muß, daß ich aber gewiß 
OO
nicht hier als feindlicher Eindringling zu betrach‐ 
OO
ten bin, sondern warmen Herzens das meinige 
OO
dazu beitragen möchte, damit jedes einzelne Mit‐ 
OO
glied dieser Gesellschaft das hohe Ziel 
erreiche, das 
OO
es letzten Endes doch durch den Anschluß an die 
OO
«Theosophische Gesellschaft» zu erreichen 
hofft.
.So möchte ich denn als freundschaftlicher Be‐ 
OO
rater vor den Leserkreis dieser weitverbreiteten 
OO
Zeitschrift treten, nicht um Meinungsverschie‐ 
OO
denheiten und Dispute zu veranlassen, sondern 
OO
um die großgedachten 
Einigungsbestrebungen des 
OO
Herausgebers auch meinerseits zu stützen, um 
OO
aus den Möglichkeiten 
meiner geistigen Einschau 
OO
her, auf 
jene Dinge hinzuweisen, die mir für ein 
OO
gedeihliches und fruchtbringendes 
Leben der 
OO
«Theosophischen Gesellschaft» wichtig erschei‐ 
OO
nen.
 
.Ich habe hier lediglich die «Theosophische Ge‐ 
OO
sellschaft» im Auge, 
wie sie heute besteht, als eine 
OO
Tempelvereinigung großen Stiles, eine Sammel‐ 
OO
stätte zum Geiste strebender Menschen unserer 
OO
Tage, ganz so, wie sie vom «
Theosophischen Haupt‐ 
OO
quartier» in Leipzig, dem Ausgangspunkt dieser 
OO
Zeitschrift, aufgefaßt und vertreten wird.
.Aller Personenkultus scheidet bei den Aufga‐ 
OO
ben dieser, wie ich annehmen darf in bester Reor‐ 
OO
ganisation begriffenen Gesellschaft ebenso aus, 
OO
wie jede enge Dogmenbindung, und ihr Streben 
OO
ist einzig darauf gerichtet, jedem ihrer Mitglieder 
OO
alle Wege zu zeigen, die der Seele als 
Wege zum Gei‐ 
OO
ste erschienen und noch erscheinen, und wenn ich 
OO
die Leitung dieser Zeitschrift richtig verstehe, 
OO
dann erwartet sie von ihren Lesern ausreichende 
OO
Fähigkeit zu 
eigener Urteilsbildung und schließt 
OO
jede Bevormundung ihrer Leser grundsätzlich 
OO
aus.
.Wer wollte bezweifeln, daß auf diese Weise un‐ 
OO
endlich viel Gutes gewirkt werden kann?!
Nur auf solche Art ist es nach meinem Dafür‐ 
OO
halten möglich, allmählich die mir innerhalb der 
OO
«Theosophischen Gesellschaft» als bedenklich er‐ 
OO
scheinenden Lehren prüfend in ihrer Unwesen‐ 
OO
 
haftigkeit zu erkennen und ohne Schaden abzu‐ 
OO
stoßen.
.Nur auf solche Art wird die verjüngte «Theoso‐ 
OO
phische Gesellschaft» die 
ewigen Grundlagen einer 
OO
wahren 
Theo-
Sophia in ihrem Tempelkreise wie‐ 
OO
der finden, einer «Theosophie» im 
tiefsten Sinne des 
OO
Wortes, wie sie seit den Tagen des 
Lao Tse und des 
OO
Apostels 
Paulus bestand, bis hinauf zu 
Eckehard, 
OO
Tauler und 
Jakob Böhme, wie sie in der alten 
mysti‐ 
OO
schen Maurerei gepflegt wurde, und wie sie in In‐ 
OO
dien zu finden war von 
Patânjali bis zu 
Râma‐ 
OO
krishna. ‒
.Tiefste, wenn auch geheimgehaltene Erkennt‐ 
OO
nis aller echten «
Theosophen» aller Zeiten war stets 
OO
vertraut mit diesen Grundlagen, und deren 
we‐ 
OO
sentlichste ist das hohe «Wissen» um die 
einzige Art 
OO
und Weise, in der sich die Gottheit den aus ihr ge‐ 
OO
zeugten Geisteswesenheiten offenbaren 
kann. ‒ ‒
.Zwecklos würde die Seele suchen, wollte sie je 
OO
in unermeßlichen Räumen, wollte sie je in höch‐ 
OO
sten geistigen Sphären ihrem Gotte begegnen. ‒ ‒
.Sinnlos wären die erhabenen Lehren hoher 
OO
Menschheitslehrer, würden die 
Bilder Gottes, die 
OO
sie gestalten, nur einem «Gotte» gelten, der da als 
OO
 
«
höchstes Wesen» über 
anderen Geisteswesenheiten 
OO
thront. ‒ ‒
.So wie man an keiner Stelle der Erde der 
reinen 
OO
Elektrizität begegnen kann, und doch alles auf die‐ 
OO
ser Erde 
durchströmt wird von dieser Kraft, so auch 
OO
ist es in allen Geistes-Sphären ewig unmöglich, 
OO
Gott zu begegnen, obwohl alles, was da lebt, nur im 
OO
Dasein ist, als 
Ausdruck von Gottes ewig zeugender 
OO
Darstellungs-Gewalt. ‒
.Wie aber Elektrizität gewisse Apparate braucht, 
OO
um durch diese Apparate sichtbar und erkennbar 
OO
zu werden, so auch ist Gott in Zeit und Ewigkeit 
OO
nur in jenen 
Geisteswesenheiten sichtbar und er‐ 
OO
kennbar, die mit der Kraft Gottes völlig 
vereint, 
OO
zum lautersten Ausdruck von 
Gottes Wesen wur‐ 
OO
den. ‒
.Wer zur 
Theo-
Sophia, zum «
Wissen» um 
Gott ge‐ 
OO
langen will, der muß vor allem 
diese Grundtatsache 
OO
begriffen haben. ‒ ‒
.Aus ihr aber ergibt sich folgerichtig das Wissen 
OO
um die 
Notwendigkeit solcher Menschengeister auf 
OO
dieser Erde, in denen die Gottheit 
sich selbst leben‐ 
OO
digen Ausdruck schuf, damit sie 
allen Menschengei‐ 
OO
stern 
erkennbar werde, auf daß 
alle jene Vereinung 
OO
erstreben, durch die der Menschengeist 
aus Gott 
OO
verherrlicht wird...
 
.Nichts anderes als diese 
völlig der Gottheit 
OO
geeinten Menschengeister dieser Erde sind aber 
OO
die eigentlichen «
Meister» der «
Weißen Loge», von 
OO
denen leider ein Zerrbild existiert, das ihr wah‐ 
OO
res, kosmisch bedingtes Wesen gröblich ver‐ 
OO
fälscht. ‒ ‒ ‒
.Wie 
jeder Menschengeist, der je auf der Erde er‐ 
OO
schien oder noch erscheinen wird, so sind auch sie 
OO
vor Äonen, als diese Erde noch nicht eimal «Wel‐ 
OO
tenstaub» war, dem «Falle» der Geister, gleich al‐ 
OO
len anderen erlegen. Gleich allen andern erwar‐ 
OO
teten sie ihre Zeit, um sich mit dem Menschen‐ 
OO
tiere der Erde zu irdischem Leben zu verbinden, 
OO
mit der Aufgabe, dieses Menschentieres höhere 
OO
Kräfte zu erlösen, und durch diese Erlösertat 
OO
selbst Erlösung zu finden...
.Doch, 
höhere Geisteswesenheiten wußten aus 
OO
geistigem, gottgeeinten «Wissen», daß keiner der 
OO
diesem Erdentiere Verbundenen jemals zur Erlö‐ 
OO
sung kommen 
könne ohne ihre 
Hilfe, und geistiges 
OO
«Wissen» läßt keine Wahl, wird 
Verpflichtung, ver‐ 
OO
langt gesetzliche 
Tat, sobald eine 
Möglichkeit zur 
OO
Hilfe gegeben ist. ‒
.So suchten sich jene 
höheren Geisteswesenhei‐ 
OO
ten aus der Fülle harrender Geister, die sich auf 
OO
Erden dem Menschentiere verbinden mußten, 
OO
 
jene aus, die sich aus freiem Willen 
bereit finden 
OO
ließen, das Hilfswerk dieser 
höheren Geisteswesen‐ 
OO
heiten zu fördern, da 
diese selbst, ihrer Artung nach, 
OO
mit dem im Tiere gebundenen Menschengeiste 
OO
keine 
direkte Berührung schaffen konnten. ‒
.Die Bereitschaft, diesen 
höheren Geisteswesen‐ 
OO
heiten als Vermittlungswerkzeug zu dienen, 
OO
schloß die Bereitschaft in sich, eine 
Jahrtausende 
OO
dauernde 
geistige Vorbereitung durchzuleben und 
OO
so 
erst Jahrtausende später zur Inkarnation zu ge‐ 
OO
langen. ‒ ‒ ‒
.Darum läßt sich mit Fug und Recht von den 
OO
wirklichen «Meistern» der «Weißen Loge» als von 
OO
den 
älteren Brüdern der heute lebenden Mensch‐ 
OO
heit reden. ‒ ‒ ‒
.Es ist aber ebenso irrig, sie für eine Art über‐ 
OO
menschlicher Wesen zu halten, wie es irrig ist, sie 
OO
mit Fakiren und Dschungelheiligen zu verwech‐ 
OO
seln. ‒
.Sie betreiben auch keinerlei Mantik und entsa‐ 
OO
gen allen okkulten Künsten. ‒
.Sie wissen auf 
weitaus bedeutendere Art in der 
OO
Menschheit zum Guten zu wirken, ohne jemals als 
OO
Urheber dieses Wirkens 
offenbar zu werden. ‒
 
.Ihr Wirken ist lediglich 
geistiger Art, und Irdi‐ 
OO
sches wird von ihnen nur bewegt, 
von jenen gött‐ 
OO
lich-
geistigen Welten her, in denen ihr Wirken aus 
OO
Gott allein erfolgt. ‒ ‒ ‒
.Eine Theo-Sophia 
außerhalb der Einflußwir‐ 
OO
kungen dieser gottgeeinten Menschengeister, die 
OO
hier im Erdenkörper die Last des Erdenlebens 
OO
tragen wie jeder andere Menschengeist, ist 
ein Un‐ 
OO
ding! ‒
.Absurd und jeder Logik bar ist jedes «theoso‐ 
OO
phische» Streben, das jene Wenigen auf dieser 
OO
Erde 
zu umgehen sucht, die 
allein ihm helfen 
kön‐ 
OO
nen.
.Kindlich ist aber hinwieder auch die Annahme, 
OO
man könne jemals zu einem «Meister» der «Wei‐ 
OO
ßen Loge» 
werden. ‒
.Man kann wohl die gleiche, göttlich-geistige 
Ei‐ 
OO
nigung erlangen, aber 
niemals wird man jene 
Kräfte 
OO
zu eigen erhalten, die erst den «Meister» der 
OO
«Weißen Loge» 
zu dem machen, was er potentiell 
vor 
OO
seiner Inkarnation schon 
war. ‒ ‒ ‒
.Man darf freilich auch nicht glauben, daß 
jene 
OO
Gestalten, die um die 
Wiege der «Theosophischen 
OO
Gesellschaft» herum gespensterten, etwa wirkliche 
OO
«Meister» der «Weißen Loge» gewesen wären ‒ ‒ 
OO
 
aber an dieser Stelle meiner Rede fürchte ich 
OO
doch noch, daß so mancher Leser dieser Zeit‐ 
OO
schrift es nur schwer ertragen könnte, wollte ich 
OO
so, wie es berechtigt wäre, unsanft das Spinnen‐ 
OO
netz seines Glaubenswahns zerstören, und darum 
OO
möge hier nur auf gewisse Kapitel eines dem‐ 
OO
nächst erscheinenden Buches* verwiesen werden, 
OO
die im Vorabdruck bereits in den «Magischen 
OO
Blättern», von denen ich oben sprach, zu lesen 
OO
waren...
.Auf dieser Erde kann jegliches Geschehen sich 
OO
oft Jahrzehnte lang in Verdunkelung verbergen, 
OO
aber die Wahrheit kommt 
dennoch eines Tages 
OO
schrill und klirrend an unser Ohr, und was sich 
OO
noch so lange im Dämmerdunkel verbarg, muß 
OO
eines Tages helles Sonnenlicht ertragen, mag 
OO
auch so manches Wundermärchen auf solche 
OO
Weise seinen Untergang finden. ‒ ‒ ‒
.Es wäre mir Anlaß zu tiefem, schmerzlichem 
OO
Bedauern, sollte einst solche Klärung der Ge‐ 
OO
schehnisse, die sich in den Säuglingszeiten der 
OO
«Theosophischen Gesellschaft» abspielten, dieser 
OO
Gesellschaft, 
so wie sie heute ist, und wie sie speziell 
OO
vom «
Hauptquartier» in Leipzig aufgefaßt und ver‐ 
OO
* Mehr Licht (1921; erweiterte endgültige Ausgabe 1936, 1968 und 1989)
 
treten wird, 
Schaden zufügen, und darum halte 
OO
ich es für meine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß 
OO
die Dinge damals nicht ganz so lagen, wie sie die 
OO
Gründerin der Gesellschaft zu sehen und darzu‐ 
OO
stellen beliebte. ‒ ‒ ‒
.Töricht und ungerecht wäre es aber, der «theo‐ 
OO
sophischen Gesellschaft» unserer Tage daraus ir‐ 
OO
gendeinen Vorwurf konstruieren zu wollen, oder 
OO
die heutigen Mitglieder verantwortlich zu ma‐ 
OO
chen für Irrtümer und Fehler der einstigen 
OO
Gründerin.
.Es unterliegt bei mir keinem Zweifel, daß eine 
OO
wahrhaft «theosophische» Gesellschaft heute 
tiefste 
OO
Lebensberechtigung hat und es ist heute völlig 
OO
gleichgültig, 
welche Anlässe vor Jahrzehnten zur 
OO
Gründung einer solchen Gesellschaft führten, 
OO
wenn nur das 
heutige Wirken der Gesellschaft 
OO
als 
einwandfrei und 
vorbildlich betrachtet werden 
OO
darf. ‒
.Die Grundlagen wahrer 
Theo-
Sophia bleiben für 
OO
alle Zeiten die 
gleichen.
.Auch die heutige «Theosophische Gesellschaft» 
OO
vermag es, auf 
ihnen das 
innerste Sanktuarium ihres 
OO
weiträumigen Tempels zu errichten.
 
.Die Erkenntnis der Auswirkung Gottes, das 
OO
«Wissen» daß Gott 
nur in den ihm 
völlig geeinten, 
OO
geistesmenschlichen Wesenheiten offenbarend 
OO
wirkt, das «Wissen», daß ein 
jeglicher Mensch die‐ 
OO
ser Erde imstande ist, sich seinem ewigen Urbild, 
OO
seinem «Vater im Himmel», seinem «lebendigen 
OO
Gotte» 
anzugleichen und sich ihm mit seinem Be‐ 
OO
wußtsein zu 
vereinen, das «Wissen», daß 
ohne die 
OO
stetige geistige Hilfe 
höherer geistiger Wesenhei‐ 
OO
ten, vermittelt durch die «
Meister» der «
Weißen 
OO
Loge», diese 
Vereinigung des menschlichen mit 
OO
dem göttlichen Bewußtsein 
unmöglich wäre ‒ 
dies 
OO
sind die hauptsächlichsten 
Fundamentsteine, auf 
OO
denen sich das unantastbare 
Tempelkultbild erhe‐ 
OO
ben muß, um das sich die 
Mitglieder der «
Theosophi‐ 
OO
schen Gesellschaft» erhobenen Herzens stets scha‐ 
OO
ren können, 
ohne jemals befürchten zu müssen, 
OO
daß die Gottheit solchen Ort der Weihe nicht als 
OO
ihrer würdig betrachten möge! ‒ ‒ ‒
.Theoretische Erörterungen über hellseheri‐ 
OO
sche «Forschungen» auf «höheren» Ebenen sind 
OO
völlig überflüssig, einmal, weil 
kein Hellseher 
je‐ 
OO
mals zu «
höheren» Ebenen emporzudringen 
im‐ 
OO
stande ist, und dann: weil alles Wissen 
über geistige 
OO
Zustände nichts nützt, nur eitle Befriedigung kin‐ 
OO
discher Neugier bleibt, solange man nicht, mit 
OO
dem Bewußtsein des lebendigen Gottes in sich 
OO
 
selbst vereint, 
selbst fähig wurde, die Wunder gei‐ 
OO
stiger Welten geistig zu erleben.
.Auf das 
geistige Erlebnis hin muß die «
Theosophi‐ 
OO
sche Gesellschaft» ihre Mitglieder erziehen, damit 
OO
ihr Tempel nicht zur Stätte wüstester Spekulation 
OO
entarte, damit er 
ein Heiligtum geistigen Lebens 
OO
bilde, inmitten der ausgetrockneten Wüste dür‐ 
OO
ren Gedankenflugsandes, der auch die erhaben‐ 
OO
sten Tempelbauten 
früherer Zeiten allmählich zu 
OO
verschütten droht. ‒ ‒ ‒
.Möchten meine Worte 
offene Herzen fin‐ 
OO
den! ‒ ‒ ‒
 
W I E  kürzlich  zu  lesen war,  beschäftigt  man 
OO
sich zurzeit im Pariser Psychologischen Institut 
OO
mit einem weiblichen «Medium», in dessen An‐ 
OO
wesenheit sich ein Tisch frei in die Luft erhebt, 
OO
ohne auch nur von dem Medium 
berührt zu wer‐ 
OO
den. Eine solche Art der Mediumschaft ist aller‐ 
OO
dings schon ziemlich selten, und es lohnt sich 
OO
zweifellos, die Manifestationen zu beobachten. 
OO
Prof. 
Bertrard, der die junge Dame einem gelehr‐ 
OO
ten Kreise vorführte, ist nun ein vorurteilsfreier 
OO
Forscher, der doch erst wissenschaftlich 
prüfen 
OO
möchte, wo andere ‒ man vergleiche nur 
Eduard 
OO
von Hartmann ‒ frisch drauflos urteilen und dabei 
OO
selbst gestehen, 
niemals bei ähnlichen Manifesta‐ 
OO
tionen zugegen gewesen zu sein. ‒
.In der Pressenotiz, die über die Experimente 
OO
mit dem Pariser Medium berichtet, heißt es zum 
OO
Schluß: «Verwunderlich scheint dem Laien aller‐ 
OO
dings, daß das Mädchen nur bei gedämpftem, ro‐ 
OO
safarbenen Lichte operieren kann, während weis‐ 
OO
 
ses und blaues Licht seine Kraft lähmt und das 
OO
Aufblitzen von Magnesiumlicht ihm sogar einen 
OO
Nervenschock verursachte. Sollte es am Ende 
OO
doch Grund haben, hellere Lichtgattungen zu 
OO
scheuen?»
.Das erinnert mich lebhaft an die schöne Ge‐ 
OO
schichte von dem Mandarinen, dem zur Zeit des 
OO
ersten Aufkommens der Photographie ein euro‐ 
OO
päischer Gelehrter begreiflich machen wollte, daß 
OO
lediglich die 
Lichtstrahlen solche Bilder malten. 
OO
Der chinesische Würdenträger aber ließ sich dar‐ 
OO
aufhin also vernehmen: «Ja, wenn du das, was du 
OO
da in der 
Dunkelkammer treibst, mir bei 
hellem Son‐ 
OO
nenlicht zeigen willst, dann werde ich dir gerne 
OO
glauben, vorher aber nicht!»
.Gewiß hat das Medium «hellere Lichtgattungen 
OO
zu scheuen», aber wenn es ein 
echtes Medium ist, 
OO
wenn also kein Schwindelmanöver vorliegt, was 
OO
bei den gelehrten Untersuchungen des Prof. 
Ber‐ 
OO
trard doch wohl als ausgeschlossen gelten dürfte, 
OO
dann hat es helleres Licht in keiner anderen 
OO
Weise «zu scheuen», wie der Photograph, der sich 
OO
auch außerstande sehen würde, ein gutes Licht‐ 
OO
bild zu fertigen, wollte man ihm die Bedingung 
OO
stellen, die Entwicklung der Platte bei hellem Ta‐ 
OO
geslicht vorzunehmen. ‒
 
.Dennoch aber werden diese neuen Pariser Ex‐ 
OO
perimente, wie so viele andere vorher, nur sehr 
OO
fragmentarische Lösungen des Rätsels bringen, 
OO
aber das liegt nicht etwa an der Fragwürdigkeit 
OO
der Phänomene, sondern daran, daß man hier 
OO
mit einer Wesenreihe experimentiert, von deren 
OO
Vorhandensein man keine Ahnung hat; und wäh‐ 
OO
rend man mit Recht die läppische Hypothese, es 
OO
handle sich da um Äußerungen «unserer lieben 
OO
Verstorbenen», von vornherein fallen läßt, be‐ 
OO
geht man nach der anderen Seite hin doch den 
OO
gleichen Fehler, indem man als gesichert annimmt, 
OO
daß es keinerlei außermenschliche, unsichtbare 
OO
Wesen geben könne. ‒ ‒
.Nun muß, wie auch bei den Experimenten von 
OO
Ochorowitz, das «Mädchen für alles», der soge‐ 
OO
nannte «
Animismus» herhalten, obwohl es da gar 
OO
keine präzise Kontrolle geben kann, durch die 
OO
festzustellen wäre, 
wo «animistische» Wirkungen 
OO
aufhören und 
wo «spiritistische» beginnen; denn 
OO
die Kräfte der «Anima», der «Seele» des Mediums, 
OO
sind ja im sogenannten Trancezustand, mag er 
OO
nun 
vollendet oder nur 
teilweise vorliegen, völlig je‐ 
OO
ner unsichtbaren Wesenreihe ausgeliefert, deren 
OO
Existenz man von vornherein leugnen zu dürfen 
OO
glaubt. ‒ ‒
 
.Wie man vielleicht aus gewissen früheren Ab‐ OO
handlungen wissen wird, warne ich stets entschie‐ OO
den vor sogenannten «spiritistischen» Experi‐ OO
menten. Ich rate auch hier wieder jedem meiner OO
Mitmenschen, der etwa «mediale» Fähigkeiten an OO
sich bemerkt und sich dadurch vielleicht gar noch OO
besonders «begnadet» glaubt, sich so schnell als OO
nur möglich dem Spinnengewebe, das ihn zu OO
umschnüren droht, zu entwinden. Das ist jeder‐ OO
zeit möglich durch entschiedene Aktivität, durch OO
ein Aufsuchen gesunder Lebensbedingungen OO
in freier Natur und durch ein grundsätzliches OO
Vermeiden jeder geistigen Atmosphäre, in der OO
die «mediale» Veranlagung gefördert werden OO
könnte. Man vergesse nicht, daß jedes echte «Me‐ OO
dium» ein unglückliches Opfer sehr bedenklicher OO
und niemals von ihm zu erkennender Wesen ist, OO
Wesen, die zur physischen Welt gehören, auch OO
wenn sie für uns unsichtbar bleiben, und die für OO
das Leben der Seele Parasiten darstellen, wie Ba‐ OO
zillen und Mikroben für das Leben des physi‐ OO
schen Körpers! ‒ Diese Parasiten saugen ihr Op‐ OO
fer aus bis zum letzten Rest seiner feineren physi‐ OO
schen Kräfte, die dem Willen und dem Seelenleben OO
dienen sollten, bis sie es schließlich zerbrochen OO
am Wege liegen lassen, so hochmoralisch auch die OO
«Bekundungen der Geisterwelt» vielleicht vorher OO
waren. ‒
Das 
Ende fast aller sogenannten «Medien» ist 
OO
entweder ein 
Versinken in willenlose moralische Ver‐ 
OO
worfenheit, 
oder ‒ 
in die Nacht des Wahnsinns!
.Es ist wahrlich notwendig, vor einer solchen 
OO
Seuche, die gerade jetzt wieder besonders stark 
OO
grassiert, eindringlichst zu warnen, auch wenn 
OO
die von dieser psychischen Pest Ergriffenen ent‐ 
OO
rüstet sein mögen, da sie sich ja doch für «er‐ 
OO
wählte Werkzeuge höherer Mächte», für die 
OO
«Mittler zwischen Diesseits und Jenseits», ja für 
OO
die eigentlichen «Sprachrohre Gottes» halten und 
OO
mit hirnverbrannter Kritiklosigkeit immer wie‐ 
OO
der den erhabenen Meister von Nazareth als «das 
OO
größte Medium» proklamieren. ‒
.Wenn ich aber, aus einer Kenntnis der Dinge 
OO
heraus, wie sie nur wenigen Lebenden möglich 
OO
wurde, so entschieden vor jeder «spiritistischen» 
OO
Betätigung, vor jedem Glauben an «spiritistische» 
OO
Orakelei warnen muß, so darf man gewiß 
schon 
OO
daraus ersehen, daß die mir in jeder ihrer Auswir‐ 
OO
kungsarten bis ins kleinste bekannten «spiritisti‐ 
OO
schen« Phänomene als solche 
durchaus realen Gege‐ 
OO
benheiten entsprechen. 
Nur Ignoranz kann das Dasein 
OO
dieser Phänomene deshalb leugnen, weil es zu al‐ 
OO
ler Zeit gerissene Schwindler gab, die aus der 
OO
Neugierde ihrer Mitmenschen auf ihre Art Vor‐ 
OO
teil zogen, indem sie die möglichen 
echten Phäno‐ 
OO
 
mene auf mehr oder weniger geschickte Art 
vorzu‐ 
OO
gaukeln suchten und so ihre Gläubigen oft lange 
OO
Zeit hindurch um deren «schnöden Mammon» 
OO
erleichterten, bis eines Tages die «Entlarvung» 
OO
dem Treiben ein Ende setzte.
.Das Vorhandensein der echten Phänomene d. Spiri‐ 
OO
tismus steht, trotzdem auch oft 
echte Medien sich zu 
OO
gelegentlichen Schwindeleien hinreißen lassen, 
OO
und je mehr ihre Kräfte ausgesaugt sind, desto 
OO
häufiger ‒ so außer allem Zweifel, 
wie das Dasein der 
OO
Röntgenstrahlen, nur werden sie sich 
niemals wie 
OO
diese erforschen lassen, eben weil es sich nicht 
le‐ 
OO
diglich um physikalische Kräfte handelt, 
sondern weil 
OO
hier uns zum Teil unbekannte physikalische 
OO
Kräfte durch eine Art von 
Wesen in Aktion gesetzt 
OO
werden, die 
ihren eigenen Willensimpulsen folgen 
OO
und keineswegs gesonnen sind, unsern Wissens‐ 
OO
trieb wirklich zu befriedigen.
.Diese Zwischenwesen, auf deren Dasein wohl so 
OO
manche Gestalt aus der Vorstellungswelt des Mär‐ 
OO
chens und früherer Sagen zurückgehen mag, 
OO
sind durchaus 
amoralisch, weder gut noch böse, 
OO
folgen allein einem Triebe, den man bei Men‐ 
OO
schen etwa «Laune» nennen würde ‒ kennen kei‐ 
OO
nerlei «Gewissen» und sind einzig darauf bedacht, 
OO
sich mit Hilfe solcher Menschen, deren psycho‐ 
OO
physischer Organismus krankhaft gelockert ist, 
OO
 
auf dem Gebiet der physischen Erscheinungswelt 
OO
zu manifestieren. ‒ Was aus ihren Manifestatio‐ 
OO
nen erwächst, ist ihnen durchaus gleichgültig, 
OO
und es kümmert sie wenig, daß ihre Opfer 
OO
schließlich zugrunde gehen müssen. ‒
.Im Orient, wo die Kenntnis der okkulten Er‐ 
OO
scheinungen bis ins graueste Altertum zurück‐ 
OO
reicht, gab es stets und gibt es auch heute noch 
OO
Menschen, die nicht nur, wie unsere Medien, 
wil‐ 
OO
lenlose Sklaven dieser Wesen sind, sondern sich ih‐ 
OO
rer Hilfe 
bewußt zu bedienen wissen, sie durch ihre 
OO
ungemein trainierte Willenskraft 
beherrschen.
.Es sind jene «
Fakire», über deren staunenerre‐ 
OO
gende «Wunder» die bestbeglaubigtsten Berichte 
OO
vorliegen, die aber durchaus nicht mit jenen 
OO
«Büßern» zu verwechseln sind, von denen der 
OO
eine sich langsam zwischen vier Feuern rösten 
OO
läßt, während ein anderer es vermag, viele Jahre 
OO
lang kopfabwärts an einem Baume zu hängen 
OO
und dergleichen mehr.
.Auch mit den bekannten «indischen» Zirkus‐ 
OO
künstlern und Taschenspielern haben natürlich 
OO
diese 
echten «Fakire» nicht das mindeste zu tun.
.Ich leugne durchaus nicht, daß es 
sehr seltene 
OO
Fälle gibt, in denen auch von Seiten 
entkörperter, 
OO
also nicht mehr auf der Erde lebender Menschen, 
OO
 
diese hier besprochenen Wesen zur Manifestation 
OO
angetrieben werden, aber man glaube ja nicht, 
OO
auf normale Weise durch die Hilfe dieser Wesen 
OO
den erwünschten «Verkehr mit dem Jenseits» an‐ 
OO
bahnen zu können!
.Die wenigen, denen die Natur dieser Wesen be‐ 
OO
kannt ist und die sich ihrer bedienen 
könnten, weil 
OO
sie aus Gründen höherer übersinnlicher Entfal‐ 
OO
tung einst diese Wesen 
überwinden mußten, hüten 
OO
sich wohl, von ihrer Macht Gebrauch zu machen, 
OO
ja, sie gehen für gewöhnlich diesen Wesen aus 
OO
dem Wege wie giftigen Schlangen.
.Auch wissenschaftlicher Forscherdrang er‐ 
OO
scheint ihnen keineswegs entschuldbar, wenn er 
OO
dazu führt, den gefährlichen Bereich dieser Zwi‐ 
OO
schenwelt aufzusuchen.
.Sie können nur immer wieder davor warnen, 
OO
diese dunklen und dem Menschen verderblichen 
OO
Gebiete der Allnatur vorwitzig zu betreten. ‒
.Niemals wird die Menschheit aus dem Zwi‐ 
OO
schenreich her, dem die spiritistischen Phäno‐ 
OO
mene entstammen, irgendeine Antwort erhalten, 
OO
die ihr auf die Dauer segensreich werden könnte. 
OO
.Torheit aber wäre es, seine Augen vor gesicher‐ 
OO
ten Tatsachen verschließen zu wollen, die 
jederzeit 
OO
 
vorhanden waren, die so alt sind wie die Welt und 
OO
zu allen Zeiten, unter allen Völkern beobachtet 
OO
wurden, lange bevor Amerika, die Wiege des 
OO
neueren «Spiritismus», überhaupt entdeckt war.
.Wer hier noch zu 
leugnen versucht, der ist, um 
OO
mit 
Schopenhauer zu reden: ‒ «nicht 
ungläubig, son‐ 
OO
dern 
unwissend zu nennen», ‒ aber wer gar 
Offen‐ 
OO
barungen des ewigen Geistes bei spiritistischen Mani‐ 
OO
festationen erwartet, der gleicht einem in der Wü‐ 
OO
ste Verschmachtenden, der einer Luftspiegelung 
OO
nachläuft, die ihm schattige Oasen mit köstlichen 
OO
Quellen verspricht, während er durch seinen Irr‐ 
OO
tum nur desto sicherer dem Verderben anheim‐ 
OO
fällt, dem er entrinnen wollte. ‒
 
SIE mehren sich wieder allerorten! Zwischen OO
hypermodernen Modedichtern und Salon‐ OO
bolschewisten verzeichnen die Kataloge ge‐ OO
schäftsgewandter Verleger eine Literatur, die mit OO
Prophetengeste sehr abgestandene Sensationen OO
von ehedem als «Allerneuestes» auftischt; und in OO
so mancher reputierlichen Familie sitzt man OO
halbe Nächte, um das Tischorakel zu befragen. OO
Männer und Frauen, die noch vor wenigen Jah‐ OO
ren halb Verachtung, halb gelindes Grauen zeig‐ OO
ten, wenn das Wort «Spiritismus» fiel, verharren OO
jetzt passiv am Schreibtisch und lassen sich von ih‐ OO
ren «Freunden aus dem Jenseits» ehrfurchtsvoll OO
die Feder führen. Eine wahre Epidemie dieser Art OO
wütet im Lande, und sie ist um so gefährlicher, OO
weil fast alle, die von ihr erfaßt wurden, ihr Tun OO
sorglichst geheim zu halten suchen, so daß man in OO
Kreisen, die nicht selbst zu den Mitgerissenen ge‐ OO
hören, auch nicht die leiseste Ahnung hat von der OO
erschreckenden Ausbreitung dieses Taumels.
.Als um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die 
OO
neue Geisterkunde von Amerika her zu uns kam, 
OO
war die Wirkung weitaus harmloser. Abgesehen 
OO
von einigen schwärmerischen Enthusiasten und 
OO
allem Aberglauben freundlich gesinnten Eigen‐ 
OO
brötlern, die sich nun in spiritistischen Zirkeln 
OO
fanden, beschäftigten sich 
wirklich ernsthaft mit 
OO
diesen Dingen nur wenige Männer der Wissen‐ 
OO
schaft, stellten je nach Gelegenheit und Ausdauer 
OO
die Tatsächlichkeit der Phänomene oder auch 
OO
plumpen Schwindel daneben fest, kamen aber im 
OO
besten Falle ‒ wie etwa der Physiker 
Crookes ‒ nur 
OO
zu dem Schlusse, daß sie wohl das Wirken un‐ 
OO
sichtbarer, anscheinend oder unbestreitbar von 
OO
Intelligenz geleiteter Kräfte beobachtet hätten, 
OO
daß aber keinerlei beweiskräftige Gründe dafür 
OO
aufzubieten seien, in diesen durch Intelligenz ge‐ 
OO
leiteten Kräften wirklich, nach spiritistischer Hy‐ 
OO
pothese, die weiterlebende Geistigkeit gestorbe‐ 
OO
ner Menschen zu bestätigen.
.Was sonst vom damals neuen «Spiritismus» in 
OO
weitere Kreise drang, war Gesellschaftsspiel. In je‐ 
OO
dem Mädchenpensionat war der tanzende Tisch 
OO
bekannt. Wo immer eine ausgelassene Gesellschaft 
OO
beisammen war, gehörte es zu den beliebtesten 
OO
Scherzen, den Tisch nach allem zu befragen, was 
OO
Heiterkeit und Laune fördern konnte.
 
.So blieb der Spaß ungefährlich und ward als 
OO
überlebte Mode schließlich ganz vergessen.
.Die Zirkel der Schwärmer allein erhielten sich 
OO
auf dem Plan, und wenn auch die «Geistermani‐ 
OO
festationen» meist über bald bekannt gewordene 
OO
physikalische und psychische Phänomene sich 
OO
nicht erhoben, wenn auch die «Offenbarungen» 
OO
der «Geister» selten über die trivialsten Phrasen 
OO
emporstiegen, so fehlte es doch bald nicht an spi‐ 
OO
ritistischer Literatur, deren Berichte um so lieber 
OO
geglaubt wurden, je kritikloser sie abgefaßt wa‐ 
OO
ren, und es nährten sich diese halb frömmelnden, 
OO
halb kirchenabgewandten Leutchen eben wie sie 
OO
sich heute noch nähren: ‒ durch gegenseitige 
OO
Stärkung ihrer frommen Wünsche, mehr aus Bü‐ 
OO
chern als aus der Erfahrung.
.Auf über dreißigtausend «Bände» in allen Spra‐ 
OO
chen beziffern die Spiritisten mehr oder minder 
OO
strenger Observanz ihre Literatur, wobei aller‐ 
OO
dings die Vernünftigeren bedauernd zugeben, 
OO
daß das weitaus meiste obskures und wertloses 
OO
Zeug ist, oft nicht einmal von ehrlich Überzeug‐ 
OO
ten verfaßt, nur der geschickten oder bloß 
OO
schlauen Ausnutzung der Konjunktur sein Da‐ 
OO
sein dankend, geschrieben von Menschen, die ih‐ 
OO
ren Beruf darin sehen, das jeweils 
Sensationelle 
OO
 
aufzugreifen, um seine pekuniären Erfolgsmög‐ 
OO
lichkeiten auszunutzen.
.Als Kaviar genießt man daneben in Behaglich‐ 
OO
keit die ernsten Werke wissenschaftlicher Auto‐ 
OO
ren, die über ihre Forschungsresultate berichten, 
OO
übernimmt aber jeweils 
nur solche Äußerungen, 
OO
die 
eigener Meinung als brauchbare Stütze er‐ 
OO
scheinen, und übersieht in der großmütigen Ge‐ 
OO
ste des Besserorientierten schlechthin alles, was 
OO
ein solcher Autor etwa an 
kritischen und 
negieren‐ 
OO
den Einwänden 
gegen die spiritistische Lieblings‐ 
OO
theorie zu sagen hat.
.Da die Anhängerschaft opferbereit ist zugun‐ 
OO
sten der «guten Sache», und zu neun Zehnteln al‐ 
OO
les aufnimmt, was der Büchermarkt nach ihrer 
OO
Richtung hin bringt, so wird hier noch jahraus, 
OO
jahrein recht beträchtliches Nationalvermögen 
OO
entwertet, zugunsten geschäftstüchtiger Zeitge‐ 
OO
nossen, die stets für Befriedigung der Bedürf‐ 
OO
nisse und neuen Anreiz sorgen, was von ihrem 
OO
Standpunkt her gesehen gewiß das Lob der Klug‐ 
OO
heit verdient, hinsichtlich der Erhaltung und För‐ 
OO
derung geistiger Volksgesundheit aber sicherlich 
OO
vom Übel ist.
.So verbreitet aber auch derartiges Konventikel‐ 
OO
wesen verschiedener Schattierung in halbgebil‐ 
OO
 
deten Kreisen immer noch ist, so sind doch diese 
OO
Zirkel ehrlich genug, sich offen als «Spiritisten» 
zu 
OO
bekennen. Wer mit ihnen Fühlung sucht, der ist 
OO
entweder schon, auf Grund vorher genossener li‐ 
OO
terarischer Kost, mehr oder weniger spiritisti‐ 
OO
scher Gläubigkeit anheimgefallen, oder er will 
OO
sich unvoreingenommen orientieren.
Bedenklicher, ‒ 
weit bedenklicher steht es um 
OO
jene neueren Kreise unserer Gesellschaft, die 
OO
heimlich Spiritismus treiben und es nicht wahr ha‐ 
OO
ben wollen, daß dieses Tun nichts anderes ist, 
OO
auch wenn man ihm andere Namen gibt.
.Viele darunter glauben sich allen Ernstes be‐ 
OO
rechtigt, sehr verächtlich auf die deklarierten 
OO
«Spiritisten» herabzusehen, wollen vom Spiritis‐ 
OO
mus durchaus nichts wissen, glauben alles, was sie 
OO
erfahren, nur einer «hohen psychischen Entwick‐ 
OO
lung» danken zu dürfen, und ahnen nicht, daß 
OO
das, was ihnen widerfährt, die allerverbreitetste 
OO
Abart des «Mediumismus» ist, allen Spiritisten 
OO
wohlbekannt und von den Erfahreneren nur in 
OO
ganz besonderen Ausnahmefällen den «beweis‐ 
OO
kräftigen» Phänomenen zugezählt.
.Tatsächlich ist, wie selbst jeder anfängerhafte 
OO
Spiritist und wie die ernstere spiritistische Litera‐ 
OO
 
tur seit fast einem halben Jahrhundert weiß, der 
OO
Erfolg beim sogenannten «Tischrücken», wie 
OO
beim automatischen Schreiben, an sich durchaus 
OO
kein Beweis für die Mitwirkung unsichtbarer, in‐ 
OO
telligent geleiteter Kräfte.
.(Für gänzlich Fernstehende sei hier eingeschal‐ 
OO
tet, daß beim «
Tischrücken» mehrere Teilnehmer 
OO
um einen Tisch herum sitzen, auf den sie die 
OO
Hände legen. Früher oder später gerät der Tisch 
OO
in Bewegung, die Tischbeine heben und senken 
OO
sich, und die Antwort auf gestellte Fragen wird 
OO
nach dem Alphabet, je nach der Anzahl der Auf‐ 
OO
schläge des Tischbeins auf den Boden, buchsta‐ 
OO
biert. Beim 
automatischen Schreiben setzt sich das 
OO
«Medium» ‒ die Person, von der die unsichtbare 
OO
Intelligenz wirklich oder angeblich Besitz ergreift 
OO
‒ entweder allein oder mit andern an einen Tisch, 
OO
legt ein Papierstück vor sich, nimmt einen Bleistift 
OO
und erwartet in passiver Haltung die unwillkürli‐ 
OO
che Bewegung seiner Hand, durch die dann nach 
OO
und nach Schriftzeichen entstehen, die ohne wei‐ 
OO
teres gelesen werden können.)
.In beiden Fällen ist es möglich, sehr weitge‐ 
OO
hende Resultate zu erhalten, bei deren Erlan‐ 
OO
gung niemand anders beteiligt ist als das «Me‐ 
OO
dium» selbst bzw. seine Beisitzer, wobei ich hier 
OO
keineswegs an 
Betrug denke. Das «Medium» kann 
OO
 
in beiden Fällen in völligem 
Wachzustand sein, 
OO
kann aber auch in sogenannten «
Trance»-
Zustand 
OO
verfallen, eine Art autohypnotischen Schlafes, der 
OO
die verschiedensten Stadien aufweist und in sei‐ 
OO
nen Anfangsstadien noch kaum als solcher er‐ 
OO
kennbar ist.
.Gewisse fluidische Kräfte des unsichtbaren Tei‐ 
OO
les der physischen Natur des «Mediums» wie der 
OO
Teilnehmer sind nun, ebenso wie die Nerven‐ 
OO
bahnen, von jeder Willensfessel befreit, für 
sich al‐ 
OO
lein imstande, sowohl den Tisch wie noch viel 
OO
leichter die Hand zu bewegen, und automatisch 
OO
lösen sich sodann aus den im Gehirn gleichwie in 
OO
einer Grammophonplatte eingeprägten Runen 
OO
der Vorstellungsinhalte die entsprechenden Ant‐ 
OO
worten auf die gehörten ‒ auch im 
Trancezustand 
OO
gehörten ‒ oder auch 
nur gedachten Fragen los, oft 
OO
überraschend gut angepaßt, dann aber auch wie‐ 
OO
der orakelhaft dunkel, je nach der allgemeinen 
OO
und zeitlichen Disposition des «Mediums».
.Öftere Übung spielt diese automatische, durch 
OO
Verstand und Willen nicht mehr kontrollierte Tä‐ 
OO
tigkeit von Gehirn, Nervenbahnen und durch 
OO
beide wirkenden Seelenkräften derart ein, daß 
OO
die Erfolge oft verblüffend sind, besonders wenn 
OO
durch die erhöhte Aufnahmefähigkeit des «Medi‐ 
OO
ums» auch noch 
Gedankenbilder anderer wahrge‐ 
OO
 
nommen und in seiner Mitteilung verwertet wer‐ 
OO
den: ein Vorgang, der dem «Medium» selbst nicht 
OO
zu Bewußtsein kommt.
.Unsere «
Neospiritisten» haben aber von alledem 
OO
entweder kaum gehört oder stehen gar den Er‐ 
OO
fahrungen ausgesprochener «Spiritisten» und 
OO
wissenschaftlicher Forscher auf diesem Gebiete 
OO
absolut fern.
Ein dunkles Ahnen einer unsichtbaren höheren 
OO
Welt, der durch religiöse oder phantastische Lek‐ 
OO
türe erregte Wunsch nach «geistiger» Führung, 
OO
deren man sich meist besonders würdig zu wissen 
OO
glaubt, oft auch, genau wie bei wissentlichen «Spi‐ 
OO
ritisten», die Sehnsucht nach einem Lebenszei‐ 
OO
chen eines kürzlich Gestorbenen, führen meist 
OO
spontan die ersten, mehr oder minder primitiven 
OO
Phänomene herbei, in denen der Betroffene stau‐ 
OO
nend und begeisterungsvoll seine besondere Be‐ 
OO
gnadung bestätigt wähnt.
.Nun vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht 
OO
mit dem «geistigen» Führer oder mit dem lieben 
OO
Dahingegangenen zu verkehren sucht, was bei 
OO
solcher Annahme allerdings sehr begreiflich ist. 
OO
Alle wichtigen Entscheidungen werden der Gei‐ 
OO
sterstimme unterbreitet. Man ist selig, sein Privat‐ 
OO
 
orakel zu besitzen, und jeder vollgekritzelte Bo‐ 
OO
gen Papier aus solchen Stunden wird wie ein Hei‐ 
OO
ligtum verwahrt.
.Sind es wirklich 
nur die Kräfte des «Mediums» 
OO
selbst, die ihm Antwort geben (
jeder Mensch ist bis 
OO
zu gewissem Grade «mediumistisch» veranlagt, 
OO
auch wenn es bei ihm nie zu den abnormen Er‐ 
OO
scheinungen der ausgesprochenen «Medien» spi‐ 
OO
ritistischer Zirkel kommt), so könnte man in alle‐ 
OO
dem nur ein harmloses Tun erblicken, wenn nicht 
OO
auch dabei schon schwere Schädigungen sich ein‐ 
OO
stellten, Schädigungen nervöser und seelischer 
OO
Art, und vor allem eine allmähliche Paralysierung 
OO
der 
Willensbildung und des 
Verantwortungsbewußt‐ 
OO
seins.
.Schlimmer aber wird die Sache dadurch, daß 
OO
tatsächlich jederzeit jene unsichtbaren lemuren‐ 
OO
haften Wesen des unsichtbaren Teiles der physi‐ 
OO
schen Welt, die in den Sitzungen der spiritisti‐ 
OO
schen Zirkel eine so verhängnisvolle, täuschende 
OO
Rolle spielen, ganz oder teilweise von dem seiner 
OO
Meinung nach so hoch «Begnadeten» Besitz er‐ 
OO
greifen können.
.Die Existenz dieser Wesenheiten wird trotz al‐ 
OO
ler wissenschaftlichen Erforschung spiritistischer 
OO
Phänomene, wie sie gerade neuerdings von vor‐ 
OO
 
urteilsfreien Gelehrten wieder betrieben wird, 
OO
niemals einwandfrei und experimentell nach‐ 
OO
prüfbar zu erweisen sein. Trotzdem scheint dieser 
OO
unsichtbare Teil unserer 
physischen Welt schon in äl‐ 
OO
testen Zeiten für manche Menschen gelegentlich 
OO
seine Pforten geöffnet zu haben, und die Sagen, 
OO
Mythen und Märchen, die von «Kobolden», «Na‐ 
OO
turgeistern» und ähnlichen Unsichtbaren zu be‐ 
OO
richten wissen, dürften ursprünglich in recht rea‐ 
OO
ler Erfahrung wurzeln.
.Auch ich vermag keinerlei «Beweise» für das 
OO
Dasein unsichtbarer, intelligenter Bewohner un‐ 
OO
serer physischen Welt zu erbringen, aber ich darf 
OO
bekennen, daß es auch heute Menschen auf die‐ 
OO
sem Planeten gibt, denen dieses unsichtbare 
OO
Reich der physischen Welt durch eigene geistige 
OO
Anschauung sehr genau bekannt ist, und daß ich 
OO
hier aus Erfahrung rede.
.Eben diese Erfahrung ist auch Ursache der er‐ 
OO
schreckenden Einblicke in seelische Verwüstun‐ 
OO
gen, die mir die Betroffenen selbst in überaus 
OO
zahlreichen Fällen ermöglichten, wobei stets das 
OO
Wirken jener unsichtbaren Lemurenwesen fest‐ 
OO
zustellen war und, wahrhaftig zum Heile der also 
OO
Mißbrauchten, in genügend überzeugender 
OO
Weise bestätigt werden konnte.
 
.Die Wesenheiten, um die es sich hier handelt, 
OO
sind weder als «gut» noch als «böse» anzuspre‐ 
OO
chen. Erfüllt von einer ungebundenen 
Täu‐ 
OO
schungslust, kennen sie keinen anderen Drang, als 
OO
dem Menschen sich bemerkbar zu machen, was 
OO
aber nur unter besonderen Bedingungen mög‐ 
OO
lich ist, und dann ihn zu beherrschen und sich 
OO
selbst den Grad ihrer Herrschaft über ihn zu de‐ 
OO
monstrieren.
.Ich mag hier nicht alles wiederholen, was ich an 
OO
anderer Stelle (in meinem «Buch vom Jenseits» 
OO
und anderen Schriften) in ausführlicher Weise 
OO
darlegte, möchte vielmehr hier nur betonen, daß 
OO
die gewollte oder ungewollte Verbindung mit die‐ 
OO
sen Wesen die 
verhängnisvollsten Folgen nach sich 
OO
ziehen kann und in allen Fällen dem Menschen 
OO
nur 
Täuschung bringt, dort wo er 
Klarheit zu erhal‐ 
OO
ten hoffte.
.Es kann nicht genug vor diesen Regionen ge‐ 
OO
warnt werden, vor denen die 
Natur selbst ihre 
OO
Schutzwälle weise für den Menschen aufgerichtet 
OO
hat.
.Wer 
wirklich die göttliche Stimme in sich ver‐ 
OO
nehmen will, der muß 
andere Wege gehen, und 
OO
diese Wege habe ich gezeigt. (Siehe mein «Buch 
OO
vom lebendigen Gott».)
 
.«Geistige» Leitung, soll sie wirklich diesen Na‐ 
OO
men verdienen, kann dem Menschen 
nur in seinem 
OO
Allerinnersten werden. Sie bedarf weder des klop‐ 
OO
fenden Tisches noch der schreibenden Hand. Vor 
OO
allem aber wird sie stets 
den Suchenden selber zum 
OO
Finden führen, wird nie ein Gängelband um ihn 
OO
schlingen, dem er gleich einem Hypnotisierten 
OO
folgen zu müssen glaubt!
.Wer aber die tief verstehbare Sehnsucht fühlt, 
OO
mit dem geistig Ewigen derer in Verbindung zu 
OO
bleiben, die ihm vorangegangen sind in jenes 
OO
stille Reich des Geistes, aus dem kein Zeuge je‐ 
OO
mals wiederkehrt, der lasse sich durch Gaukel‐ 
OO
spiel nicht täuschen, auch wenn die unsichtbaren 
OO
Gaukler in der 
Maske jener Heimgekehrten ihm 
OO
erscheinen sollten!
.Auch ihm ist 
kein anderer Weg zu jenen ihm Ent‐ 
OO
rückten frei, als der Pfad in die leuchtenden 
OO
Lande seines 
allerinnersten geistigen Innern.
.Nur dort allein darf er hoffen, von 
denen Kunde 
OO
zu erhalten, die selbst nur noch 
in ihrem allerinner‐ 
OO
sten geistigen Sein von ihm wissen...
 
Die uns verlassen mußten,
.sind uns nicht verloren:
Sie wurden nur zu einem neuen Leben
.neu geboren.
Wir finden sie dereinst,
.so wie wir hier sie fanden;
Ihr «Tod» war nur die Lösung
.aus des Leibes Banden.
Das enge Haus der Sinne
.faßt «den Menschen» nicht:
Er ist ein König ‒
.und sein Reich ist Licht!
 
.Hier soll von einem Buche gesprochen werden, 
OO
das vielleicht viele Leser der «Magischen Blätter» 
OO
noch nicht kennen dürften.
.Der Untertitel des Buches lautet: «Vom gehei‐ 
OO
men Leben der Seele und der Überwindung des 
OO
Todes». Sein Verfasser ist ein tiefschürfender, stil‐ 
OO
ler Gelehrter, der in einer abgelegenen Ge‐ 
OO
meinde Thüringens ein anstrengendes Seelsor‐ 
OO
geamt verwaltet, aber hoch über jeder dogmati‐ 
OO
schen Gebundenheit steht und mit dem vorur‐ 
OO
teilsfreien Forschermut des unvoreingenomme‐ 
OO
nen Wahrheitssuchers an die Aufgaben heran‐ 
OO
trat, die ihm die Abfassung dieses überaus gründ‐ 
OO
lichen und bedeutenden Buches stellte.
.Jahrzehntelanges Forschen und sorgfältigstes 
OO
Beobachten fanden in seinem Werke ihren Nie‐ 
OO
derschlag. Nichts was jemals alle Zeiten und Völ‐ 
OO
ker zur Lösung des Unsterblichkeitsproblems bei‐ 
OO
zutragen hatten, blieb dem Verfasser fremd, aber 
OO
darüber hinaus scheute er auch keine Mühe, 
OO
 
nicht weite Reisen und umfangreiche Korrespon‐ 
OO
denzen, um 
dem persönlich näher zu gelangen, 
OO
was er mit Recht für die einwandfreieste Basis je‐ 
OO
der wissenschaftlichen Untersuchung der Un‐ 
OO
sterblichkeitsfrage hielt: ‒ dem 
Erlebnis. ‒
.So wurde sein Buch nicht nur zu einem auf‐ 
OO
schlußreichen Handbuch für alle, die sich für 
OO
diese Frage interessieren, sondern, weit darüber 
OO
hinaus, zu einem durchaus persönlichen Werk ei‐ 
OO
nes reifen Denkers.
.In leicht lesbarer, formvollendeter, oft dichte‐ 
OO
risch verklärter Sprache, bleibt es trotz seiner wis‐ 
OO
senschaftlichen Gründlichkeit auch dem völligen 
OO
Laien durchaus verständlich, ist auf jeder Seite in‐ 
OO
teressant und voll Bedeutung, zeigt große Aus‐ 
OO
blicke und gibt das Resultat der Forscherarbeit 
OO
seines Autors in einer so abgeklärten und seelisch 
OO
durchfühlten Form, daß ich nicht anstehe zu sa‐ 
OO
gen: ‒ 
dieses Buch gehört zum Besten und Schönsten, 
OO
was jemals über das gleiche Problem geschrieben wurde! 
OO
.Aber es sei gleich hier schon bemerkt, daß ich 
OO
mich nicht mit allen Resultaten, zu denen Dr. 
OO
Vogl gelangt, einverstanden erklären kann, und 
OO
die Kenner meiner Schriften werden unschwer 
OO
die Stellen in dem hier empfohlenen Buche fin‐ 
OO
den, auf die sich meine Einwände beziehen, so 
OO
 
daß ich kaum genötigt bin, Seite für Seite darauf 
OO
einzugehen.
.Im wesentlichen richtet sich die hier angedeu‐ 
OO
tete kritische Stellungnahme nur gegen eine ge‐ 
OO
wisse Weitherzigkeit des Verfassers, die ihn dazu 
OO
führt ‒ quasi aus einem Übermaß an Toleranz ‒ 
OO
okkulte Phänomene sehr verschiedenwertiger Art 
OO
dennoch gleichwertig zu behandeln, und überdies 
OO
scheint mir die Gefahr zu bestehen, daß hier das 
OO
Phänomen oft allzusehr in den Vordergrund tritt, 
OO
um so das eigentliche 
Erlebnis als 
seelische Reaktion 
OO
zurückzudrängen. ‒ ‒
.Daneben habe ich meine Bedenken, wenn Dr. 
OO
Vogl das indische Nirvana-Erlebnis, das er zwar 
OO
wunderbar klar zu vermitteln sucht, in jener, eu‐ 
OO
ropäischen Gelehrten und Okkultisten geläufi‐ 
OO
gen und wohl auch bei einigen indischen Sekten 
OO
findbaren Weise ausdeutet, wie es nur auf psycho‐ 
OO
pathologischer Basis zustandekommt.
.‒ 
Ich kenne es 
anders, ‒ und auch bei 
Rabindra‐ 
OO
nath Tagore fand ich in diesen Tagen zu meiner 
OO
Freude eine dem echten Erfassen weit mehr ent‐ 
OO
sprechende Erklärung. ‒
.So wunderschön daher auch das Schlußkapitel 
OO
des Buches «Unsterblichkeit» ausklingt, so würde 
OO
ich doch wünschen, der auf das 
Nirvana-Erlebnis 
OO
 
bezügliche Passus wäre dort fortgeblieben, zumal 
OO
er auch 
inkonsequent wirkt, denn hier gelangt der 
OO
Autor, nachdem er eingangs die 
Unzulänglichkeit 
OO
des 
Denkens zur Lösung des Unsterblichkeitspro‐ 
OO
blems so überzeugend darlegt und alles Forschen 
OO
auf das Erlebnis gegründet sehen will, unverse‐ 
OO
hens zur 
Philosophie, und damit zum 
Denken zu‐ 
OO
rück, ‒ wobei ihm freilich zur Rechtfertigung die‐ 
OO
nen mag, daß er speziell die 
indische Philosophie 
OO
als auf das 
Erlebnis gegründet auffaßt.
.Ich glaube aber, daß diese meine Einwände, die 
OO
ich keinesfalls verschweigen durfte, keinem Ein‐ 
OO
sichtigen das Buch «
Unsterblichkeit» entwerten 
OO
können.
.Die ganze 
Grundtendenz des Buches ist so 
wert‐ 
OO
voll und 
hocherfreulich, die ganze 
Gesamtgestaltung 
OO
des Buches ist so 
vollendet, daß es wahrhaftig in sei‐ 
OO
nem inneren Werte völlig intakt bleibt, auch wenn 
OO
da und dort eine Schlußfolgerung des Verfassers 
OO
so gegeben ist, daß man sie ‒ eben aus eigenem 
OO
Erlebnis heraus ‒ und einst belehrt von den beru‐ 
OO
fensten «Wissenden» auf diesem Gebiet, als irrig 
OO
ansprechen muß. ‒ ‒
.Wer dieses Buch richtig zu lesen weiß, dem 
OO
kann es eine gesegnete Fülle innerer Aufschlüsse 
OO
vermitteln, und manches Wort seines Autors läßt 
OO
 
sich, besonders für Fortgeschrittene, in einer 
OO
Weise deuten, die ihm eine vielleicht von dem Au‐ 
OO
tor selbst noch kaum ganz erfaßte Tragweite 
OO
gibt...
.Ich bin sicher, daß dieser Gelehrte auch keines‐ 
OO
wegs bei seinen ersten Ergebnissen stehen bleiben 
OO
wird, ja ich habe begründete Anzeichen dafür, 
OO
daß er wohl schon heute zu Ergebnissen gelangte, 
OO
die es ihm durchaus erwünscht erscheinen lassen, 
OO
daß ich neben aller vorbehaltslosen Würdigung 
OO
seines Werkes doch auch nicht verschwiegen 
OO
habe, was mir aus meiner eigenen Einsicht heraus 
OO
noch der Nachprüfung bedürftig erscheint.
.Wer dieses Buch schreiben konnte, hat allen 
OO
Anspruch auf die 
eindringlichste Beachtung aller, die 
OO
sich mit den magischen Tatsachen des Seelenle‐ 
OO
bens befassen, umsomehr als die okkultistische Li‐ 
OO
teratur nur 
sehr wenige Werke aufweist, die auch 
OO
nur von ferne der Bedeutung dieses Buches 
OO
gleichkommen! 
Dr. 
Vogl darf als ein 
Pfadfinder auf 
OO
den Gebieten des Übersinnlichen bezeichnet werden, 
OO
dessen Fußspuren zu folgen, jedem ernsthaften 
OO
Suchenden empfohlen werden muß. ‒
.Außer dem fesselnden 
Inhalt des Buches «
Un‐ 
OO
sterblichkeit» werden auch die im «Anhang» zusam‐ 
OO
 
mengefaßten «Anmerkungen» und «Literatur‐ 
OO
nachweise» hochwillkommen sein.
.Was da mit wissenschaftlicher Gründlichkeit 
OO
zusammengetragen wurde, ist schon 
für sich allein 
OO
betrachtet: wertvollstes Material, das zum Teil weit 
OO
über die eigentlichen Ergebnisse des Buches 
OO
selbst hinausweist.
.Auf diese Art betrachtet, stellt sich das wegwei‐ 
OO
sende und bedeutende Werk als ein 
Führer in die 
OO
Grenzlande des Übersinnlichen dar, und ich erblicke 
OO
das Wertvollste des ganzen Buches in dem, was 
OO
der Autor 
selbst zu sagen hat, aus eigenem Erle‐ 
OO
ben, so daß ich all seinen, auf hoher Gelehrsam‐ 
OO
keit beruhenden, philosophischen und mehr nur 
OO
spekulativ gearteten Expektorationen doch nur 
se‐ 
OO
kundäre Bedeutung beilege, im Hinblick auf die 
OO
Bekundung des 
reichen und abgeklärten Geistes, die 
OO
uns aus dem Ganzen des Werkes entgegenstrahlt. 
OO
.In unserer Zeit, in der jeder geschickte Be‐ 
OO
griffsjongleur sich berufen glaubt, die Welt mit 
OO
seinen Eintagserzeugnissen zu überschwemmen, 
OO
mit wissenschaftlich übertünchten Machwerken, 
OO
die nichts anders sind, als ein Aufguß aus schon 
OO
hundertmal gehörten okkultistischen Theore‐ 
OO
men, ist es besonders dankbar zu begrüßen, wenn 
OO
ein 
wahrhaft Berufener erscheint. 
Als solchen aber 
OO
 
begrüße ich den Verfasser des Buches «
Unsterblichkeit», 
OO
und ich bin über allen Zweifel sicher, daß sein 
OO
Buch 
jedem Leser, auf welcher Stufe des Erken‐ 
OO
nens er auch angelangt sein mag, 
reichen Gewinn 
OO
bringen wird. ‒
 
.Trotzdem in dem Geleitwort des einen der drei 
OO
Übersetzer meines Namens als eines Gliedes der 
OO
Hierarchie des Geistes, in außerordentlicher 
OO
Weise gedacht wird, trotzdem die Einsichten der 
OO
Übersetzer sie unschwer als Schüler der Lehren 
OO
ausweisen, die ich in meinen Tagen den Men‐ 
OO
schen meiner Zeit geben durfte, sehe ich mich 
OO
verpflichtet, mit Wärme für dieses mir eben über‐ 
OO
sandte Büchlein einzutreten...
.Es wäre eine 
falsche «Bescheidenheit», eine Be‐ 
OO
scheidenheit, die der 
Lüge nur allzu nahe käme, 
OO
wollte ich nicht auch meinerseits bestätigen, daß 
OO
die Übersetzer dieser kleinen Berichte 
völlig ihre 
OO
Tragweite erkannten, daß sie auch in dem, was sie 
OO
 
* Bei den «Meister in Indien» handelt es sich nicht um 00
Leuchtende im Sinne von Bô Yin Râ, sondern um den zu 00
jener Zeit bekannt gewordenen Ramana Mahârshi und 00
dessen Chela Sastriar.
** Aus dem Englischen ins Deutsche übertragen von Paul 00
Behnke, Alfred Müller und Edgar Treusein.
erläuternd hinzufügen zu müssen glaubten, mit 
OO
größter Sorgfalt bemüht waren, 
sichersten Boden zu 
OO
gewinnen, und daß so diese kleine Schrift eine Be‐ 
OO
deutung erlangte, die sie hoch emporhebt über 
OO
gar manches dickleibige Buch, in dem nach Art 
OO
der Lederstrumpf- und Robinsongeschichten von 
OO
denen gesprochen wird, deren geistigem Kreise 
OO
ich zugehöre, nicht durch eigenes «Verdienst», 
OO
oder als «Belohnung» meines Strebens, sondern 
OO
weil sie mich selbst zu einem der ihren, und für 
OO
die mir von ihnen gestellte schwere Aufgabe in 
OO
sorglichster Weise bereiteten, wie sie auch jene, 
OO
für einen 
kleineren Wirkungskreis Verpflichteten 
OO
bereitet haben, von denen die vorliegenden Be‐ 
OO
richte eines offenbar sehr einfachen Mannes in 
OO
ungekünstelter Weise erzählen.
.Schon der Umstand, daß hier, wo gewiß die 
OO
sprachliche Übersetzung an sich keine Schwierig‐ 
OO
keiten bot, doch keiner der Übersetzer 
allein die 
OO
Verantwortung auf sich nehmen wollte, ergibt ei‐ 
OO
nen Beweis dafür, wie sehr die drei Männer, die 
OO
dieses Büchlein in deutscher Sprache vorlegen, 
OO
sich bewußt waren, welche Wichtigkeit den Be‐ 
OO
richten zugesprochen werden muß, die tatsäch‐ 
OO
lich von einem auch von mir in Freundschaft ver‐ 
OO
ehrten Wissenden weit höher geschätzt werden, 
OO
als fast alle, sonst so schwer zugänglichen okkulti‐ 
OO
 
stischen Werke seiner wahrlich erlesenen und rei‐ 
OO
chen Bibliothek. ‒
.Mir ist vor allem maßgebend, daß in diesem 
OO
kleinen Schriftchen jedes Wort, das die eigentli‐ 
OO
che 
Lehre betrifft, auf 
Wahrheit beruht, daß 
die all‐ 
OO
gemeine Charakterisierung der beiden «Meister» ‒ 
OO
vielleicht abgesehen von einigen wenigen und 
OO
nicht ins Gewicht fallenden mythologisierenden 
OO
Zügen ‒ tatsächlich die menschliche Wesensart 
OO
wirklicher «Meister» 
getreu widerspiegelt, und daß so 
OO
der Suchende endlich befreit wird von den myste‐ 
OO
riösen, theatermäßigen Vorstellungen, denen er 
OO
in fast allen anderweitigen Berichten über angeb‐ 
OO
liche Mahâtmas zu erliegen droht, wenn er sich 
OO
nicht in gesundem Ekel vor derlei Mummen‐ 
OO
schanz abwendet und dabei dann allerdings auch 
OO
das 
Körnchen Wahrheit, das hinter allen diesen my‐ 
OO
stifizierenden Erzählungen dennoch gesucht zu 
OO
werden verdiente, völlig aus den Augen verliert. ‒ 
OO
.Ich kann daher das Büchlein «
Meister in Indien» 
OO
nur jedem Suchenden 
ohne Vorbehalt empfehlen 
OO
und den von heiliger Ehrfurcht vor der Wahrheit 
OO
erfüllten, bereits sehr «wissenden» Übersetzern 
OO
Dank sagen, daß sie auf ihre Weise mithelfen, an 
OO
Stelle verwirrender und phantastisch ausge‐ 
OO
schmückter Sagen, einfache 
Tatsachen zu setzen, 
OO
die allerdings weit weniger seltsam klingen als der 
OO
 
bisher meist verbreitete, auf üppig gedüngter 
OO
Erde erwachsene mediumistische «Meister»‐ 
OO
Spuk, dafür aber 
Wirklichkeit sprechen lassen, wo 
OO
bisher 
Traumwahn orakelte. ‒ ‒
.Die Ausstattung der kleinen Schrift ist äußerst 
OO
vornehm und die beiden, in vorzüglicher Repro‐ 
OO
duktion wiedergegebenen 
Photographien des 
OO
«Meisters» 
Sastriar und des 
Mahârshi, seines höhe‐ 
OO
ren «Bruders», dürften jedem natürlichen, feine‐ 
OO
ren Empfinden manches zu sagen haben, beson‐ 
OO
ders im Vergleich zu gewissen 
angeblichen «Mei‐ 
OO
sterbildern», die noch unglaublicherweise in so 
OO
manchen okkultistischen, bzw. theosophischen 
OO
Kreisen Verehrung genießen, obwohl wahrlich 
OO
nicht allzuviel Kritikfähigkeit dazu gehören 
OO
dürfte, diese letztgenannten Phantome einer 
OO
überreizten Phantasie, die noch dazu in einer 
OO
künstlerisch so unmöglichen Art gestaltet wur‐ 
OO
den, als das zu erkennen, was sie wirklich sind... 
OO
.Ich hoffe und wünsche, daß die vorliegenden 
OO
Berichte manches nur 
erträumte Ideal endgültig in 
OO
sein leeres Nichts zurückweisen werden, um an 
OO
dessen Stelle 
würdigeren Vorstellungen in bezug 
OO
auf jene Geisteseinheit Platz zu schaffen, die tat‐ 
OO
sächlich 
von Menschen dieser Erde verkörpert wird, 
OO
um 
Licht zu verbreiten, wo 
ohne sie nur der 
finster‐ 
OO
ste Aberglaube herrschen würde. ‒ ‒ ‒
 
.Nachdem man geraume Zeit in deutschen Lan‐ 
OO
den einer gewissen Scheu vor jedem Gedichtband 
OO
begegnet war, bewegt sich heute unstreitig das In‐ 
OO
teresse am Gedicht als solchem wieder in aufstei‐ 
OO
gender Linie. Man empfindet wieder den seelen‐ 
OO
lösenden Himmelstau, der aus wirklich guter Ly‐ 
OO
rik, wie aus keiner anderen Form dichterischen 
OO
Schaffens sich über die eigene Stimmung hernie‐ 
OO
dersenkt, weiß wieder jene subtilen Empfindun‐ 
OO
gen zu schätzen, die Reim und Rhythmus der 
OO
Sprache entlocken können, kurz: man liest wie‐ 
OO
der Gedichte!
.Nun ist aber in unserer Zeit, in der jeder dritte 
OO
Mensch mit leidlichem Geschmack oder grausa‐ 
OO
mem Ungeschmack sich zum Reimen berufen 
OO
fühlt, der Kunstform des Gedichtes arge Unbill 
OO
widerfahren und widerfährt ihr noch Tag für Tag. 
OO
.Die alte Gartenlaubenlyrik gräßlichen Ange‐ 
OO
denkens pudert und frisiert sich dem Zeitge‐ 
OO
schmack entsprechend und gilt als «neue Dich‐ 
OO
 
tung», während auf der anderen Seite barbari‐ 
OO
sche Sprachverstümmelung eine seltsame Clow‐ 
OO
nerie ihre geschmacklosen Kapriolen schlagen 
OO
läßt.
.Einsam steht ferne all diesem betulich-beflisse‐ 
OO
nen Gebahren der wirkliche 
Dichter, und gute Ly‐ 
OO
rik, die, aus klingender Seele geboren, der Mut‐ 
OO
tersprache Laute in Musik zu wandeln weiß, ist 
OO
seltener geworden als je. ‒
.In solchen Tagen ist es geradezu ein Labsal, ei‐ 
OO
nem Gedichtbande zu begegnen wie dem vorlie‐ 
OO
genden.
.Es sind durchweg nur kleinere Gedichte. Auf 
OO
dem Titelblatt des schmalen, auch in seinem Äus‐ 
OO
seren überaus vornehm, still und edel wirkenden 
OO
Bandes steht, gleichsam als Vorzeichen der Ton‐ 
OO
art, das Goethewort: ‒
.«Jeden Nachklang fühlt mein Herz froh- und 
OO
trüber Zeit,  
.Wandle zwischen Freud' und Schmerz in der 
OO
Einsamkeit.»
.Und so wie hier über dem Tor des Gartens die‐ 
OO
ser reifen, starken Dichterin ein Wort des von ihr 
OO
ehrfurchtdurchdrungen erfühlten Größten steht, 
OO
 
so gibt sie auch jedem Blumenbeete ihres Gartens 
OO
eine Inschrifttafel mit Versen Goethes.
.Vielleicht kein ganz ungefährliches Unterfan‐ 
OO
gen? ‒ Aber wer diese reine, quellende Lyrik in 
OO
sich trägt wie 
Erika von Watzdorf-
Bachoff, der darf 
OO
schon ruhig bewußt große Vergleiche wecken, die 
OO
manchem anderen recht fatal werden könnten. ‒ 
OO
.«Heimat», «Einsamkeit und Erinnerung», 
OO
«Weimar» und «Sternenfreundschaft» sind die 
OO
vier Teile des Gedichtbandes überschrieben. Der 
OO
Titel des Ganzen: «
Nachklang», weist von selbst auf 
OO
das lange vorher schon Erschienene zurück. Wem 
OO
das Schaffen der Dichterin, die 
Johannes Schlaf 
OO
wahrhaftig nicht zu Unrecht nur der 
Droste-
Hüls‐ 
OO
hoff an die Seite stellen zu dürfen glaubt, nicht oh‐ 
OO
nehin bekannt ist, dem seien hier ihre früheren 
OO
Bände genannt: das stattliche Bändchen «
Zwi‐ 
OO
schen Frühling und Herbst», das bei 
Cotta erschien, 
OO
sowie «
Das Jahr und neue Gedichte», 1913 bei 
Kiepen‐ 
OO
heuer erschienen. Dazu kommt noch der feinsin‐ 
OO
nige, im Milieu ihrer Jugend spielende Roman 
OO
«
Maria und Yvonne», der ebenfalls bei 
Cotta verlegt 
OO
wurde.
.Es ist nicht die Aufgabe des Rezensenten eines 
OO
Gedichtbandes, die einzelnen Gedichte irgend‐ 
OO
wie inhaltlich zu erläutern. Auch würde es mir 
OO
 
verfehlt scheinen, dies oder jenes Gedicht zitieren OO
zu wollen, denn stets bleibt hier die Wahl viel zu OO
subjektiv bestimmt, und es besteht die Gefahr, das OO
Bild der Dichterin zu verzeichnen. Lyrische OO
Kunst in höchster Vollendung, herbsüße Frauen‐ OO
lyrik voll rhythmischer Schönheit, eine Sprache, OO
die restlos in Wohllaut und Klang aufgeht, bietet OO
jede Seite des Bandes! Ich sage mit Vorbedacht: OO
Frauenlyrik, denn nichts ist hier männlichem Füh‐ OO
len nachempfunden, alles kündet nur von dem OO
reichen, starken Schwingen und Sehnen einer in OO
Freud und Leid gleich erlebenstiefen Frauen‐ OO
seele. Erika von Walzdorf-Bachoff gehört zu den OO
wenigen Erlesenen der heutigen Menschheit, die OO
in weiser Selbstgestaltung ihr Leben zu formen OO
wissen, so daß nichts Unedles ihnen zu nahen ver‐ OO
mag. Aus solcher Lebensformung fließt das Werk OO
der Dichterin. Solcher Selbstdarstellung dankt sie OO
die unbestreitbare Eigenform ihrer Gedichte. OO
Wer Vollendetes liebt und Echtes zu beurteilen OO
weiß, der wird ihre Kunst, die stets nur reifster OO
Ausdruck innersten Fühlens ist, wahrlich zu OO
schätzen wissen.
ES kam ein Mensch zu mir, der einer meiner 
OO
nächsten Schüler werden mußte, weil er es 
OO
lange vorher schon im Geistigen war.
.Dieser Mensch wurde mir zum intimsten 
OO
Freunde.
.Was Wunder, wenn er als Kunsthistoriker sich 
OO
berufen und bewogen fand, ein Buch über meine 
OO
Kunst zu schreiben.
.Ich kann dieses Buch nicht hinausgehen lassen, 
OO
ohne ihm ein paar Geleitworte mitzugeben.
.Freilich kann ich nur 
über das Buch selber spre‐ 
OO
chen, denn es stünde mir übel an, 
seine Werturteile 
OO
zu begutachten.
 
* Bezieht sich auf «Der Maler Bô Yin Râ» von R. Schott, 00
München, Hanfstaengl. 1927. Eine zweite erweiterte 00
Ausgabe erschien 1960 in der Koberschen Verlagsbuch‐ 00
handlung, Bern.
.Was aber das Buch selber betrifft, so kann ich 
OO
nur sagen, daß es mit einer Einfühlungssicherheit 
OO
und genialen Erfassung des Wesentlichen ge‐ 
OO
schrieben ist, die für mein eigenes Urteil sicher 
OO
ans Wunderbare grenzt.
.Es ist hier unendlich vieles zu Worte geworden, 
OO
was mir selbst immer unaussprechlich schien.
.Aber es ist die alte Geschichte: ‒ ohne den An‐ 
OO
schlag des Stahles springt der Funke nicht aus 
OO
dem Feuerstein. ‒ ‒
.Ich sollte 
Rudolf Schott, der das Buch über den 
OO
Maler Bô Yin Râ geschrieben hat, eigentlich recht 
OO
«böse» sein, denn er hat mich bis aufs Blut ge‐ 
OO
quält, um alles das aus mir heraus zu holen, was er 
OO
für sein Buch zu brauchen glaubte.
.Allein, das Resultat seiner unermüdlichen Ar‐ 
OO
beit zwingt mich denn doch, ihm vor aller Öffent‐ 
OO
lichkeit für die Tortur zu 
danken, der er mich so 
OO
manchen Achtstundentag und manche Nacht‐ 
OO
stunde hindurch mit unerbittlicher Grausamkeit 
OO
unterworfen hat.
.Es war lediglich die 
Kunst seiner Fragestellung, 
OO
die es mir ermöglichte, ihm tausend Dinge auf‐ 
OO
zuklären, die mir jedem anderen Menschen ge‐ 
OO
genüber als unsagbar erschienen wären.
 
.So kam ein Material zutage, dessen Fülle mich 
OO
selbst in Erstaunen versetzte.
.Aber gerade auf dieses Material hatte es 
Schott 
OO
abgesehen, und mit intuitiver Sicherheit wußte er 
OO
daraus sein einzigartiges Buch zu gestalten.
.Möge es allen die Augen öffnen, die sehen ler‐ 
OO
nen wollen!
.Ich habe nichts Besseres in ihre Hand zu ge‐ 
OO
ben. ‒ ‒
.Daß in dem Buche nichts besprochen ist, was 
OO
nicht auch 
bildhaft dargestellt wäre, dürfte zweifel‐ 
OO
los als besonderer Vorzug zu betrachten sein.
.Sollte man mehr in dieser Art erwarten, so wird 
OO
der Autor auch noch mehr zu sagen und zu zeigen 
OO
haben, obwohl er bereits hier wahrlich überrei‐ 
OO
chen Stoff zum Nachdenken und Nachfühlen bie‐ 
OO
tet.
.Ich begrüße dieses Buch als Wegweiser für Tau‐ 
OO
sende, ganz abgesehen davon, daß es ein wahrhaft 
OO
zuverläßiger «Cicerone» ist in den Gebieten geisti‐ 
OO
ger Kunst!
.Dem Kunstverlag 
Hanfstaengl aber weiß ich 
OO
Dank für die vorzügliche Ausstattung.
 
Auf eine Anfrage an Bô Yin Râ, ob es ihm unerwünscht er‐ 00
scheinen würde, wenn wir das in unserem Verlag (Richard 00
Hummel Verlag, Leipzig) seinerzeit erschienene obenge‐ 00
nannte Brevier weiter propagierten, bzw. ob es durch 00
seine Bücher unnötig sei und forthin zurückzuziehen 00
wäre, erhielten wir nachfolgend wiedergegebene Ant‐ 00
wort:
 OO
.Ihre Anfrage kommt mir durchaus nicht über‐ 
OO
raschend, denn auch bei mir sind im Laufe der 
OO
Zeit zahlreiche und einander stark widerspre‐ 
OO
chende Urteile eingelaufen.
.Es scheint mir aber ein allgemeiner Irrtum vor‐ 
OO
zuliegen, sowohl bei den begeisterten 
Freunden 
OO
des «Breviers», wie bei seinen 
Kritikern, die gewiß 
OO
formal im Recht sind, wenn sie dagegen geltend 
OO
machen, daß man ‒ herkömmlicherweise ‒ soge‐ 
OO
nannte «Breviere» erst dann zusammenstelle, 
OO
wenn man das Lebenswerk eines Autors als ab‐ 
OO
geschlossen betrachten dürfe. Jedoch folgt aus 
OO
solchem Herkommen keinerlei Gesetz! Es ist 
OO
 
nicht einzusehen, weshalb man nicht aus 
jedem 
OO
vorliegenden reichlichen Material an Sentenzen 
OO
ein Buch zusammenstellen dürfte, einerlei, ob der 
OO
Autor schon verstorben ist oder noch im Schaffen 
OO
steht. An sich bedeutet ein Kurzbuch mit gesam‐ 
OO
melten Aussprüchen ja noch nichts Abschließen‐ 
OO
des. Meines Erachtens ist ein solches Buch überall 
OO
da berechtigt, wo eine größere Reihe von Senten‐ 
OO
zen jederzeit leicht zugänglich gemacht werden 
OO
soll, einerlei ob von der gleichen Stelle her noch 
OO
weiterhin Produktives ausgeht oder ob man vor 
OO
einem bereits abgeschlossenen Lebenswerke 
OO
steht.
Was aber nun das von Rudolf Schott aus meinen 
OO
Werken zusammengestellte «Brevier» angeht, so 
OO
liegt da 
ein Sonderfall vor, der eigentlich vielleicht 
OO
von Anfang an einer Erläuterung bedurft hätte, 
OO
denn meines Wissens kam es dem feinsinnigen 
OO
Autor des Ludwig-Richter-Buches und der «Reise 
OO
in Italien», der das ausgezeichnete Wort von der 
OO
«
inwendigen Antike» geprägt hat, viel weniger auf 
OO
eine Sentenzensammlung an als eben um das Auf‐ 
OO
zeigen dieser von ihm auch in meinen Werken er‐ 
OO
fühlten «inwendigen Antike» unter Benutzung 
OO
meiner eigenen Worte, die hier gleichzeitig das 
OO
Aufgezeigte 
bestätigen sollten.
 
.Gewiß dachte er daneben auch daran, daß die OO
gegebenen Zitate manchem Leser meiner Werke OO
zuweilen schon an sich willkommen sein könnten, OO
‒ so etwa auf Reisen, wo die Bücher nicht alle mit‐ OO
geführt werden, ‒ oder auch um Neulingen einen OO
bequemen Überblick verschaffen zu können über OO
die Begriffs- und Gedankenkreise, die mein Leh‐ OO
ren umfaßt. Er hat das ja auch in seiner, übrigens OO
im Hauptinhalt wirklich ganz einzigartig bedeu‐ OO
tungsvollen «Einführung» nebenher erwähnt. OO
Aber weitaus wichtiger war ihm natürlich doch OO
das, was er in den von ihm gewählten Zusammen‐ OO
fassungen mit meinen Worten aufzeigen wollte. OO
Das erklärt auch seine Wahl der einzelnen Be‐ OO
griffe, durch die er meine Aussprüche zusam‐ OO
menbündelt, wie «Geist», «Seele», «Körper», OO
«Ich», «Du» u.s.f., wie auch die nicht immer gleich OO
erkundbare Motivierung für die mitunter schein‐ OO
bar kaum gerechtfertigte Einbeziehung von ein‐ OO
zelnen Aussprüchen, die ich vielleicht selber in ei‐ OO
ner bloßen Sentenzen-Anthologie nicht als beson‐ OO
derer Hervorhebung entsprechend erachtet OO
hätte. Als ich aber einmal während unfreiwilliger OO
Bettruhe die Möglichkeit fand, alles sorgfältig OO
kontrollierend durchzulesen, blieb kein einziges OO
Zitat übrig, von dem ich noch weiterhin geurteilt OO
hätte, daß es an seiner Stelle überflüßig sei. Es OO
wird auch das zuerst Befremdende sogleich deut‐ OO
lich, wenn man sich klar macht, daß die Aussprü‐ 
OO
che dazu dienen sollen, mein Verkündungswerk 
OO
von verschiedenen Seiten her in klarer Kontur fassen 
OO
zu lehren.
Gelegentlich ist mir in kritischen Äußerungen 
OO
über das vermeintlich «überflüssige» ‒ in Wahr‐ 
OO
heit aber so überaus zum Nachdenken anregende 
OO
und seelisch fördernde ‒ Werkchen, das da, unter 
OO
Benutzung meiner Worte, über meine Bücher ge‐ 
OO
schrieben ist, und vielleicht das Authentischste 
OO
darstellt, was von einem Anderen darüber ge‐ 
OO
schrieben werden 
kann, ‒ auch der Einwand be‐ 
OO
gegnet, es seien doch auch Stellen gebraucht, die 
OO
in späteren Neuausgaben mehrerer Bücher end‐ 
OO
gültig eine andere Fassung erhalten haben. Die‐ 
OO
ser Einwand kommt aber nur zustande durch die 
OO
recht merkwürdige Annahme, als bilde 
die endgül‐ 
OO
tige Formung, wo sie von mir für notwendig ge‐ 
OO
halten wurde, etwa gar eine 
Negierung der vorher 
OO
gebrauchten Formulierung. Wer zu solcher An‐ 
OO
sicht neigt, dem muß ich jedoch hier eindeutig sa‐ 
OO
gen, daß ich selbstverständlich zu 
jedem Wort 
OO
stehe, das ich 
jemals in die Öffentlichkeit gegeben 
OO
habe, so daß die späterhin erfolgte Andersformu‐ 
OO
lierung natürlich niemals das zuerst gegebene 
OO
Wort von meiner Verantwortung ablösen könnte. 
OO
 
Insofern stellt also Schotts «Brevier» geradezu 
OO
den Beweis dafür dar, daß die mittlerweile in 
OO
Neuausgaben einzelner meiner Bücher getroffe‐ 
OO
nen Neuformulierungen natürlich nichts am Sinn 
OO
des Ganzen verändert haben.
.Aus all dem Vorstehenden werden Sie gewiß 
OO
schon ersehen, daß ich das unter Verwendung 
OO
meiner eigenen Worte seinerzeit von Rudolf 
OO
Schott gestaltete Erläuterungswerk zu meinen 
OO
Büchern, das er als «Brevier» herausgab, ganz ge‐ 
OO
wiß nicht für etwas Überflüssiges halten kann. Na‐ 
OO
türlich will und kann dieses Buch, auch wenn es 
OO
das, was Schott die «inwendige Antike» nennt, 
an 
OO
meinen eigenen Worten aufzeigt, niemals auch nur 
OO
eines meiner Bücher «ersetzen», aber man würde 
OO
sich ja auch einer kuriosen Vorstellung hingeben, 
OO
wenn man der törichten Annahme Raum lassen 
OO
wollte, als wäre die 
doch von mir gutgeheißene Ent‐ 
OO
stehung des «Breviers» der Absicht zu verdanken, 
OO
einen «Ersatz» für meine Bücher zu schaffen.
.Ich bin Ihnen nur dankbar, wenn Sie dem «Bre‐ 
OO
vier» auch weiterhin die Wege zu denen offenhal‐ 
OO
ten wollen, die es brauchen können, was von 
jedem 
OO
Leser meiner Bücher mit Bestimmtheit zu sagen 
OO
ist! Freilich sollte kein Benützer dieses «Breviers» 
OO
darin nur eine bloße Anthologie sehen, sondern 
OO
in erster Linie ein in acht Kapiteln bewußt aus 
OO
 
meinen Worten gestaltetes Buch über mein Ver‐ OO
kündungswerk, das ihm für sehr vieles in meinen OO
Büchern die Augen öffnen kann. Auch die «Ein‐ OO
führung» Schotts ist dabei gewiß nicht auszuneh‐ OO
men! OO
BÔ YIN RÂ bittet um Veröffentlichung nachfolgender Zeilen:
.«Je mehr meine Bücher zu einem wertvollen 
OO
Besitz vieler Leser werden, desto ungeheuerli‐ 
OO
cher häuft sich die Masse der Zuschriften, die mir 
OO
direkt oder durch Verlagsvermittlung zugehen, 
OO
entweder um Dank und Freude Ausdruck zu ge‐ 
OO
ben, oder um persönliche Fragen zu stellen.
.Anfänglich versuchte ich, alle derartigen Briefe 
OO
gewissenhaft zu beantworten; wollte ich aber auch 
OO
weiter bei dieser Gepflogenheit bleiben, dann 
OO
müßte ich 
jede andere Tätigkeit einstellen und könnte 
OO
dennoch die Stöße von Briefen nicht auf solche 
OO
Weise beantworten, wie es meinem Empfinden 
OO
und meinem Willen, Hilfe zu bringen, entspre‐ 
OO
chen würde. ‒
.Es ist im übrigen bis auf den heutigen Tag noch 
OO
keine einzige Anfrage an mich ergangen, auf die 
OO
sich der Fragende mit einigem guten Willen und 
OO
 
etwas Nachsinnen, auf Grund logischer Folge‐ 
OO
rungen aus den durch mich gegebenen Lehren, 
OO
nicht 
selbst die Antwort hätte geben können...
.Jene anderen zahllosen Zuschriften aber, die 
OO
nur dem Dank und der Freude, oder der inneren 
OO
Zustimmung des Herzens Ausdruck geben sollen, 
OO
muß ich leider gleichfalls fürderhin unbeantwor‐ 
OO
tet lassen, obwohl ich gewiß gern jedem einzelnen 
OO
Briefschreiber von Herzen danken möchte.
.Vielfach scheinen die Absender der an mich ge‐ 
OO
richteten Briefe anzunehmen, daß die 
Einsendung 
OO
des Rückportos alle der Antwort im Wege stehenden 
OO
Umstände beseitigen müsse. Gern wollte ich je‐ 
OO
doch die Portospesen tragen, sähe ich überhaupt 
OO
noch 
eine Möglichkeit, all diese Briefe zu beantwor‐ 
OO
ten, ohne meine anderen bindenden Lebens‐ 
OO
pflichten zu vernachläßigen, ja gänzlich unerfüllt 
OO
zu lassen.
.Allen, die in den letzten Monaten an mich ge‐ 
OO
schrieben haben und keine Antwort mehr erhal‐ 
OO
ten konnten, sage ich hiermit herzlichen Dank 
OO
und bitte zugleich, die Nichtbeantwortung nicht 
OO
als Zeichen der mangelnden Anteilnahme an dem 
OO
jeweiligen Einzelschicksal auslegen zu wollen! ‒
.Ich bin kaum mehr imstande, auch nur alles 
zu 
OO
lesen, was man mir zuschickt, und ich glaube 
OO
 
nichts Unmögliches zu erwarten, wenn ich an‐ OO
nehme, daß man bei einiger Überlegung begrei‐ OO
fen wird, wie vieles durch meine Geistesarbeit ge‐ OO
tan sein will, und daß auch ich nicht in der Lage OO
bin, zu gleicher Zeit den mir übertragenen Pflich‐ OO
ten zu genügen, wenn ich von Sonnenaufgang bis OO
zur Mitternacht nur Zuschriften beantworten OO
wollte.»
BÔ YIN RÂ ersucht uns um die Verbreitung folgender Mitteilung:
.In den letzten Jahrgängen der «Säule» (bzw. 
OO
der «Magischen Blätter») waren zahlreiche Bei‐ 
OO
träge von mir zu finden, so daß es manchen Le‐ 
OO
sern zuletzt als ganz selbstverständlich erschien, 
OO
daß sie in jeder Nummer der Zeitschrift meinen 
OO
Abhandlungen begegnen müßten.
.Nun liegt es aber gewiß nicht in der Art meines 
OO
Lehrauftrags, die Mitarbeit an Zeitschriften zu er‐ 
OO
streben, sondern es hatte sich zwanglos aus dem 
OO
freundschaftlichen und Schülerverhältnis des 
OO
Herausgebers und Verlegers der «Säule» zu mir 
OO
ergeben, daß ich dieser seiner Zeitschrift einzelne 
OO
in sich geschlossene Teile meiner für zukünftiges 
OO
Erscheinen in Buchform vorbereiteten Schriften 
OO
zum 
Vorabdruck überließ.
.Gelegentlich nur kamen auch Themen zur Be‐ 
OO
handlung, die der Tag nahegelegt hatte und über 
OO
 
die ich mich den Lesern der Zeitschrift gegenüber 
OO
äußern wollte.
.Niemals aber war es von mir beabsichtigt, mei‐ 
OO
nerseits die «Magischen Blätter» oder die «Säule» 
OO
ad infinitum mit Beiträgen versehen zu wollen, 
OO
sondern ich hoffte stets darauf, daß sich ein Stab 
OO
gediegener Mitarbeiter zusammenschließen 
OO
möge um mir die Mitsorge für die als nötig und 
OO
bedeutsam erachtete Zeitschrift abzunehmen.
.Mehr und mehr fand diese Hoffnung auch ihre 
OO
Erfüllung, und gleichzeitig plante der Verlag eine 
OO
gewiße Neugestaltung der «Säule», wie sie der 
OO
laufende neunte Jahrgang bereits erfreulicher‐ 
OO
weise zeigt.
.Hier war die Zeit meiner Entlastung nun ge‐ 
OO
kommen und wenn ich auch wußte, daß ein künf‐ 
OO
tiger Ausfall meiner Beiträge vorerst zu allerlei 
OO
Legendenbildungen Anlaß werden könne, so 
OO
durfte ich mir doch auch sagen, daß alle einsichti‐ 
OO
gen Leser alsbald auf die Spur der 
wahren Gründe 
OO
meines Zurücktretens als «Mitarbeiter» der Zeit‐ 
OO
schrift geführt würden, die mir so nahe steht wie 
OO
je zuvor.
.Was mir aber da und dort neuerlich zu Ohren 
OO
kommt, läßt es mir nachgerade als Pflicht erschei‐ 
OO
nen, den Lesern der «Säule» klar und deutlich zu 
OO
 
sagen, wie 
ferne der Wahrheit 
alle Vermutungen 
OO
sind, die aus dem Fehlen meiner Beiträge auf ir‐ 
OO
gendwelche Veränderung meiner Wertschätzung 
OO
der Zeitschrift oder gar ihres Herausgebers und 
OO
Verlegers schließen möchten!
.Ich stehe der Neugestaltung der «Säule» seit 
OO
Beginn des laufenden neunten Jahrgangs sogar 
OO
mit 
besonderer Sympathie gegenüber und bin si‐ 
OO
cher, daß Herausgeber und Mitarbeiter auf dem 
OO
nun betretenen Wege 
immer Besseres schaffen, im‐ 
OO
mer mehr 
segensreiche Klärung bringen werden.
.Was ich 
persönlich den Lesern der «Säule» zu sa‐ 
OO
gen habe, ist 
allein in meinen Büchern zu finden und 
OO
soll 
nur dort gesucht werden!
.Die Zeitschrift hat nicht den Zweck, mich zu 
OO
Wort kommen zu lassen, sondern soll 
durch dazu 
OO
Berufene, ‒ aber auch 
nur durch solche! ‒ Fragen 
OO
der Lebenspraxis, Probleme der Vorstellung und 
OO
der zeitgegebenen Mentalität im 
Lichte der durch 
OO
mein Wirken verbreiteten Lehren klären helfen, ‒ 
soll 
OO
aufzeigen, 
wie die unerschütterbare Wahrheit dieser 
OO
Lehren den nach ihnen Lebenden offenbar und bestim‐ 
OO
mend wurde. ‒
.Längst gemahnt, meine physische Gesundheit 
OO
nicht ganz außer acht zu laßen, die durch eine al‐ 
OO
len Nahestehenden bekannte, beispiellose Ar‐ 
OO
 
beitsüberbürdung und stete Sorge um Andere 
OO
seit Jahren um ihre primitivsten Rechte kam, muß 
OO
ich auch die äußeren Bedingungen zu erhalten 
OO
suchen um alle Kraft 
auf das Werk konzentrieren zu 
OO
können, das mir zu vollbringen geboten ist und 
OO
das wahrlich 
den ganzen Menschen verlangt...
.Daß die Nötigung, einzelne Teile aus noch un‐ 
OO
vollendeten Schriften in den Vorabdruck hinzu‐ 
OO
geben, zur quälenden Störung der Arbeit an der 
OO
Endgestaltung einer Schrift werden kann, brau‐ 
OO
che ich wohl keinem Menschen zu sagen, der die 
OO
Bedingungen geistigen Schaffens auch nur von 
OO
ferne erahnt. ‒
.Manches ist mir so in den Jahren meiner 
OO
«Mitarbeit» an der Zeitschrift verlorengegangen, 
OO
was ich bis heute noch nicht wiederbringen 
OO
konnte. ‒ ‒
.Unmöglich aber wäre es mir, außer allem ande‐ 
OO
ren Tun das meine Kräfte braucht, noch beson‐ 
OO
dere Abhandlungen, nur für die «
Säule» be‐ 
OO
stimmt, zu formen, und wie ich oben dargelegt zu 
OO
haben glaube, ist es auch gewiß nicht mehr von‐ 
OO
nöten.
.Hier sollen nun Menschen sprechen, die in sich 
OO
erlebten, was meine Schriften sie erleben 
lehrten, 
OO
 
und die 
befähigt sind in Wortgestalt zu 
formen was 
OO
sie innerlich erfüllt.
.Alle Unfähigkeit zur Darstellung, ‒ 
alle Unzuläng‐ 
OO
lichkeit der Gestaltung aber möge diesen Blättern 
OO
fernebleiben, und jeder der an ihnen mitzuarbeiten 
OO
berufen ist, sei stets sich der 
Verantwortung bewußt, 
OO
die jeder übernimmt, der Anderen auf 
seine Weise 
OO
Hilfe bringen will, damit auch ihnen nach der 
OO
Weise 
ihrer Seele Licht und Wahrheit werde. ‒ ‒
 
HIER sollte der mir freundschaftlich naheste‐ 
OO
hende Herausgeber der «Säule» eigentlich 
OO
weghören, denn was ich sagen will, gilt zwar ihm 
OO
und seiner Arbeit, geht aber mehr seine Freunde 
OO
und vielleicht ‒ auch Feinde ‒ an, als ihn selbst.
.Was ich ihm selbst zu sagen hatte, ob es nun An‐ 
OO
erkennung war oder zuweilen auch ernste Kritik, 
OO
das hat er stets in 
direkter Aussprache erfahren, 
OO
und so wird er auch heute wieder von mir hören 
OO
wie ich's meine, ohne daß ich dazu des freundli‐ 
OO
chen Setzers Mithilfe in Anspruch nehmen 
OO
möchte.
.Ich will hier nur zu den Lesern dieser Zeit‐ 
OO
schrift sprechen, die mit dem vorliegenden Heft 
OO
ihren zehnten Jahrgang erfolgreich vollendet.
.Mit der 
Zeitschrift feiert zugleich ihr 
Verlag sein 
OO
zehnjähriges Bestehen.
.Was das in so schwerer Zeit heißen will, wissen 
OO
am besten die dem Buchhandel Nahestehenden, 
OO
 
die während dieser zehn Jahre so viele Verlage 
OO
und Zeitschriften entstehen, aber auch alsbald 
OO
wieder verschwinden sahen. ‒ ‒
.Es ist gewiß leicht, an der allgemeinen Berufs‐ 
OO
tätigkeit eines Verlegers, und noch leichter, an ei‐ 
OO
ner von ihm herausgegebenen Zeitschrift 
Kritik zu 
OO
üben, aber oft recht schwer, der trotz allem Anlaß 
OO
zur Kritik dennoch geleisteten 
positiven Arbeit ge‐ 
OO
recht zu werden.
.Auch ich konnte mich in Sachen der «Säule» ge‐ 
OO
wiß nicht immer einer wohlwollenden Kritik ent‐ 
OO
halten, ‒ auch mir erschien gewiß nicht jeder Bei‐ 
OO
trag, dem die Zeitschrift Raum gab, der Auf‐ 
OO
nahme würdig, und noch weniger konnte ich eine 
OO
allzu weitherzige Liberalität gutheißen, die in der 
OO
Aufnahme von Beilagen oder auch redaktionell 
OO
befürworteten Buchanzeigen zum Ausdruck 
OO
kam, und zu der sich der Verleger für beruflich 
OO
verpflichtet halten mochte.
.Ich muß aber nachdrücklichst dennoch beto‐ 
OO
nen, daß es recht verkehrt wäre, aus solchen sicht‐ 
OO
lichen Mißgriffen heraus voreilige Schlüsse zu zie‐ 
OO
hen und die geistige Einstellung des Herausge‐ 
OO
bers, der hier sein eigener Verleger ist, besorgt in 
OO
Frage zu stellen.
.Ich weiß, daß stets nur das Beste erstrebt 
OO
wurde, auch dann, wenn die Wohlmeinenden 
OO
 
schärfste Kritik üben zu müssen meinten und oft 
OO
auch mich auf ihrer Seite fanden.
.Nicht umsonst stehe ich bis auf d. heutigen Tag die‐ 
OO
ser Zeitschrift mit allem Vertrauen und mit den wärm‐ 
OO
sten Wünschen für ihr ferneres Gedeihen gegenüber!
.Nicht umsonst verbindet mich aufrichtigste Be‐ 
OO
freundung und Hochschätzung mit ihrem Her‐ 
OO
ausgeber und Verleger!
.Nur zu gut kenne ich die großen Schwierigkei‐ 
OO
ten, denen sein lauterer Wille sich in diesen zehn 
OO
Jahren immer wieder gegenüber sah, und ebenso 
OO
weiß ich, daß so manches, was andere zur Kritik 
OO
nötigte, auch von ihm nicht gebilligt wurde, 
OO
mochte er es auch, der Macht äußerer Verhält‐ 
OO
nisse gegenüber, nicht verhüten können.
.Es steckt eine immense Arbeit und ein ganz un‐ 
OO
gewöhnliches Maß freudiger Hingebung in die‐ 
OO
sen zehn Jahrgängen der Zeitschrift und der 
OO
gleichzeitigen Verlagsentwicklung, ganz abgese‐ 
OO
hen von dem tiefen Bewußtsein, durch das alles 
OO
mit den eigenen Kräften der Ausbreitung geisti‐ 
OO
gen Lichtes zu dienen!
.Die in solcher Weise betriebene Treue der ein‐ 
OO
mal gestellten Aufgabe gegenüber, verdient um so 
OO
mehr Anerkennung, weil es sich im wesentlichen 
OO
 
hier stets nur um ein Wirken aus idealer Intention 
OO
handelte, die bei allem, was sie erstrebte, das ma‐ 
OO
teriell Mögliche streng im Auge behalten mußte. 
OO
.Allzuwenig wird beachtet, daß es sich hier um 
OO
eine Zeitschrift handelt, die einer noch keines‐ 
OO
wegs konventionell ausgemünzten Form geistiger 
OO
Erkenntnisse Ausbreitung zu schaffen sucht, so 
OO
daß es überaus schwer hält, die wirklich geeigne‐ 
OO
ten und allen Einwänden überlegenen Mitarbei‐ 
OO
ter zu erlangen.
.Ebensowenig aber ist man sich auch der Tatsa‐ 
OO
che bewußt, daß der Bezugspreis einer Zeitschrift, 
OO
die sich nach Möglichkeit von artfremden Insera‐ 
OO
ten und Beilagen freihalten soll, kaum die Druck‐ 
OO
und Versandkosten deckt, so daß es der Beihilfe 
OO
vieler, die heute noch lässig, wenn auch wohlmei‐ 
OO
nend und kritikbereit zur Seite stehen, bedürfte, 
OO
um das an sich auch finanziell gesunde, gegebene 
OO
Fundament zu einem seiner Tragkraft entspre‐ 
OO
chenden Aus- und Aufbau zu nutzen. ‒
.Aus allen diesen Erwägungen heraus kann ich 
OO
meinem Glückwunsch zur Vollendung des zehn‐ 
OO
ten Jahrgangs dieser Zeitschrift nur die Form des 
OO
Appells an alle, die es angeht, geben, sich selbst 
OO
einmal zu überlegen, ob das, was da nun bereits 
OO
ein volles Jahrzehnt überdauerte, nicht doch da‐ 
OO
 
mit den Beweis seiner Notwendigkeit erbrachte, 
OO
und somit auch den Beweis einer Ausbaufähig‐ 
OO
keit, die sich nur dann in der Tat bewirken läßt, 
OO
wenn gleichstrebende Beihilfe sich dem Heraus‐ 
OO
geber und Verleger freudig zu verbinden gewillt 
OO
ist. ‒
.Geschieht, was Einsicht und Weitblick hier mit 
OO
einigem Einsatz der im irdischen Getriebe auch 
OO
dem Geistigen nötigen Mittel bewirken können, 
OO
so bin ich ganz außer Sorge über die Frage maß‐ 
OO
geblicher Mitarbeiterschaft, die der «Säule» jenes 
OO
Niveau sichern wird, das die näheren Freunde 
OO
der Zeitschrift von ihr mit Fug und Recht erwar‐ 
OO
ten.
.Dann dürfte nach der Vollendung eines weite‐ 
OO
ren Jahrzehnts wohl kaum noch die Frage erho‐ 
OO
ben werden können, ob solcher Ausbau vonnöten 
OO
war und ob sich der hierfür bereitgestellte Einsatz 
OO
lohnte. ‒
.Der Begründer und Herausgeber dieser Zeit‐ 
OO
schrift wird stets das Verdienst für sich in An‐ 
OO
spruch nehmen können, ihre Fundamente so tief 
OO
verankert zu haben, daß sie auch den hochra‐ 
OO
gendsten Aufbau zu tragen imstande sein wür‐ 
OO
den. 
OO
 
ES sind mir zu meinem fünfzigsten Geburtstag 
OO
fast unzählige Glückwunschbriefe und Tele‐ 
OO
gramme ins Haus geflogen, so daß meine anfäng‐ 
OO
liche Absicht, jedem einzelnen Gratulanten per‐ 
OO
sönlich zu danken, sich leider als 
unausführbar er‐ 
OO
weist, und ich mich in der Zwangslage sehe, we‐ 
OO
nigstens von den Lesern dieser Zeitschrift die Er‐ 
OO
leichterung erbitten zu müssen, daß sie mir gütig 
OO
erlauben, ihnen auf 
diese Weise von Herzen Dank 
OO
zu sagen. ‒
.Wenn auch der so überreich gefeierte, mit Blu‐ 
OO
mengrüßen und Geschenken bedachte Tag für 
OO
mich nur insofern von besonderer Bedeutung 
OO
war, als noch vor kurzer Zeit nicht allzusicher 
OO
stand, daß ich ihn in dieser Sichtbarkeit erleben 
OO
würde, so waren mir doch diese unerwartet zahl‐ 
OO
reichen Zeichen der Liebe und Verehrung, die 
OO
mir aus aller Welt zugesandt wurden, Anlaß ge‐ 
OO
rührter Freude und Dankbarkeit genug, um ihn 
OO
in frohem Festempfinden und mit heißen Segens‐ 
OO
 
wünschen für Alle, die mich liebend zu ehren 
OO
suchten, als rechten «Feiertag» zu begehen. ‒ ‒
.Freilich nehme ich die mir entgegengebrachte 
OO
Liebe und Ehrung auch gewiß nicht 
für mich per‐ 
OO
sönlich in Anspruch, sondern sehe in dem allen 
OO
nur die freudige Dankbarkeit der Seelen, die an 
OO
Hand der durch meine Bücher der Welt wieder‐ 
OO
geschenkten Lehren, beglückt zu sich selber fan‐ 
OO
den, und in sich selbst zu ihrem 
lebendigen Gott.
.Daß ich noch weiterhin allen zum Lichte Stre‐ 
OO
benden auf den Weg helfen darf, ist für mich das 
OO
schönste Geschenk des Himmels, denn ich weiß 
OO
nur zu gut, welche Aufgaben noch darauf warten, 
OO
von mir getan zu werden...
.In Zeiten hoher religiöser Kultur ist es verhält‐ 
OO
nismäßig ein Leichtes, den Weg zum Lichte zu zei‐ 
OO
gen, da im Vorstellungsleben Aller die grundle‐ 
OO
genden Voraussetzungen gegeben sind, die zu‐ 
OO
nächst einmal da sein müssen, soll einige Hoff‐ 
OO
nung bestehen, daß es gelinge, die Augen der 
OO
ernstlich Suchenden zu öffnen.
.Heute aber gilt es vor allem, erst einmal diese 
OO
Voraussetzungen 
wieder zu schaffen, und der Weg, 
OO
der gezeigt werden soll, ist überdies derart von 
OO
dürrem und grünem Gestrüpp überwuchert, daß 
OO
es vonnöten ist, ihn erst wieder zu 
bahnen und al‐ 
OO
 
lenthalben neue Wegmarken zu setzen, damit der 
OO
Suchende vor den verderblichsten Irrgängen be‐ 
OO
wahrt werde. ‒
.So sehe ich denn bis heute 
noch kaum das Allernö‐ 
OO
tigste getan, wenn meine Lebensaufgabe wirklich 
OO
erfüllt werden soll, und mehr denn je bin ich mir 
OO
heute der Tatsache bewußt, daß mein Wirken 
OO
durchaus nicht außerhalb der Gesetze steht, die 
OO
jegliches menschliche Schaffen bestimmen, so 
OO
daß auch in meinem Verkündungswerke ohne 
OO
Zweifel die Linie einer allmählichen Entfaltung 
OO
einst feststellbar sein wird, sei es auch nur im Hin‐ 
OO
blick auf die Fähigkeit, das oft fast Unsagbare in 
OO
Worten menschlicher Sprache zum Ausdruck zu 
OO
bringen...
.Aus innerster Gewißheit kann ich sagen, daß 
OO
ich wohl auch nach weiteren fünfzig Jahren, wenn 
OO
solches im Bereich der mir bestimmten irdischen 
OO
Lebensbahn gegeben wäre, mich noch in gleicher 
OO
Weise erst am Beginn meines Wirkens fühlen 
OO
würde, denn keine Kunst der Sprache ist jemals 
OO
vollendet genug, um dessen wahrhaft würdig zu 
OO
werden, was ich meinen Mitmenschen hier auf 
OO
Erden zu Bewußtsein bringen soll! ‒ ‒
.In solcher Erkenntnis weiterwirkend, danke 
OO
ich allen, die den «Weg» betreten haben, daß sie 
OO
 
nicht Anstoß nahmen an dem, was etwa Mangel 
OO
menschlichen Ausdrucksvermögens nicht zu faß‐ 
OO
lichster Verständlichkeit kommen ließ, und sich 
OO
an das 
unmißdeutbar Gegebene hielten, das in ih‐ 
OO
rem eigenen Herzen Widerhall fand, um so zur 
OO
Gewißheit auch dessen zu gelangen, was meine 
OO
Worte noch im Dunkel lassen mußten! ‒
.Möge es mir beschieden sein, den Pfad immer 
OO
mehr erhellen zu dürfen, zum Besten derer, die 
OO
ihn bereits betreten haben, wie nicht minder aller 
OO
jener, die ihn, durch meine Worte bewegt, zu‐ 
OO
künftig in sich suchen wollen! ‒
.Die frohe Hoffnung, für Gegenwart und alle 
OO
Zukunft Weg und Ziel stets lichter und klarer be‐ 
OO
zeichnen zu können, und damit die Zahl der Men‐ 
OO
schen zu vermehren, die schon hier auf Erden 
OO
zum untrüglichen Bewußtsein ihres 
ewigen Le‐ 
OO
bens gelangen, läßt mir vor allem anderen mein 
OO
weiteres Erdendasein, dem es an Mühe, Arbeit 
OO
und Sorge wahrlich noch niemals fehlte, als aller 
OO
mir so liebevoll zugedachten Wünsche wert er‐ 
OO
scheinen! ‒ ‒
Im Dezember, 1926
 
ES ist gewiß nicht die Schuld der Schriftleitung 
OO
dieser Zeitschrift*, wenn meine Worte des 
OO
Dankes erst so spät all jenen Lesern vermittelt 
OO
werden, die mir bei Gelegenheit meines fünfzig‐ 
OO
sten Geburtstages liebe Grüße und Glückwünsche 
OO
sandten.
.Äußere Umstände verschiedener Art ließen 
OO
mich nicht eher dazu kommen, das hier Gesagte 
OO
niederzuschreiben, und diese Verzögerung war 
OO
mitbedingt durch meine anfängliche Absicht, den 
OO
einzelnen Gratulanten, wenn irgend möglich, 
OO
brieflich zu danken oder danken zu lassen.
.Leider wurde das zu einem Ding der Unmög‐ 
OO
lichkeit.
.So hoffe ich denn, daß mein verspäteter Dank 
OO
wohl doch auch jetzt noch entgegengenommen 
OO
werden mag, und daß man es mir nicht verübelt, 
OO
*«Magnum Opus», Freiburg i.Br.
 
wenn ich ihn nur auf diese Weise zum Ausdruck 
OO
bringen kann.
.Wenn ich auch selbst sehr wenig Wert auf die 
OO
Wiederkehr der Daten des Kalenders lege, so war 
OO
es mir doch wahrhaft wohltuend und beglückend, 
OO
von so vielen zum Lichte Strebenden aus aller 
OO
Welt die rührendsten Zeichen der Verehrung 
OO
und Liebe zu empfangen.
.Ich bin dabei sehr weit davon entfernt, diese 
OO
Bekundungen der Dankbarkeit etwa auf mich 
OO
persönlich zu beziehen, und es wurde mir vielmehr 
OO
Anlaß besonderer Vertiefung meiner Freude, al‐ 
OO
les, was man mir zu sagen kam, geistig an der 
OO
Quelle niederlegen zu können, aus der die Lehre 
OO
entströmt, der ich den Weg zu den Herzen zu be‐ 
OO
reiten suche...
.Aus den allermeisten Zuschriften war denn 
OO
auch wirklich bereits zu ersehen, daß die mich Be‐ 
OO
grüßenden im Innersten erfühlt oder erahnt ha‐ 
OO
ben, um was es sich in meinem Wirken handelt 
OO
und allein handeln kann, und wenn andere auch 
OO
noch erkennen ließen, daß ihnen noch nicht recht 
OO
zu Bewußtsein kam, wie weit entfernt die Offen‐ 
OO
barung des Urlichtes, die 
allein ich der Welt zu 
OO
vermitteln habe, aller spekulativ erdachten Er‐ 
OO
denweisheit ist ‒ wenn auch einige gar mir dan‐ 
OO
 
ken zu müssen glaubten für meine «tiefschürfen‐ 
OO
den Gedanken» oder meine «lebensbejahende 
OO
Philosophie», so war doch auch das herzlich gut 
OO
gemeint, und ich zweifle kaum daran, daß auch 
OO
diesen noch mehr 
außen Stehenden im Verlaufe 
OO
der Zeit ein tieferes Eindringen möglich werden 
OO
wird, wie es die Erkenntnis der ewig unwandelba‐ 
OO
ren Wahrheit nun einmal fordert.
.Wenn man mir Gutes wünscht für mein weite‐ 
OO
res äußeres Erdendasein, so sehe ich das mir wün‐ 
OO
schenswerteste Gute vor allem darin, daß es die 
OO
hohen Geistesmächte, denen ich alles danke, also 
OO
lenken möchten, daß auch jene Suchenden, die 
OO
jetzt noch fernab stehen und im Dunkeln tasten, 
OO
dereinst zu glückbewegten Findern werden.
.Der Weg zum Lichte ist wahrlich durch meine 
OO
Lehre schon aufs deutlichste 
gezeigt und all mein 
OO
Wirken kann jetzt nur noch dazu dienen, ihn im‐ 
OO
mer aufs neue auch denen zu zeigen, die noch in 
OO
der Wildnis irren, oder ihn zu finden meinen, wo 
OO
er nicht zu finden ist.
.Wohl weiß ich, was noch vor mir liegt, wenn ich 
OO
im Laufe der Jahre allem noch Ausdruck schaffen 
OO
soll, was denen helfen kann, die redlichen Her‐ 
OO
zens nach dem Licht der Ewigkeit verlangen ‒ 
OO
wenn ich alle erreichen will, die noch befangen 
OO
sind im Wahn: als handle es sich hier um etwas, 
OO
 
das der Strebende erlangen könne, wenn er sich 
OO
im 
Denken dazu aufzuschwingen wisse...
.Nur die wenigsten ahnen allbereits, daß die Be‐ 
OO
friedigung, die uns gedankliches Erschließen 
OO
bringen kann, zwar recht erfreulich sein mag, 
OO
aber keineswegs auch nur das mindeste uns nützt, 
OO
wenn dieser Erdenleib dereinst verlassen werden 
OO
muß. ‒ ‒ ‒
.So rede ich denn vielen noch wie in einer ihnen 
OO
fremden Sprache, weil sie gewohnheitsmäßig 
OO
meine Worte 
bildlich nehmen, dort wo ich vom 
OO
Geiste als von jener höchsten Wirklichkeit zu 
OO
sprechen habe, die 
allem Denken 
unvergleichbar ist. 
OO
.Von Schein und Scheinweisheit geblendete Au‐ 
OO
gen gilt es vor allem erst zu 
heilen, und leider weiß 
OO
ich, daß Jahrtausende vergehen werden, ehe wie‐ 
OO
der einer kommen wird, der hier Arzt sein kann, 
OO
wenn es auch niemals an Quacksalbern und un‐ 
OO
berufenen, eigenmächtigen Kurpfuschern fehlen 
OO
wird, und ebensowenig an solchen Menschen, die 
OO
das Heil stets 
nur dort erwarten, wo es 
niemals zu er‐ 
OO
langen ist. ‒
.So danke ich denn allen, die mir segensreiches 
OO
weiteres Wirken wünschten, insonderheit auch 
OO
im Namen derer, denen mein Wirken noch gar 
OO
sehr vonnöten ist! ‒
Im Januar 1927
 
DIE in den Ländern des Sonnenaufgangs gel‐ 
OO
tende Gepflogenheit, am Geburtstag eines 
OO
Menschen lediglich 
seiner Mutter zu gedenken, da 
OO
er ja bei dem Ereignis seiner Geburt nur 
passiv be‐ 
OO
teiligt war, entspricht durchaus meinem eigenen 
OO
Empfinden, so daß ich nach allen in Betracht 
OO
kommenden Seiten hin eindringlich den Wunsch 
OO
geäußert hatte, man möge von der platten Tatsa‐ 
OO
che, daß sich zum sechzigsten Male die jährliche 
OO
Wiederkehr des Datums meines Eintretens in die‐ 
OO
ses Erdendasein ereigne, keinerlei Notiz nehmen. 
OO
.Nun ist jedoch trotzdem an diesem Tage eine 
OO
derartige Menge von Gratulationen bei mir ein‐ 
OO
gelaufen, daß ich mich vor die Frage gestellt sehe, 
OO
ob meine Auffassung nicht, etwas zu einseitig, von 
OO
anderen eine Zurückhaltung erwartet habe, wo 
OO
mit Freuden die Gelegenheit erwünscht worden 
OO
war, einem vielfach empfundenen seelischen 
OO
Drängen Ausdruck geben zu dürfen.
.Ich mag auch nicht verschweigen, daß ich mich 
OO
nun dennoch mit jeder, auch der bescheidensten 
OO
 
Gratulation gefreut habe, wenn ich auch nur den 
OO
allergeringsten Teil von dem mir Zugedachten 
OO
am gemeinten Tage selbst einzusehen vermochte. 
OO
.Was mich aber jetzt, nachdem ich endlich alles 
OO
gelesen habe, am allermeisten freut, ist die in so 
OO
vielen kurzen und längeren Briefen zu findende, 
OO
fast wörtliche Wiederkehr des Satzes: «
Was wäre 
OO
aus mir geworden, 
hätte mir e. unsichtbare Führung 
OO
nicht vor Jahren Ihre Bücher zugeleitet, 
die mir nun si‐ 
OO
chere Wegweiser auch in allen Angelegenheiten d. äus‐ 
OO
seren Alltagslebens geworden sind, 
so daß ich sie nie 
OO
mehr missen möchte!»
.Ich muß unumwunden sagen, daß mir diese, 
OO
nur auf die Werte praktischer irdischer Lebens‐ 
OO
gestaltung bezogenen Dankesbekenntnisse fast 
OO
noch mehr Freude bereitet haben, als die vielen, 
OO
mir gewiß überaus erfreulichen Beweise der seeli‐ 
OO
schen Einfühlung in die von mir so vielgestaltig 
OO
dargebotenen Schilderungen der inneren Struk‐ 
OO
tur des ewigen Geisteslebens, das unser aller Da‐ 
OO
seinsgrund ist, denn die vom Innersten der Seele 
OO
her gesicherte Aufnahme ewig unwandelbarer 
OO
Geisteswirklichkeit sollte ja jedem meiner Mit‐ 
OO
menschen, der über ein gesundes Empfindungs‐ 
OO
vermögen und klares Denken verfügt, ganz 
OO
selbstverständliches Ergebnis der Beschäftigung 
OO
mit meinem nun abgeschlossenen Lehrwerk sein, 
OO
 
während das Hereinwirken ins praktische, durch 
OO
so mancherlei äußere Umstände gemeinsam be‐ 
OO
stimmte Alltagsleben mit seinen notwendigen An‐ 
OO
forderungen, schon «die Probe aufs Exempel» 
OO
darstellt.
.Aber 
alle Gratulanten ‒ ohne jegliche Aus‐ 
OO
nahme ‒ soweit sie durch diese Zeitschrift erreich‐ 
OO
bar sind, dürfen gewiß sein, daß sie mir mit ihrem 
OO
Gedenken Freude bereitet haben. Allen sei hier‐ 
OO
mit von Herzen gedankt!
.Mit allen 
Segenswünschen für jeden der überaus 
OO
Vielen, denen ich auf keine andere Weise im ein‐ 
OO
zelnen antworten kann.
Im November 1936
 
DIE Menschen, denen ich das Leben danke, 
OO
waren einfache Leute, aber beider Familien 
OO
standen in ihrem Kreise in hohem Ansehen, das 
OO
durch Besitz, Tüchtigkeit und persönliche 
OO
Würde, mehr aber noch durch Rechtlichkeit und 
OO
Wohltätigkeit begründet war.
.Frömmigkeit, in den Formen der Kirche Roms, 
OO
war erblich.
.Mein Vater, ein strenger Mann, dem alles 
OO
Menschliche Sünde war, ist niemals lachend gese‐ 
OO
hen worden.
.Meine Mutter, eine tiefreligiöse Frau, voll ech‐ 
OO
ter Mystik, lebte in ständiger Gemeinschaft mit 
OO
den heiligen Wesen, die sie nach katholischer 
OO
Lehre verehrte, und ihre Andacht war mehr ein 
OO
Schauen als bloßer Glaube.
.Ich war etwa 7 Jahre und einige Tage alt, als zum 
OO
erstenmal ein Bote jener Gemeinschaft, deren 
OO
Bruder ich heute bin, sichtbar in mein Leben trat. ‒ 
OO
 
.An einem strahlend schönen Sonntag-Morgen 
OO
lag ich, erfrischt durch einen gesunden Kinder‐ 
OO
schlaf, bereits völlig erwacht in meinem kleinen 
OO
Bette.
.Die Sonne schien durch das geöffnete Fenster 
OO
und erfüllte den ganzen Raum mit Licht.
.Die Mutter war zur «Frühmesse» gegangen, 
OO
während wohl der Vater, wie es seine Gewohnheit 
OO
auch später war, in dem alten Predigtbuch, dem 
OO
Geschenk eines verstorbenen geistlichen Freun‐ 
OO
des, die auf den Sonntag gerade bezügliche Pre‐ 
OO
digt las.
.Ich hatte nur die Mutter gesehen, bevor sie zur 
OO
Kirche ging.
.Während ich nun so lag, in froher Erwartung 
OO
der Rückkehr der Mutter, ‒ plötzlich, ohne daß 
OO
eine Türe sich geöffnet hätte, stand zu Füßen mei‐ 
OO
nes Bettes ein alter Mann im Sonnenschein, ange‐ 
OO
tan mit seltsamen und mir recht ärmlich erschei‐ 
OO
nenden dicken Wintergewändern. (Heute weiß 
OO
ich, daß es die im Innern Hochasiens übliche 
OO
Wintertracht war).
.Ich sah sein braunes durchfurchtes Gesicht und 
OO
glaubte zuerst, es sei ein alter Bettler, der öfter ins 
OO
Haus kam um ein Essen zu erhalten.
 
.Erschreckt schrie ich auf.
.Der Vater, seit Jahren sehr schwerhörig, 
OO
konnte mich nicht vernehmen. Die Gestalt jedoch 
OO
kehrte sich nicht an meinen Angstschrei und der 
OO
Gesichtsausdruck des alten Mannes hatte etwas so 
OO
unbeschreiblich Gütiges, daß ich sogleich darauf 
OO
mich völlig sicher fühlte.
.Ich «wußte», daß er irgend etwas Gutes für 
OO
mich hier zu tun habe, ohne mir Rechenschaft zu 
OO
geben darüber, 
was das wohl wäre. ‒
.Mit einem Gefühl der Neugierde und des Ver‐ 
OO
trauens zugleich betrachtete ich bald das faltige, 
OO
und so unendlich gütige Gesicht, bald den seltsa‐ 
OO
men Mantel, der mir besonders merkwürdig war, 
OO
weil die Ärmel viel zu lang und weit über die 
OO
Hände herabreichten. Bilder, auf denen so etwas 
OO
dargestellt gewesen wäre, hatte ich niemals gese‐ 
OO
hen.
.Da hob er langsam und bedächtig den Arm, 
OO
streifte den überlangen Ärmel zurück, und kam 
OO
zur Seite meines Bettes.
.Ich war so unerklärlich vertrauensvoll, daß ich 
OO
es diesmal, ohne zu schreien und ganz von Angst 
OO
befreit, geschehen ließ, daß er mit der rechten 
OO
Hand, einer Hand mit vornehmen feinen Fin‐ 
OO
 
gern, langsam über meine Decke strich. Dabei 
OO
verweilte er Augenblicke über meinen Füßen, 
OO
über den Knien, dann über dem Herzen und zu‐ 
OO
letzt legte er die feine zarte Hand auf meine 
OO
Stirne.
.Dabei schlief ich ein. ‒ ‒
.Ich erwachte erst, als längst die Mutter von der 
OO
Kirche zurückgekommen war.
.«Wo ist der Mann? ‒ Wer war denn der Mann? ‒ 
OO
Er muß ja noch hier sein. ‒ Du weißt gewiß wer er 
OO
ist.» ‒
.So bestürmte ich meine Mutter mit Fragen, die 
OO
sie ängstlich bestürzt anhörte.
.Nachdem auch der Vater meine Worte gehört 
OO
hatte, wurde zu meinem größten Leidwesen ent‐ 
OO
schieden, ich dürfe heute nicht mit zum Hoch‐ 
OO
Amt, sondern müsse mich ausschlafen.
.Nach dem Frühstück wurde das Zimmer ver‐ 
OO
dunkelt, alles Protestieren half nichts, und ich 
OO
mußte «schlafen».
.Ich schlief aber nicht. ‒
.Stets suchten meine Augen den alten Mann, je‐ 
OO
doch er kam nicht wieder.
 
.Dabei hatte ich eine brennende Sehnsucht nach 
OO
ihm und versprach mir hoch und heilig, daß ich, 
OO
wenn er wiederkäme, gewiß nicht mehr schreien 
OO
würde. Er kam nicht, aber alles im Zimmer schien 
OO
mir lebendig geworden.
.Ich fühlte mich, wie wenn eine ganze Gesell‐ 
OO
schaft guter Leute um mich wäre. Dabei war mir 
OO
leicht und so froh zumute, daß ich schließlich die 
OO
Betthaft nicht mehr aushielt und unversehens, 
OO
gewaschen und angezogen, neben der Mutter in 
OO
der Küche stand. Sie mochte wohl sehen, daß mir 
OO
nichts fehlte und so wurde mir erlaubt, hinab zum 
OO
Garten zu gehen, wo ich noch den ganzen Mor‐ 
OO
gen hinter jedem Busch und wo es nur ein Ver‐ 
OO
steck gab, nach dem alten Manne suchte.
.Alle Gärtnerburschen wurden befragt nach ihm 
OO
und kein Auslachen konnte mich irre machen.
.Ich wurde älter.
.Das religiöse Leben, in der Art wie meine Mut‐ 
OO
ter es pflegte und es mir nahelegte, übte große 
OO
Anziehungskraft auf mich aus.
.Im übrigen war ich ein völlig normaler Junge, 
OO
mit allen guten und üblen Eigenschaften.
 
.Tollkühn und waghalsig trieb ich mich viel im 
OO
Freien, im Wald und Feld herum, und lebte des 
OO
Glaubens, daß mir nie etwas geschehen könne. 
OO
Kein Baum war zu hoch, kein Abhang zu steil zum 
OO
Erklettern, kein Mensch und kein Tier wurde ge‐ 
OO
fürchtet. Im religiösen Leben aber war der ganze 
OO
Junge ein Anderer.
.Alle die Worte der Liturgie, alle Symbole des 
OO
Ritus wurden von mir mit einer tiefen klaren Be‐ 
OO
deutung erfüllt und es wurden mir in dieser 
OO
Weise Dinge klar, über die ich gelegentlich von 
OO
Erwachsenen als von «unerklärlichen Rätseln» 
OO
sprechen hörte.
.Ich fürchtete mich, etwas von dem zu verraten, 
OO
was ich «wußte», denn es war so ganz anders als 
OO
die Erklärungen der Predigt, oder die des Kate‐ 
OO
chismus. Nicht im geringsten aber konnten mich 
OO
diese anderen Meinungen irre machen an dem, 
OO
was ich auf diese innere klare Weise schaute. So 
OO
ging es lange Jahre, bis im halbwegs Erwachsenen 
OO
die äußeren Zweifel an Kirche und kirchliche 
OO
Lehre erwachten.
.Da fielen wohl manche Formen, aber für jede 
OO
«Form» war schon ein tieferer «Inhalt» in mir le‐ 
OO
bendig. Der «alte Mann» war fast vergessen, je‐ 
OO
doch an seiner Stelle stand etwas, das immer, 
OO
 
selbst in den tollsten Stunden, um mich war und 
OO
das mich nur deshalb an ihn denken ließ, weil es 
OO
mit demselben Gefühl der Zuversicht auf meine 
OO
Seele wirkte, wie dieser seltsame Alte mit seinem 
OO
wohltätigen Streichen der Hand, mit seinem so 
OO
unendlich gütigen Ausdruck. ‒
.Mir war oft ein innerlicher Zuspruch gewor‐ 
OO
den, zu Zeiten, in denen ich gerade am wenigsten 
OO
dessen würdig schien, und jedesmal hatte ich stär‐ 
OO
ker als sonst das Gefühl des Zusammenhanges mit 
OO
jenem alten Mann, und ich war in solchen Mo‐ 
OO
menten fester überzeugt als je, daß ich ihn wie‐ 
OO
dersehen würde. ‒
.Mittlerweile hatte ich mich einem Lebensberuf 
OO
gewidmet. In dieser Zeit kam ich mit Spiritisten in 
OO
Berührung, und deren Sache erschien mir mehr 
OO
als nur interessant.
.Ich hatte Gelegenheit, unter den denkbar si‐ 
OO
chersten Bedingungen, die unglaublichsten Phä‐ 
OO
nomene zu sehen, aber meine geheime Hoff‐ 
OO
nung, gelegentlich auf diese Art jenes Alten wie‐ 
OO
der ansichtig zu werden, wurde nicht erfüllt. Ich 
OO
fühlte im Gegenteil eine immer mehr sich aus‐ 
OO
breitende Kälte und Leere in mir, je mehr ich 
OO
mich an den «Sitzungen» beteiligt hatte. Der in‐ 
OO
nere Zuspruch, an den ich fast gewohnt war, hatte 
OO
 
nach und nach gänzlich aufgehört, und dennoch 
OO
verließ mich nicht jenes unerklärliche Gefühl, in 
OO
Sicherheit und guter Hut zu sein.
.An einem Weihnachtsfest endlich vernahm ich 
OO
wieder das Gewohnte, und diesmal war es eine so 
OO
starke Warnung vor den Experimenten, denen 
OO
ich als Zuschauer beigewohnt hatte, daß ich, zum 
OO
Erstaunen der früheren Freunde, plötzlich die 
OO
Beziehungen zu jenen Spiritisten abbrach.
.Ich empfand ein Grauen vor dieser Sache, als 
OO
ob ich verwesende Leichname liebkost hätte, und 
OO
nichts in der Welt hätte mich je wieder zu den Sit‐ 
OO
zungen bewegen können.
.Immerhin waren mir in dieser Zeit einige Be‐ 
OO
griffe klarer geworden, zu denen mir «Thomas a 
OO
Kempis», mein einziges mystisches Lehrbuch, 
OO
noch nicht die nötige Aufklärung gab.
.(Daß das römisch-katholische Meßbuch das 
OO
vollkommenste Einweihungs-Rituale der Welt 
OO
darstellt, wußte ich damals noch nicht, trotzdem 
OO
ich an seiner Hand in die tiefsten Mysterien nach 
OO
und nach geistig eingeführt wurde. ‒
.Wie oft mußte ich später an jenes Wort Jesu 
OO
denken: «Ihr habt die Schlüssel des Himmel‐ 
OO
reichs, aber Ihr gehet nicht hinein, und denen, 
OO
die hineinwollen, wehret ihr!») ‒
 
.So vergingen weitere Jahre, bis ich eines Tages 
OO
unter Umständen, die auch einem mehr myste‐ 
OO
riös veranlagten Gemüt, als mir, genügend «my‐ 
OO
stisch» erschienen wären, aufs neue mit jenem 
OO
alten Manne meiner Kinderzeit Bekanntschaft 
OO
machte. Diesmal auf eine wesentlich andere 
OO
Art. ‒ ‒
.Briefe, die ich in jener Zeit an eine liebe Seele 
OO
richtete, erfüllten die Leser mit unsagbarer Angst, 
OO
und nur die nüchterne Erwägung, daß dieser 
OO
«Wahnsinn» denn doch 
zu viel «Methode» habe, 
OO
verscheuchten den aufkeimenden Glauben, es 
OO
könne sich um eine geistige Erkrankung handeln. 
OO
.Wenig später wurden meine Beziehungen zu 
OO
dem «alten Mann», oder meinem Guru, denn das 
OO
war er, wie der etwas erfahrenere Leser leicht 
OO
längst raten konnte, völlig regelmäßig.
.Die letzte Spirale der Chelaschaft hatte begon‐ 
OO
nen. ‒
.Im ägäischen Meer, auf einer weltabgeschiede‐ 
OO
nen Insel, sollte sie ihr Ziel erreichen. ‒ ‒ ‒ ‒ 
OO
 
FAST hört es sich heute wie ein Märchen an, 
OO
daß die großen Hotels des Berner Oberlan‐ 
OO
des vor dem Kriege bis zu sechzig Prozent Deut‐ 
OO
sche unter ihren Besuchern zählten. Jetzt beher‐ 
OO
bergen sie der Mehrzahl nach Amerikaner und 
OO
Holländer; aber der Verdienstausfall, der ihnen 
OO
durch das Fehlen des deutschen Reisepublikums 
OO
erwächst, bleibt sehr empfindlich und ist so leicht 
OO
nicht auszugleichen. Vielleicht nirgends in der 
OO
Welt ersehnt man so sehr das Steigen der deut‐ 
OO
schen Valuta. Jeder vereinzelt auftauchende 
OO
deutsche Besucher wird als Vorbote einer wieder‐ 
OO
kehrenden besseren Zeit begrüßt.
.Aber ganz abgesehen von den hier berührten 
OO
Interessen der Schweizer Hotelbesitzer ist es auch 
OO
vom allgemeinen deutschen Standpunkt tief be‐ 
OO
dauerlich, daß die geistigen Bande zwischen 
OO
Deutschland und der Schweiz durch die Ungunst 
OO
der Zeitumstände und die daraus für den Deut‐ 
OO
schen sich ergebende Unmöglichkeit, die Schweiz 
OO
als Reiseziel zu wählen, so sehr gelockert werden. 
OO
 
.Zwar ist entschieden die Beliebtheit des deut‐ 
OO
schen Reisenden gerade durch seine Seltenheit 
OO
außerordentlich gewachsen, während anderer‐ 
OO
seits mancher Schweizer, der früher im eigenen 
OO
Lande geblieben wäre, durch die für ihn so gün‐ 
OO
stigen Geldverhältnisse angelockt, heute nach 
OO
Deutschland fährt und meist weit bessere Ein‐ 
OO
drücke mit nach Hause nimmt, als er vorher er‐ 
OO
wartet hatte. Alles das aber kann nicht die stete 
OO
nahe Berührung ersetzen, die durch den frühe‐ 
OO
ren deutschen Reiseverkehr in der Schweiz gege‐ 
OO
ben war.
.Und wieviel leuchtende Erinnerung lebt in un‐ 
OO
seren Herzen auf, wenn die Namen der majestäti‐ 
OO
schen Alpengipfel der Schweiz, der Paßüber‐ 
OO
gänge und traulichen Täler im Gedächtnis vor‐ 
OO
überziehen!
.Wie manchen deutschen Naturfreund mag zur 
OO
Sommerzeit die Sehnsucht packen, liebgewor‐ 
OO
dene Stätten wieder aufzusuchen; aber wenn 
OO
nicht Wunder und Zeichen geschehen, dann wer‐ 
OO
den die Schweizer Grenzen für die allermeisten 
OO
Menschen in deutschen Landen noch recht lange 
OO
Leidensjahre hindurch eine unübersteigbare chi‐ 
OO
nesische Mauer bilden, die nur im Rückerinnern 
OO
an schönere Zeiten zu überfliegen ist.
 
.So werde sie auch hier nun in einem kleinen Er‐ 
OO
innerungsbezirk einmal überflogen! Ich bin ge‐ 
OO
wiß, daß mich mancher Leser, der die Orte und 
OO
Namen kennt, von denen hier die Rede ist, gerne 
OO
begleiten wird. ‒ ‒
.Nachdem wir wochenlang die Häupter der 
OO
Schneeriesen des 
Berner Oberlandes nur vor klar‐ 
OO
blauem Himmel gesehen hatten, war offenbar der 
OO
Wetterumschlag gekommen; denn immer mehr 
OO
ballten sich schwere Wolkenmassen in stein‐ 
OO
grauen Klumpen um die Berge, verdeckten bald 
OO
dieses, bald jenes Eishaupt der höchsten Gipfel, 
OO
bis sie auch die 
Jungfrau selbst, die noch vor einer 
OO
Stunde in all ihrer Majestät sich dem stets aufs 
OO
neue überwältigenden Blicke dargeboten hatte, 
OO
dichter und dichter umhüllten.
.Besorgt standen wir auf der breiten Terrassen‐ 
OO
bastion des Regina-Hotels in Wengen und ver‐ 
OO
suchten immer wieder, irgendein Anzeichen zu 
OO
entdecken, das doch auf besseres Wetter schlies‐ 
OO
sen lassen könnte; denn lange schon war es ge‐ 
OO
plant: ‒ morgen sollte es über die Stationen Ei‐ 
OO
gergletscher, Eigerwand und Eismeer hinauf zur 
OO
derzeit höchsten Station der Jungfraubahn ge‐ 
OO
hen, zum Jungfraujoch. Was hätten wir aber da‐ 
OO
 
von, in 3457 Meter Höhe zu sein, wenn man doch 
OO
droben nur im Nebel herumstapfen könnte?!
.«Sie werden morgen einen prächtigen Tag ha‐ 
OO
ben», ließ sich da der Besitzer des Hotels verneh‐ 
OO
men, der eben unserer besorgten Gruppe näher‐ 
OO
getreten war.
.Nun, das hörte sich fast an wie Hohn und 
OO
wurde auch zuerst fast als mitleidiger Spott von 
OO
uns aufgenommen, bis wir doch merkten, daß es 
OO
dem stets nur in liebenswürdig-persönlicher 
OO
Weise um seine Gäste besorgten Hotelier gar 
OO
nicht in den Sinn gekommen wäre, uns ein wenig 
OO
zu verspotten, daß er im Gegenteil: mitfühlte, was 
OO
in uns vorging, und uns ganz ernstlich Hoffnung 
OO
geben wollte.
.Nun bin ich schon grundsätzlich mißtrauisch 
OO
gegen jede Gutwetterprophezeiung in den Ber‐ 
OO
gen; aber wenn auch dieses Mißtrauen vielleicht 
OO
in vorliegendem Fall nicht ganz gerechtfertigt ge‐ 
OO
wesen wäre, so setzte ich dennoch allerlei Zweifel 
OO
in die Wetterkundigkeit unseres freundlichen 
OO
Trösters, denn er war jahrelang drunten am Nil 
OO
Direktor eines Hotels in Assuan, bevor er sein 
OO
Schweizer Hotel übernahm (eines der auch vom 
OO
künstlerischen Standpunkt her vorbildlichsten 
OO
großen Hotels, die ich kenne); und Leute, die so 
OO
 
lange unter dem ewig blauen Himmel des Südens 
OO
lebten, haben meist ihre Wetterinstinkte für un‐ 
OO
sere Breiten ziemlich verloren.
.Wie sehr aber hatte ich am anderen Morgen in 
OO
Gedanken Abbitte zu leisten, als ich schon beim 
OO
ersten Augenaufschlag ‒ ich hatte absichtlich am 
OO
Abend die Vorhänge nicht vorgezogen ‒ das 
OO
durch all die Wochen her gewohnte Bild wieder 
OO
erblickte: den leuchtend blauen, gleichsam strah‐ 
OO
lensprühenden Himmel, und davor das giganti‐ 
OO
sche Jungfraumassiv, Gipfel und Silberhorn eben 
OO
gerade von dem ersten Licht der Morgensonne 
OO
zart übergossen!
.Ja, er kannte halt doch seine Berge und ihr 
OO
Wetter besser als wir; und es war kein bloßer fa‐ 
OO
denscheiniger Trost gewesen, als er uns gestern 
OO
so selbstverständlich «gutes Wetter» verheißen 
OO
hatte!
.Es dauerte nicht lange, da trug uns die trotz frü‐ 
OO
her Morgenstunde schon mit Fahrgästen voll‐ 
OO
besetzte Wengernalpbahn hinauf zur kleinen 
OO
Scheidegg, dem Ausgangspunkt der 
Jungfrau‐ 
OO
bahn.
.Die Fahrt bis Scheidegg hinauf ist schon an sich 
OO
überaus lohnend durch die stetig wechselnden 
OO
Bilder, die man beim langsamen Emporklimmen 
OO
 
der elektrisch betriebenen Zahnradbahn fort und 
OO
fort zu beobachten Gelegenheit hat. Man genießt 
OO
dabei wie ein Fußgänger die allmähliche Erobe‐ 
OO
rung der Höhe, nur völlig unbehindert durch die 
OO
Mühe eigenen Ersteigens. Vom bequemen Sitz 
OO
aus blickt man hinunter ins Lauterbrunnental mit 
OO
seinem Staubbachfall, dann geht's durch Tannen‐ 
OO
wald immer höher hinauf zu Alpweiden, wo uns 
OO
Kuhglockengeläute melodisch umfängt und wo 
OO
«die guten großen Tiere» Segantinis nachdenk‐ 
OO
lich an der Bahnrampe dem seltsamen Ungetüm 
OO
nachsehen, das da raupenartig auf die Höhe 
OO
kriecht und in seinem Innern so viel Menschen 
OO
herauftragen kann, ohne Stöhnen und Pusten, 
OO
und vor allem ‒ ohne Rauch, so daß man im offe‐ 
OO
nen Aussichtswagen durch nichts gestört wird in 
OO
seinem Naturgenuß.
.Jetzt endlich ist, kurz vor Station Wengernalp ‒ 
OO
dem weltbekannten, herrlichen Ausflugsziel ‒ die 
OO
Höhe fürs erste erklommen; und nun bietet sich 
OO
dem Auge ein Bergpanorama aus nächster Nähe! 
OO
Nun läßt sich förmlich jedes Steinchen der Glet‐ 
OO
schermoränen schon greifen, und Jungfrau, 
OO
Mönch und Eiger liegen ausgebreitet in der gan‐ 
OO
zen Erhabenheit und Größe ihrer urweltlichen 
OO
Formen vor uns! Hier auch erblicken wir nun 
OO
hoch oben das Jungfraujoch, den großen Glet‐ 
OO
 
schersattel zwischen dem eigentlichen Jungfrau‐ 
OO
gipfel und dem Mönch. Aber wer würde ahnen, 
OO
daß man auf diese unglaubliche Höhe mit einer 
OO
Bahn hinaufkommen kann?! Wo sieht man auch 
OO
nur die leisesten Spuren ihres Daseins??
.Doch wir haben nicht gar lange Zeit zu solchen 
OO
Betrachtungen; denn kaum konnten wir auch 
OO
nur das grandiose Bild des gewaltigen Bergmas‐ 
OO
sivs so recht in uns aufnehmen, da sind wir auch 
OO
schon auf der kleinen Scheidegg angelangt, wo 
OO
die eleganten Salonwagen der Jungfraubahn be‐ 
OO
reitstehen, uns aufzunehmen.
.«Einsteigen nach Station Eigergletscher, Eis‐ 
OO
meer, Jungfraujoch!» ruft der sprachenkundige 
OO
«Interpret» des Platzes, der stets in liebenswür‐ 
OO
digster Weise bereit ist, den Fremden aus allen 
OO
Nationen, die hier heraufströmen, Auskunft auf 
OO
alle Fragen zu geben. Wie eigentümlich berührt 
OO
doch das Aussprechen dieser Namen hier als 
OO
«Bahnstationen»! Man muß sich erst an den Ge‐ 
OO
danken ordentlich gewöhnen, bevor es einem so 
OO
recht zu Bewußtsein kommt, daß man keinen Ju‐ 
OO
les-Verne-Traum träumt, sondern daß das reale 
OO
Wirklichkeit ist!
.Eben hilft er einer alten Dame, die am Arm ih‐ 
OO
rer Begleiterin langsam auf den Wagen zukam, 
OO
 
flink und behutsam beim Einsteigen, und ‒ in die‐ 
OO
sem Moment erst empfinden wir völlig die Größe 
OO
der Idee Guyer-Zellers, des geistigen Urhebers 
OO
und Erbauers der Jungfraubahn, empfinden, was 
OO
er allen denen geben wollte und mit aller Zähig‐ 
OO
keit seines unbeugsamen Willens schließlich er‐ 
OO
kämpfte, die wohl die unendliche Majestät der 
OO
Bergwelt ahnend empfinden konnten, aber nie‐ 
OO
mals imstande gewesen wären, die Höhen des 
OO
ewigen Eises selbst zu ersteigen...
.Während wir aber noch in derartigen Empfin‐ 
OO
dungen versunken, dem bedeutenden Tatmen‐ 
OO
schen, der diese Bahn erstehen ließ, unsern Dan‐ 
OO
kesgruß über sein Grab hin senden, hat sich fast 
OO
unmerklich unser kleiner elektrischer Zug in Be‐ 
OO
wegung gesetzt. Tief unter uns sehen wir schon 
OO
wieder die Wengernalpbahn, die uns heraufge‐ 
OO
tragen hatte, nach Grindelwald hinunterkrie‐ 
OO
chen; dann geht's bei uns durch einen kleinen 
OO
Vortunnel, und schon haben wir die Station Ei‐ 
OO
gergletscher erreicht.
.Von Wengen aus zu Fuß, oder von der kleinen 
OO
Scheidegg her, waren wir schon öfters hier, haben 
OO
den Gletscher bis weithinauf durchquert, sind in 
OO
seine phantastischen Spalten hinuntergestiegen 
OO
und ließen die Kinder auf dem Schneefeld beim 
OO
 
Gletscher in der Julihitze auf dem großen Hör‐ 
OO
nerschlitten rodeln.
.Auch die grünsmaragdene Eishöhle, die man, 
OO
da der Gletscher stets wandert, alljährlich aufs 
OO
neue in seine Flanken bohrt, haben wir natürlich 
OO
bewundert. Der Gletscher ist uns so schon richtig 
OO
lieb und vertraut geworden und hat unvergeß‐ 
OO
liche Erinnerungsbilder der Seele eingeprägt.
.Wie oft sahen wir auch schon die braunpolier‐ 
OO
ten, vornehmen Wagen der Jungfraubahn gleich 
OO
hinter der Station durch die dunkle Höhlung in 
OO
den Felsen des Eiger verschwinden!
.Jetzt fährt auch unser Zug, prächtig elektrisch 
OO
beleuchtet, in die Finsternis des Berginnern hin‐ 
OO
ein. (Von hier aus braucht er mit allen Aufenthal‐ 
OO
ten nicht mehr ganz eine Stunde, um sein höch‐ 
OO
stes Ziel zu erreichen, und überwindet dabei eine 
OO
Steigung von 1127 Meter, denn auf 2330 Meter 
OO
Höhe waren wir schon beim Eigergletscher ange‐ 
OO
langt.) Nach einigem Fahren gewahren wir plötz‐ 
OO
lich eindringendes Tageslicht in der Ferne des 
OO
Tunnels. Noch wenige Minuten, und der Zug 
OO
hält. «Station Eigerwand!» Ein kurzer Aufenthalt 
OO
ermöglicht es allen Reisenden auszusteigen, und 
OO
durch den Stollen, den man in die Felsen 
OO
sprengte, bis zum Aussichtspunkt zu gelangen, 
OO
 
von wo aus man das Tal von Grindelwald und da‐ 
OO
hinter die weiten Bergketten bis fast ins Vorland 
OO
hinaus überblickt. Die Aussicht ist bestrickend, 
OO
aber dennoch trennt man sich bald von ihr, denn 
OO
noch gibt es hier keine Gletscher und ewige 
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Schneefirnen.
.Wieder im fahrenden Zug, wird nun mit Span‐ 
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nung die Station Eismeer erwartet und ‒ die ver‐ 
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wegenste Erwartung wird nicht enttäuscht, als wir 
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schließlich in diesem respektablen Bahnhof im 
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Innern des Urgesteins der Erde anlangen.
.Die Bahnstrecke hatte von Station Eigerwand 
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aus eine Biegung gemacht, und wir sind nun hoch 
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oben im Innern des Bergmassivs wieder ans Licht 
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gekommen, mitten in einer titanisch aufgebäum‐ 
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ten Gletscherwelt mit haushohen Eisblöcken und 
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unergründlichen Spalten; und dahinter ragt wie‐ 
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der mächtiges Felsengebirge bis zu den Gipfeln 
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des Schreckhorns, des Finsteraarhorns und vieler 
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anderer ferner Spitzen. Der Eindruck ist so uner‐ 
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hört großartig, daß man lange braucht, seiner 
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Herr zu werden.
.Erst, als nach längerer staunender Bewunde‐ 
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rung das Auge zu ermüden anfängt, empfinden 
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wir es doch recht angenehm, hier im Erdinnern in 
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einer eleganten Restauration auch unserer Leib‐ 
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lichkeit einige Stärkung zufügen zu können; 
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denn hier ist Wagenwechsel, und der Aufenthalt 
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genügt, um Seele und Leib zu ihrem Rechte ge‐ 
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langen zu lassen. Eines der Sprüchlein in Schwei‐ 
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zer Mundart, die mir rings an den Wänden der 
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äußerst geschmackvollen Restaurationsräume 
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auffielen, möge hier seine Stätte finden, da es mir 
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eine sehr beherzigenswerte Weisheit zu enthalten 
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scheint. Es besagt:
.«Dä hät am meiste vo sim Gält,  
.Wo öppis g'seht vo dr schöne Wält!»
.Wirklich, man kann dem Spruchdichter nur 
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recht geben, besonders hier, wo man so Grandio‐ 
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ses «vo dr schöne Wält» zu sehen bekommt!
.Das gilt natürlich noch weit mehr von der bald 
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darauf erreichten, derzeit höchsten Station der 
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Jungfraubahn ‒ dem Jungfraujoch.
.Wer jedoch hier heraufkommt und nur in 
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Sorge ist, ob er hier oben nicht etwa «verhungern» 
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müsse, dem sei zum Troste gesagt, daß er hier al‐ 
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les vorfindet, was Küche und Keller einer ganz 
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erstklassigen großstädtischen Hotelrestauration 
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zu bieten haben. Und das in einer Höhe von 3457 
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Metern über dem Meer! Der tüchtige Wirt gehört 
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zu jenen Originalen, denen man schließlich auch 
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eine gewisse Rauhbeinigkeit verzeiht, weil man so 
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gut bei ihnen aufgehoben ist.
.Ich sprach hier zuerst von den leiblichen Ge‐ 
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nüssen, weil der Weg von der Station im Innern 
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des Berges zum Tageslicht und zum eigentlichen 
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Joch, durch das heimelige und wieder überaus 
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geschmackvolle Restaurant führt.
.Schon auf der Terrasse des Restaurants ist man 
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mitten in einer wahren Wunderwelt. Unter uns 
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der riesenhafte Aletschgletscher, auf dem alljähr‐ 
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lich im Juli das berühmte «Jungfrau-Ski-Rennen» 
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stattfindet, gegenüber aber, in erhabener Maje‐ 
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stät, der eigentliche Gipfel der «Königin der Al‐ 
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pen»!
.Das Auge ist zuerst so geblendet von der fast un‐ 
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wirklichen Weiße des Schnees, von all der strah‐ 
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lenden Helligkeit, daß man gerne die Schnee‐ 
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brille anlegt, oder wenn man noch keine besitzt, 
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sich eine hier oben noch kauft.
.Der ganz unbeschreibliche Eindruck steigert 
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sich noch ins völlig Märchenhafte, wenn man 
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dann heraustritt und mit wenig Schritten über 
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den Schnee, droben am Joch selbst mit seiner un‐ 
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vergleichlichen Aussicht, angelangt ist! Weder 
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Wort noch Bild können hier das Wesentliche der 
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Empfindung zum Ausdruck bringen, die jeden 
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fühlenden Menschen ergreift, der, so fast un‐ 
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vermittelt auf dieses ragende Gletscherplateau 
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emporgehoben, nun mit allen Sinnen aufzuneh‐ 
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men sucht, was ihn umgibt...
.Tausende bringt die Jungfraubahn alljährlich 
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hier herauf, aber es dürfte nicht einen geben, der 
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hier nicht in stiller Ergriffenheit verstummen 
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müßte, der nicht auf dieser Empore des Tempels 
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der Allnatur von Andacht ergriffen würde und 
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Höheres auch in sich selbst erwachen fühlte, als 
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ihm jemals im Leben des Alltags, drunten in der 
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Ebene, zu Bewußtsein gekommen war.
.Wer solches seinen Mitmenschen zu verschaf‐ 
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fen wußte, der hat wahrlich den Dank der Nach‐ 
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welt reichlich verdient! Sein schönstes Denkmal 
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aber bleibt sein Werk, dieses Meisterwerk, das un‐ 
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zählige Gehirne in seinen Dienst spannte, die alle 
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nur durch die Kraft der Idee eines einzelnen an‐ 
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geregt wurden, dem Werke ihr Bestes zu geben.
.Der Mann aber, aus dessen Geist heraus die 
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Idee einer Jungfraubahn Gestalt gewann, der 
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Schweizer Guyer-Zeller, hat niemals selbst diese 
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Firnenhöhen betreten. Er starb, als er gerade 
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noch kurz vorher durch den Draht die Nachricht 
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erhalten hatte, daß der Durchbruch bei Station 
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Eigerwand geglückt war.
 
Anm.: 1925 kam Bô Yin Râ nach Massagno bei Lugano. Die 
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beiden Fotos von Lugano (aufgenommen um !1914! in einer 
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unglaublichen Qualität von Prokudin-Gorsky und bearbei‐ 
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tet von Jan Bielawski) sollen einen Eindruck der ge‐ 
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priesenen Landschaft vermitteln und sind im Buch nicht 
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enthalten:
Lugano1/
Lugano2
 
GESEGNET ist dieses südliche Bergland mit 
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seinen Seen, im Verbande der helvetischen 
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Republik, gesegnet sind seine Rebengelände und 
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Kastanienhaine, gesegnet seine malerischen 
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Bergdörfer und heiteren kleinen Städte, gesegnet 
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vor allem seine Menschen!
.Diese Nachkommen der alten Etrusker haben 
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bis auf den heutigen Tag noch Eigenschaften be‐ 
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wahrt, die man weiter südlich nicht in diesem 
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Maße findet: sie wirken heute noch so, wie wir die 
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Menschen der Antike uns vorstellen, man findet 
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bei ihnen eine Tatkraft und Energie, eine kluge, 
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würdevolle Besonnenheit, eine Ehrlichkeit und 
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Rechtlichkeit, die dieses italische Schweizervolk 
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uns bald von Herzen lieb gewinnen lassen. Auch 
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innerhalb des Schweizer Staatsverbandes hat der 
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Kanton Tessin es verstanden, sich immer mehr 
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hohe Achtung und Sympathie zu erwerben, und 
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was die tüchtige Art des Tessiners zu leisten ver‐ 
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mag, das zeigten und zeigen noch zur Stunde so 
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manche Männer in hohen Ämtern der Zentral‐ 
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regierung der Schweiz, Männer, deren Namen 
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weit über ihr engeres und weiteres Heimatland 
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hinaus allüberall guten Klang haben.
.Es ist ein beglückendes Gefühl der Geborgen‐ 
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heit hier um den Fremden, mag er auch durch die 
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einsamsten Täler und Schluchten wandern. Er 
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weiß, daß er nur guten Menschen begegnen 
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kann, und in dem entlegensten Albergo, das ihm 
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des Abends Rast gewährt, braucht er seine Türe 
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nicht zu verschließen.
.In solchem Lande, das alle Reize des Südens 
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mit aller Schönheit der Bergnatur vereint, wo 
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Licht und Wärme selbst noch des Winters rauhe 
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Kraft zu bändigen vermögen, da läßt es sich gut 
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sein, besonders für den, der auch andere Art und 
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Sitte ehrt und schätzt, der ein Land und seine Be‐ 
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wohner als organische Einheit empfindet, der 
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diese Einheit mit zu erleben versucht und das 
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herzliche Gastrecht vollauf zu würdigen weiß, das 
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man ihm, dem Fremden, allerorten zugesteht.
.Ein Paradies ist dieses Land! Südlich genug, um 
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der belebenden Kraft der südlichen Sonne reich‐ 
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lich teilhaftig zu werden, und doch nicht ihrem 
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sengenden Brande ausgesetzt, ‒ erfrischt stets 
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durch die Nähe der Berge mit ihrer ewigen Fir‐ 
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nenwelt, und doch nie von ihren rauhen Stürmen 
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umtost.
.Während nördlich vom St. Gotthard bereits die 
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feuchten Nebel über den Tälern nördlicher Nie‐ 
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derung lagern, während der Herbstwind die letz‐ 
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ten vergilbten Blätter von den kahlen Bäumen 
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schüttelt, prangt hier im Süden der Alpen Busch‐ 
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werk und Baum noch in vollem Grün, und die im‐ 
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mergrünen Pflanzen, die im Norden nur in Kü‐ 
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beln und Töpfen gezogen werden, überwintern 
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hier im Freien und erreichen dabei eine Größe, 
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die sie eben nur in ihrer Heimat haben können.
.Überall zwischen dem Laubwerk und den Blu‐ 
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men leuchten heitere südliche Villen hervor und 
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aus jedem Bergdorf grüßt uns der schlanke Cam‐ 
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panile als Zeuge alter hoher Kultur.
.Wir stehen oben auf dem Monte San Salvatore 
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bei Lugano und genießen in heller Freude den 
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wundersamen Ausblick über dieses wahrhaft ge‐ 
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segnete Land. Tief unter uns breiten sich die ural‐ 
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ten Wasser des Ceresio, des Lago di Lugano, in ih‐ 
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ren mannigfach geschlungenen Buchten, und am 
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Fuße des Berges lagert an der smaragdenen Flut 
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die ausgedehnte Stadt, deren Namen der See in 
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heutigen Tagen trägt, in der heiteren Vornehm‐ 
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heit ihrer leuchtenden Paläste, Villen und moder‐ 
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nen Hotelbauten aus dem Grün der Palmen und 
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dem Dunkel der Zypressen, wie die kostbare Fas‐ 
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sung eines Edelsteins.
.Drüben am anderen Ende der Stadt erhebt 
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sich, wie ihr zweiter Beschützer, der Monte Bré 
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aus den Fluten, von Rebenhängen bedeckt, aus 
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denen die hellen Villen strahlen. Dort liegt der 
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prächtige Villenort Castagnola mit seinen Kasta‐ 
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nienhainen, die ihm den Namen gaben, mit sei‐ 
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nem alten Kirchlein und seinem unvergleichlich 
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schön gelegenen Friedhof; weiter entfernt liegt 
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Gandria, malerisch aus dem See heraufgebaut, 
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und in noch weiterer Ferne erblickt man die 
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Grenzorte Italiens, dem der See sich in langge‐ 
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streckter Bucht verbindet.
.Am gegenüberliegenden Ufer aber erhebt sich 
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das mächtige Bergmassiv des Monte Generoso, 
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von dessen Gipfel aus man die ganze lombardi‐ 
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sche Ebene bis nach Mailand hin überblicken 
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kann.
.Wir wenden den Blick, und über den Gefilden 
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des Lago Maggiore gewahren wir nun ein Alpen‐ 
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panorama von unbeschreiblichem Reiz. Vom 
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Monte Rosa bis zu den Aletschfirnen drängt sich 
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Gipfel an Gipfel und noch weiter im Norden setzt 
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sich der Kranz der Schneehäupter fort, wie eine 
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weiße Zinnenmauer, die den immergrünen Kan‐ 
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ton Tessin umschließt. Es ist fast zuviel des Schö‐ 
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nen für das Auge, und immer wieder mühen wir 
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uns, den ausgebreiteten Reichtum zu fassen.
.Hier oben stand, nach manchen Funden zu 
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urteilen, einst ein altes Druidenheiligtum, und 
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mancher andere Mysterienkult mag hier seine 
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heilige Stätte gefunden haben, bevor ein christ‐ 
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liches Sanktuarium sich auf dem Bergesgipfel er‐ 
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hob.
.Die Alten wußten wahrlich ihre geweihten Stät‐ 
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ten stets an Punkte zu legen, die schon von der 
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Natur dafür bestimmt zu sein schienen, und ob 
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wir nun auf den Hängen von Delphi stehen, oder 
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hier auf dem San Salvatore; ‒ wir empfinden in 
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gleicher Weise ein geheimnisvolles fluidisches Et‐ 
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was an allen Orten, die dem Altertum heilig wa‐ 
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ren, oft ohne vorher zu wissen, daß da ein Heilig‐ 
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tum stand. ‒ ‒ ‒
.Noch lange saß ich am Abend im südlich tag‐ 
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klaren Mondlicht auf meinem Balkon im Hotel 
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Villa Castagnola und blickte über die Silhouetten 
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des Parkes zu meinen Füßen hinüber über den 
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See, stets magnetisch angezogen von den Formen 
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des heiligen Berges, der, jetzt dem auferstande‐ 
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nen Erlöser geweiht, einst den Namen des Son‐ 
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nengottes Belenius trug.
.Unzählige Geschlechter sind seitdem in die 
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Erde versunken, die Namen der Gottheit haben 
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sich gewandelt, die Herzen haben dem Göttlichen 
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in mannigfacher Art andere Empfindungen ge‐ 
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weiht, aber noch immer trägt der Berg sein Hei‐ 
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ligtum, und vielleicht ist es kein Zufall, daß es 
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heute das Heiligtum dessen ist, von dem die heili‐ 
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gen Bücher künden: «Sein Angesicht leuchtete 
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wie die Sonne und sein Gewand war weiß wie 
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Schnee» ‒ ‒ ‒?
.Vielleicht gibt es in unserem tiefsten Innern 
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doch eine Wahrheit, die kosmisch verankert ist, so 
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daß sie nur im Laufe der Zeiten sich stets andere 
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Gewänder formt, um das Urewige, im Symbol 
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verhüllt, der Verehrung darzustellen.
.Reiner als an anderen Orten empfindet man in 
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dieser heiteren Natur des Südens das Ewige, und 
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es wird schwer, sich an den Gedanken zu gewöh‐ 
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nen, daß man wieder diese heiteren Gefilde ver‐ 
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lassen soll.
.Wer aber einmal hier seelisch heimisch wurde, 
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auch wenn seine Wiege im kälteren Nordland 
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stand, den zieht es mit unwiderstehlicher Gewalt 
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stets wieder zurück in den Bereich der südlichen 
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Berge, an diese Seegestade, mit ihren lauen Lüf‐ OO
ten, ihren Sonnentagen, die alles im strahlenden OO
Lichte baden, ihren Mondscheinnächten voll von OO
flimmerndem Silberglanz, ‒ und mit dankerfüll‐ OO
tem Herzen sendet er auch aus der Ferne seine OO
Grüße in dieses gesegnete Land.
ICH weiß von einer lieben alten Schweizerfrau, OO
die ihr ganzes Leben hoch über einem welt‐ OO
bekannten Tal in einem kleinen Almengütli bei OO
harter Arbeit verbracht hatte, und mit der man OO
doch die anregendsten Gespräche über viele Bü‐ OO
cher führen konnte. Ein einziges Mal war sie in OO
der nächst erreichbaren Stadt gewesen. Niemals OO
hat sie einen Eisenbahnwagen betreten. Wie ich OO
vor Jahren hörte, ist die Gute hochbetagt gestor‐ OO
ben. Zu ihren Lebzeiten aber konnte man bei ihr OO
nicht nur die Bibel und gute Goethe- und Schil‐ OO
ler-Gesamtausgaben finden, sondern auch alles OO
von ihrem geliebten Jeremias Gotthelf, von Gott‐ OO
fried Keller und Conrad Ferdinand Meyer. Die OO
ganze Bibliothek war versorgt in einem großen al‐ OO
tertümlichen Schrank, den sie wie ihr Heiligtum OO
gehütet hat. Ich glaube getrost sagen zu dürfen, OO
daß alle Schweizer Schriftsteller sich Leser wün‐ OO
schen würden von Art und Gehalt dieser alten OO
einfachen Bauersfrau, die beinahe von allen Sei‐ OO
ten ihrer Bücher wußte, was dort zu finden war, OO
weil sie alles auch im Herzen trug!
ENDE